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Kollektivvereinbarungen, insbesondere Betriebsvereinbarungen, sind nur dann eine taugliche Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von Beschäftigtendaten, wenn diese hohen Anforderungen genügen. Diese Kernaussage hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) kürzlich im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens getroffen. Hintergründe und Auswirkungen des Urteils vom 19.12.2024 (Aktenzeichen C-65/23) stellen wir nachfolgend dar.

Sachverhalt

Die Entscheidung des EuGH betrifft einen Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber über die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten auf Grundlage einer existierenden Betriebsvereinbarung. Diese Betriebsvereinbarung hatte auch die Funktion einer Rechtsgrundlage im Sinne von § 26 Abs. 4 BDSG für die Verarbeitung von Beschäftigtendaten. Der Arbeitnehmer machte geltend, dass die Verarbeitung ausgewählter Daten zu seiner Person gleichwohl ohne ausreichende Rechtsgrundlage erfolgte. Konkret habe der Arbeitgeber unter Nutzung der HR-Anwendung Workday auch besonders schützenswerte Daten verarbeitet und an Server mit Standorten in den USA übermittelt, ohne dass die Betriebsvereinbarung diese Form der Datenverarbeitung legitimiert habe. Nach Vorlage durch das Bundesarbeitsgericht hatte der EuGH zu klären, welche Anforderungen eine Betriebsvereinbarung erfüllen muss, um als hinreichende Rechtsgrundlage nach der DSGVO eingeordnet werden zu können

Wesentliche Aussagen des EuGH

Bezogen auf diese Rechtsfrage kommt der EuGH zu folgenden Aussagen:
Soweit in einem Mitgliedstaat der EU die Möglichkeit besteht, die Verarbeitung von Beschäftigtendaten auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung zu rechtfertigen (in Deutschland § 26 Abs. 4 BDSG), müssen diese Betriebsvereinbarungen
1. spezifischere Vorgaben zum Umgang mit Beschäftigten enthalten (vgl. Art. 88 Abs. 1 und 2 DSGVO, in diese Richtung schon EuGH, Urt. v. 30.03.2023, Az. C-34/21, vgl. unseren Blogbeitrag hier) und
2. die Anforderungen der Art. 5 (Datenschutzprinzipien), Art. 6 (Rechtsgrundlagen) und Art. 9 DSGVO(weitere Anforderungen bei Verarbeitung besonders schutzbedürftiger Daten) erfüllen.
Mit Blick auf die Einhaltung dieser Vorgaben, insbesondere bezogen auf die Definition der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung, steht den Betriebsparteien ein gewisser Spielraum zu. Zugleich unterliegt diese Einschätzung der gerichtlichen Kontrolle. In keinem Fall dürfen die in Betriebsvereinbarungen getroffenen Regelungen aber dazu führen, dass das Schutzniveau der DSGVO unterwandert wird.

Auswirkungen auf die Praxis

Der EuGH stellt klar, dass Betriebsvereinbarungen nur dann eine taugliche Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 88 Abs. 1 DSGVO (§ 26 Abs. 4 BDSG) darstellen, wenn sie hinreichend klare und präzise Regelungen enthalten. Insbesondere müssen sie die Art der verarbeiteten Daten, die Zwecke der Verarbeitung sowie die Rechte der Beschäftigten eindeutig festlegen. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Vereinbarung den Grundsätzen der DSGVO, insbesondere der Transparenz und Verhältnismäßigkeit, entspricht. Schließlich sollten sich in Betriebsvereinbarungen auch Aussagen darüber finden, auf welche – eigentliche – Rechtsgrundlage konkrete Datenverarbeitungen gestützt werden sollen. Gerade mit Blick auf Verarbeitungen von besonders schützenswerten Beschäftigtendaten (z.B. Daten über die Gesundheit, Religion, Gewerkschaftszugehörigkeit oder biometrische Daten) kann an dieser Stelle ein erhöhter Begründungsaufwand erforderlich sein.

Der lange Zeit gelebte (und häufig aus praktischen Gründen von beiden Betriebsparteien befürwortete) Ansatz, in Betriebsvereinbarungen über das Einräumen besonderer Schutzvorkehrungen punktuell auch weiter in die Rechte von Beschäftigten bezüglich ihrer personenbezogenen Daten „eingreifen“ zu können („do ut des“), kann für die Zukunft nicht mehr aufrechterhalten werden.

Organisationen mit Betriebs- bzw. Personalräten sollten daher existierende kollektivrechtliche Vereinbarungen auf (1.) Vollständigkeit und (2.) ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des EuGH hin überprüfen. Werden die nunmehr aufgestellten Grundsätze dort nicht eingehalten, droht die Unwirksamkeit der gesamten Klausel in der Betriebsvereinbarung. Denn abgesehen von wenigen Ausnahmen gilt das strikte Verbot der geltungserhaltenden Reduktion im Arbeitsrecht. Bei unwirksamen Klauseln in Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen kommt es stattdessen zum ersatzlosen Wegfall der Klausel und es gelten die gesetzlichen Regelungen. Diese strenge Handhabung dient dem Schutz der Arbeitnehmer und soll den Arbeitgeber, bzw. die Betriebsparteien dazu anhalten, Arbeitsverträge und betriebliche Vereinbarungen sorgfältig und rechtskonform zu gestalten.

 

Sollten Sie für die Prüfung Unterstützung benötigen, beraten wir Sie gern.