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Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat am 27. November 2024 (T‑509/23) einem Widerspruch der Giorgio Armani SpA gegen die Eintragung eines Bildzeichens, das aus horizontalen Linien bestand, stattgegeben.

Giorgio Armani SpA, ist Inhaberin einer älteren Unionsbildmarke, die geschützt ist unter Anderem für „Hüllen für Computerkabel“ und sonstige Schutzhüllen für elektronische Geräte. Die Marke bildet einen stilisierten Adler mit horizontalen Streifen in V-Form und einem erkennbaren Adlerkopf ab:

Shenzhen City Chongzheng Technology Co. Ltd hat die folgende Marke für unter Anderem „Kopfhörer, USB-Kabel und Ladegeräte“ angemeldet:

Die Widerspruchsabteilung wies den Widerspruch für alle betroffenen Waren zurück. Armani hat beim EUIPO gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung Beschwerde eingelegt, welche von einer „sehr unterschiedlichen“ Gesamtwirkung der beiden Zeichen ausging und ebenfalls zurückgewiesen wurde. Hiergegen hat Armani erfolgreich Klage vor dem EuG erhoben.

Das EuG hat die Zeichenähnlichkeit gemäß Artikel 8 Abs. 1 b der Verordnung (EU) 2017/1001 über die Unionsmarke (UMV) bejaht. Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit sind alle maßgeblichen Faktoren (u. a. optische Merkmale, klangliche und begriffliche Aspekte sowie der Gesamteindruck) heranzuziehen. Klangliche und begriffliche Aspekte spielten hier eine untergeordnete Rolle, da es sich um weitgehend abstrakte Bildzeichen handeln würde.

Jedoch wurde insbesondere eine optische Ähnlichkeit angenommen. Beide Zeichen verwenden mehrere horizontale Linien, die in einer V-Form angeordnet sind. Trotz unterschiedlicher Dicke der Linien und zusätzlicher Elemente (etwa des Adlerkopfes bei der älteren Marke oder einer längeren unteren Linie bei der jüngeren) sei aus der Distanz für den Durchschnittsverbraucher ein ähnlich wirkendes, aus waagerechten Streifen bestehendes „V“ erkennbar. Da der Verbraucher sich meist nur an ein unvollkommenes Bild erinnert, könne er die Zeichen gerade bei einer solchen „graphischen Einfachheit“ eher verwechseln. Dadurch würde ein zumindest schwacher Grad von Zeichenähnlichkeit angenommen.

Gerade bei Marken, die aus wenigen, klaren Bildelementen bestehen, können schon kleine Abweichungen für den Verbraucher schwer erkennbar sein. Daher muss bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr eine umfassende Gesamtwürdigung erfolgen, in welche auch die Kennzeichnungskraft (insbesondere die gesteigerte Kennzeichnungskraft einer bekannten Modemarke gemäß Art. 8 Abs. 5 UMV) einzufließen hat.

Da die Beschwerdekammer schon eine grundlegende Zeichenähnlichkeit verneint hatte, wurde die Verwechslungsgefahr vereint. In der Folge wurde jedoch auch nicht geprüft, ob die Bekanntheit und das Fehlen eines „berechtigten Grundes“ für die Benutzung des jüngeren Zeichens die Voraussetzungen für den erweiterten Markenschutz nach Art. 8 Abs. 5 UMV erfüllten. Das EuG stellte klar, dass diese Prüfung nachzuholen sei, weil zumindest eine grundsätzliche Zeichenähnlichkeit bestehe und daher alle weiteren Tatbestandsmerkmale zu würdigen seien.

Das EuG hob die angefochtene Entscheidung auf. Da die Beschwerdekammer eine pauschale Unähnlichkeit angenommen und die weiterführenden Aspekte (Ähnlichkeit der Waren im Rahmen der Verwechslungsgefahr, Bekanntheit, unlauterer Vorteil) nicht geprüft hatte, muss das Verfahren vor dem EUIPO erneut durchgeführt werden.

Praxishinweis

Selbst abstrakt anmutende oder minimalistisch gestaltete Marken können ein ausreichendes Maß an Ähnlichkeit zu bereits bestehenden Zeichen aufweisen, wenn sie in Schlüsselpunkten übereinstimmen. Die konkrete Anordnung, Anzahl und Dicke von Linien oder Formen darf nicht unterschätzt werden.

Die Entscheidung zeigt erneut, dass eine isolierte Betrachtung kleiner Abweichungen dem Markenrecht nicht gerecht wird. Für die Verwechslungsgefahr sind die maßgeblichen Faktoren (gemeinsame Bildelemente, Erinnerungsbild, Kennzeichnungskraft) in ihrer Gesamtheit zu bewerten.

Insbesondere bei bekannten Marken sollte stets geprüft werden, ob über den Schutzbereich von Artikel 8 Abs. 1 b UMV hinaus auch Artikel 8 Abs. 5 UMV greift. Schon das Vorliegen eines „ähnlichen“ Zeichens kann diesen umfangreicheren Schutzmechanismus auslösen, ohne dass eine Ähnlichkeit der Waren vorliegen muss.

Gerade Inhaber starker und bekannter Marken sollten sich frühzeitig darüber im Klaren sein, dass es nicht nur auf eine Verwechslungsgefahr im klassischen Sinne ankommt. Insbesondere die Geltendmachung eines unlauteren Vorteils oder der Beeinträchtigung der Wertschätzung kann entscheidend sein. Dann sollte ein Widerspruch auch bei geringer Ähnlichkeit der Waren erwogen werden.

Bei Markenanmeldungen wiederum empfiehlt es sich, mit vermeintlich simplen grafischen Formen eine genaue Recherche und Prüfung vorzunehmen, ob und in welcher Form bestehende Markenrechte betroffen sein könnten. Umgekehrt sollten Inhaber etablierter Kennzeichen wachsam bleiben und schon bei abstrakten oder minimalistisch gestalteten Neuanmeldungen mögliche Widersprüche in Betracht ziehen – auch dann, wenn die Ähnlichkeiten auf den ersten Blick geringfügig erscheinen mögen.