Direkt zum Inhalt wechseln

Ein Fall aus der Praxis: Wenn Berichterstattung zum Risiko wird

 

Die mediale Berichterstattung über mutmaßliches Fehlverhalten von Personen – insbesondere prominenter Personen – ist heute fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses. Doch was passiert, wenn über strafrechtliche Vorwürfe berichtet wird, bevor überhaupt ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde? Die sogenannte Verdachtsberichterstattung ist ein rechtlich sensibles Terrain – zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht.

Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Berlin (Az. 27 O 509/23) beleuchtet anschaulich, wo diese Grenze verläuft und welche Rechte Betroffene in der Folge haben – oder eben nicht haben.

Für die GRURPrax 10/25 habe ich zu dem Urteil einen kurzen Praxiskommentar schreiben dürfen:


Der Fall: Strafanzeige ohne Ermittlungsverfahren – und dann?

Im zugrunde liegenden Fall wurde eine Frau – eine Künstlerin – beschuldigt, ihren ehemaligen Partner fälschlich einer Vergewaltigung bezichtigt zu haben. Der Partner, ein Jura Professor, erstattete Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung. Ein Online-Medium berichtete daraufhin unter der Überschrift „Falsche Beschuldigung. Jura-Professor erstattet Anzeige gegen die Ex-Freundin von X “ und zitierte die Anzeigeerstatter ausführlich – ohne sich davon zu distanzieren.

Wenig später stellte die Staatsanwaltschaft klar: Es wird kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da kein Anfangsverdacht vorliegt. Die Betroffene verlangte daraufhin, dass das Medium über diese Entscheidung ebenfalls berichtet – vergeblich. Sie klagte auf Veröffentlichung eines Nachtrags. Das Gericht wies die Klage jedoch im Wesentlichen ab.

Was ist Verdachtsberichterstattung?

Verdachtsberichterstattung bezeichnet die journalistische Berichterstattung über den Verdacht, dass eine Person eine Straftat begangen haben könnte – ohne dass diese Person bereits rechtskräftig verurteilt wurde. Dies ist grundsätzlich zulässig, aber nur unter strengen Voraussetzungen:

– Es muss ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Information bestehen.
– Die journalistische Sorgfaltspflicht muss gewahrt sein – insbesondere:
– Es muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegen.
– Die Stellungnahme der betroffenen Person muss vorab eingeholt werden.
– Es darf keine Vorverurteilung stattfinden.

Gerade bei schwerwiegenden Vorwürfen – wie Sexualdelikten – ist äußerste Zurückhaltung geboten. Die Unschuldsvermutung gilt auch im Journalismus.

Warum war die Berichterstattung rechtswidrig?

Das Gericht stellte klar: Die Berichterstattung war rechtswidrig, da die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten wurden. Es habe sich nicht nur um die Mitteilung einer Strafanzeige gehandelt, sondern um eine implizite Schuldzuweisung an die Klägerin – ohne ausreichende Distanzierung oder Einholung ihrer Stellungnahme.

Allerdings: Der Artikel wurde wenige Tage später offline genommen. Damit war aus Sicht des Gerichts keine fortdauernde Rufschädigung mehr gegeben – ein wesentlicher Aspekt für den sogenannten Nachtragsanspruch.

Kein Anspruch auf Nachtragsberichterstattung?

Der Anspruch auf eine nachträgliche Berichterstattung – etwa über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens – besteht nicht automatisch. Nach der Rechtsprechung kommt ein solcher Anspruch nur in Betracht, wenn:

– Eine vorherige zulässige Verdachtsberichterstattung erfolgt ist,
– und sich der Verdacht inzwischen objektiv entkräftet hat (z. B. durch Freispruch oder Verfahrenseinstellung),
– und die ursprüngliche Berichterstattung noch fortwirkt, also z. B. weiterhin abrufbar ist.

Im vorliegenden Fall: Zwar war die ursprüngliche Berichterstattung unzulässig – dennoch wies das Gericht den Anspruch auf Nachtragsveröffentlichung zurück.

Fazit für Medien: Journalistische Sorgfalt ist Pflicht

Das Urteil mahnt Medien zu sorgfältigem Umgang mit Verdachtsmomenten. Wer voreilig berichtet, riskiert nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern auch die Reputation. Verdachtsberichterstattung ist keine Einladung zur Spekulation – sondern ein rechtlicher Hochseilakt.

Fazit für Betroffene: Ihre Rechte kennen – und gezielt einsetzen

Auch für Betroffene ist dieses Urteil aufschlussreich:

– Sie haben keinen automatischen Anspruch auf Richtigstellung oder Nachtragsberichterstattung.
– Ein Anspruch kann nur geltend gemacht werden, wenn die ursprüngliche Berichterstattung rechtswidrig war und noch fortwirkt.
– Ein Nachtrag muss inhaltlich kongruent zur ursprünglichen Berichterstattung sein.

Betroffene sollten frühzeitig anwaltlichen Rat einholen – idealerweise bereits bei der ersten Veröffentlichung.

Unsere Einschätzung bei HÄRTING

Wir bei HÄRTING beraten regelmäßig zu medienrechtlichen Fragen – sowohl auf Seiten der Presse als auch der Betroffenen. Verdachtsberichterstattung bleibt ein rechtliches Spannungsfeld – aber eines, in dem mit klaren Grundsätzen operiert wird.

Für Medien gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit.
Für Betroffene gilt: Frühzeitig handeln, gezielt vorgehen.

Sie haben Fragen zur Verdachtsberichterstattung oder benötigen rechtlichen Beistand? Sprechen Sie uns an – wir helfen weiter.