Mexiko hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, welches das kulturelle Erbe der indigenen und afro-mexikanischen Völker schützen soll. Dabei ist auch die Möglichkeit kollektiven geistigen Eigentums vorgesehen. Doch was war der Auslöser?
Neues Gesetz gegen kulturelle Aneignung in Mexiko
Für Modedesigner ist es durchaus normal, sich von verschiedenen Quellen stilistisch inspirieren zu lassen. Interkulturelle Einflüsse sind nichts Neues und bereichern das kreative Schaffen ungemein. Allerdings gibt es definitiv Grenzen. Mexiko hat als erstes Land nun eine rechtliche Grenze gesetzt und ein Gesetz verabschiedet, welches das kulturelle Erbe der indigenen und afro-mexikanischen Völker schützen soll.
Kulturelle Aneignung löst leidenschaftliche Debatten aus, weil sie eine Reihe von rechtlichen und politischen Streitpunkten aufwirft. Auf der einen Seite ist die Vielfalt kultureller Einflüsse das, was die Mode weiterentwickelt und gedeihen lässt.
Auf der anderen Seite sind viele traditionelle Kleidungsstücke nicht einfach nur funktional oder dekorativ, sondern mit einer traditionellen Ausdrucksform verbunden. Sie ist Teil der Identität der indigenen Bevölkerungsgruppen, die sie tragen. Die Gefahr der Aneignung besteht darin, dass das Kulturgut eines Tages völlig von dem indigenen Ursprung abgekoppelt wird und mit diesem gar nicht mehr assoziiert wird, was der Auslöschung der kulturellen Identität einer Gemeinschaft gleichkommt. Darüber hinaus ist die kulturelle Aneignung oft eine Folge der Kolonialisierung und könnte bestehende Spaltungen vertiefen und Muster historischer Enteignung und Unterdrückung aufrechterhalten.
Viele (westliche) Designer und Modekonzerne bedienen sich ungefragt und ohne Gegenleistung der Muster indiginer Bevölkerungen. So beispielsweise die französische Modedesignerin Isabel Marant: Sie geriet in die Kritik, als das indigene Mixe-Volk in Oaxaca, Mexiko, ihr vorwarf, seine traditionellen Stickereien zu kopieren. Die Mixe beschuldigte Marant des „Plagiates“, indem sie ihren über fünfhundert Jahre alten kulturellen Ausdruck verwendet und als ihre eigene neue Kreation ausgegeben habe. Dies führte zu einem Eklat mit Beiträgen, in denen Marants Design mit dem der Mixe verglichen wurde, und zu Diskussionen über kulturelle Aneignung in der Modeindustrie.
Die besonderen Motive des indigen geprägten Kunsthandwerks in Mexiko wurden seit Generationen aufrechterhalten und die Handanfertigung kann Wochen dauern. Große Modeunternehmen stellen hingegen serienmäßige und industrielle Plagiate her und werden zur Konkurrenz der lokalen Märkte der indigenen Gemeinden. Oft werden die Plagiate aber auch überteuert als Designerstücke von Luxusdesignern angeboten.
Das mexikanische Kulturministerium sah nun endlich Handlungsbedarf. Das neue Gesetz, welches das Kulturgut als geistiges Eigentum schützen soll, sieht vor, dass die indigene Gemeinschaft ihr Einverständnis mit der Reproduktion ihrer Elemente/Muster außerhalb der Gemeinschaft erteilen muss. Modedesignern drohe sonst Bußgeld oder eine Haftstrafe.
Interessant an diesem Gesetz ist die Möglichkeit kollektiven geistigen Eigentumes. Dieses ist dem westlichen Immaterialgüterrecht bisher fremd. So erkennt das deutsche Urheberrecht beispielsweise keine kollektive Rechtsinhaberschaft einer Gemeinschaft an, sondern nur das des/der Schöpfer(s) eines bestimmten Werks. Wie sich dies auswirkt, ist schwer vorauszusehen. Es besteht die Gefahr der Spaltung und sozialen Konflikte innerhalb der indigenen Gemeinschaften: Wer gehört zur Gemeinschaft und darf die „Zustimmung“ zur Nutzung der Handwerkskunst/Motive erteilen? Eine Ausarbeitung des Gesetzes habe ohne Mitwirkung der indigenen Gemeinden selbst stattgefunden.
Problematisch ist außerdem die internationale Durchsetzung der Rechtsfolgen der Gesetzestatbestände. Trotz des Inkrafttretens des mexikanischen Gesetztes blieb es zuletzt bei Plagiatsvorwürfen des chinesischen Unternehmens „Shein“ bei einer Verwarnung durch die Regierung.
Gesetz hin oder her – für uns ist eines klar: Die Einbindung indigener Gemeinschaften durch ausdrückliche Einholung der Zustimmung und ggf. durch partnerschaftliche Zusammenarbeit dürfte für Modedesigner jedenfalls immer der beste Weg und die respektvollste Herangehensweise sein.
Autorin: Olivia Wykretowicz