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Bei der diesjährigen IBA (International Bar Association) Konferenz in Mailand habe ich einen Vortrag zum Thema „Conflicts of Jurisdiction in Cross-Border Disputes: Recent Developments“ gehalten.

Im Zentrum stand die Frage, wie effektiv Opfer digitaler Persönlichkeitsrechtsverletzungen in Deutschland ihre Ansprüche gegen internationale Plattformen geltend machen können – und wo die derzeitigen rechtlichen und praktischen Grenzen liegen.

Die Herausforderung: Internationale Zuständigkeit als Zugangshürde

Online-Plattformen wie Instagram, X oder TikTok operieren global, ihre Nutzer:innen aber suchen lokalen Rechtsschutz. Ob deutsche Gerichte zuständig sind, bestimmt sich nach der Brüssel-Ia-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012). Sie soll die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen vereinheitlichen – faktisch entscheidet sie aber zunehmend darüber, ob überhaupt effektive Rechtsdurchsetzung möglich ist.

Drei potenzielle Anknüpfungspunkte bestimmen, ob Betroffene in Deutschland klagen können:

  • Vertraglicher Gerichtsstand (Art. 7 Abs. 1 a)
  • Verbrauchergerichtsstand (Art. 17 ff.)
  • Deliktischer Gerichtsstand (Art. 7 Abs. 2)

Aktuelle Rechtsprechung und Praxis zeigen jedoch: Alle drei Ansätze geraten zunehmend unter Druck.

  1. Vertraglicher Gerichtsstand: Effektive Exklusivität ausländischer Gerichte

In der Praxis spielt der vertragliche Gerichtsstand nach Art. 7 Abs. 1 a) Brüssel-Ia-VO eine zentrale Rolle. Er knüpft an den Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung an. Deutsche Gerichte sehen diesen regelmäßig am Sitz der Plattform, also in der Regel in Irland, wo viele große Anbieter (Meta, X) ihren europäischen Hauptsitz haben.

Hinzu kommen Gerichtsstandsklauseln in den AGB der Plattformen, die irische Gerichte exklusiv benennen.

Damit ist die Zuständigkeit deutscher Gerichte faktisch ausgeschlossen – unabhängig davon, wo sich der Schaden realisiert oder wo die betroffene Person wohnt.

Das Ergebnis:

Wer in Deutschland von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung betroffen ist, muss seine Ansprüche nach irischem Recht und in englischer Sprache verfolgen.

Für viele Betroffene stellt das eine faktische Zugangshürde dar, die dem Schutzzweck des europäischen Prozessrechts zuwiderläuft.

  1. Verbrauchergerichtsstand: Enge Auslegung unterläuft europäische Schutzziele

Der zweite Anknüpfungspunkt – der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 ff. Brüssel-Ia-VO – soll den schwächeren Vertragspartner schützen. Er ermöglicht Verbraucher:innen, an ihrem Wohnsitz zu klagen, wenn der Vertrag (Nutzungsvertrag mit der Plattform) zu privaten Zwecken geschlossen wurde.

Allerdings legen deutsche Gerichte den Begriff des „Verbrauchers“ zunehmend restriktiv aus.

So entschied das LG Berlin (27 O 52/23), dass bereits der Zusatz „RA“ (Rechtsanwalt)im Profilnamen genügt, um einem Instagram-Nutzer den Verbraucherstatus abzusprechen – auch wenn der Account im Übrigen privat geführt wurde.

Diese Rechtsprechung steht im deutlichen Gegensatz zur Linie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Der EuGH betont, dass eine gemischte private und berufliche Nutzung eines Accounts den Verbraucherstatus nicht automatisch ausschließt.

Die deutsche Praxis führt damit zu paradoxen Ergebnissen:

  • Gerade Berufsgruppen, die besonders häufig Ziel von Online-Angriffen sind – Journalist:innen, Aktivist:innen oder Jurist:innen – werden vom Verbraucherschutz ausgenommen, weil ihre Profile als „beruflich“ gelten.

Damit wird der europarechtliche Schutzzweck, den Zugang zum eigenen Gericht zu gewährleisten, unterlaufen.

 

  1. Deliktischer Gerichtsstand: Restriktive Anwendung und die Frage nach dem Tatbestand bei Plattformhaftung

 

Der deliktische Gerichtsstand nach Art. 7 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO erlaubt Klagen am Ort des schädigenden Ereignisses.

Gerade bei Rufschädigung oder Beleidigung durch den Post eines Dritten erscheint dies auf dem ersten Blick als sachgerechter Anknüpfungspunkt – insbesondere für Betroffene, deren Persönlichkeitsrechte im Internet verletzt werden.

Doch die zentrale Frage lautet: Was kann der Plattform vorgeworfen werden?

Welchen Tatbestand erfüllt ihr Verhalten, damit sie überhaupt deliktisch haftet und somit die Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet wird?

Nach aktueller deutscher Rechtsprechung reicht der bloße Betrieb einer Plattform nicht aus, um eine deliktische Handlung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO zu begründen.

Ein Haftungstatbestand entsteht nur dann, wenn der Plattform ein aktives Tun oder unterlassendes Verhalten vorgeworfen werden kann, das gegen eine rechtliche Pflicht oder ein gesetzliches Verbot verstößt.

Das bedeutet konkret:

  • Keine Zuständigkeit besteht, wenn die Plattform lediglich die technische Infrastruktur bereitstellt, ohne eigene Pflichtverletzung.
  • Eine Zuständigkeit kann sich jedoch ergeben, wenn die Plattform trotz Kenntnis rechtswidriger Inhalte nicht einschreitet oder eine Löschung rechtswidriger Beiträge verweigert, obwohl sie hierzu nach den Maßstäben der Störerhaftung verpflichtet wäre.

Ebenso ist wiederum eine Konstellation denkbar, in der die Plattform rechtmäßige Inhalte löscht und diese wieder hergestellt werden sollen. Auch hier stellt sich die Frage, welchen Tatbestand das Löschen der Inhalte darstellt. Mit anderen Worten: die Entfernung von Inhalten müsste eine Rechtsgutsverletzung begründet – etwa im Rahmen von Meinungsäußerungsfreiheit oder Eigentum an Inhalten.

Insgesamt hängt die Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO also entscheidend von der Einordnung des konkreten Verhaltens der Plattform ab. Die Rechtsprechung neigt dazu, den Begriff der „schädigenden Handlung“ eng zu interpretieren und die Schwelle zur Verantwortlichkeit hoch anzusetzen.

Das führt dazu, dass Betroffene häufig auf irische Gerichte verwiesen werden, obwohl der Schaden und die betroffenen Rechtsgüter in Deutschland liegen.

Die Folge ist eine Verlagerung des Rechtsschutzes ins Ausland und eine faktische Entwertung des deliktischen Gerichtsstands für digitale Persönlichkeitsrechtsverletzungen.

Aktuelle Tendenzen: Nationale Zurückhaltung trotz europäischer Öffnung

Während der EuGH in mehreren Entscheidungen den Schutzgedanken für Betroffene betont und den Zugang zu Gerichten stärken will, zeigen deutsche Instanzgerichte eine Tendenz zur Formalisierung.

Diese Entwicklung führt zu einem Auseinanderdriften europäischer und nationaler Rechtspraxis – mit der Folge, dass Deutschland als Gerichtsstandort für Online-Verletzungen an Bedeutung verliert.

Juristisch und politisch zeichnet sich die Forderung ab, dass das Wohnsitzprinzip der Betroffenen auch im Online-Bereich konsequent umgesetzt werden muss, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.

Fazit: Bedarf an gerichtlicher und gesetzgeberischer Korrektur

Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass das Ziel der Brüssel-Ia-Verordnung – zugängliche, vorhersehbare und gerechte Zuständigkeiten – bei Online-Verletzungen nur teilweise erreicht wird.

Deutsche Gerichte interpretieren die Vorschriften derzeit restriktiv, wodurch Opfer digitaler Rechtsverletzungen zunehmend auf ausländische Gerichte verwiesen werden.

Erforderlich ist daher:

  • Eine europarechtskonforme Auslegung des Verbraucherbegriffs durch deutsche Gerichte,
  • Eine Überprüfung der vertraglichen Zuständigkeitsdogmatik,
  • Und perspektivisch eine gesetzgeberische Klarstellung, die den Gerichtsstand des Opfers im digitalen Raum absichert.

Nur so kann der Anspruch der Europäischen Union, effektive Rechtsdurchsetzung auch in internationalen Online-Konflikten zu gewährleisten, eingelöst werden.