Eine Öffnungsklausel soll das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit der Meinungsäusserungs- und der Informationsfreiheit in Einklang bringen.
Die neue EU Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) enthält eine Öffnungsklausel für ein «Medienprivileg» in Art. 85 DSGVO. Die Regelung soll das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit der Meinungsäusserungs- und der Informationsfreiheit in Einklang bringen. Gemäss Art. 85 DSGVO können Mitgliedstaaten der EU für die Datenverarbeitung zu journalistischen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken Ausnahmen und Abweichungen vorsehen.
Aufgrund dieses aktiven und zwingenden Ausgestaltungsauftrags haben Mitgliedstaaten zusätzliche Vorschriften zum Schutz der Meinungsfreiheit erlassen.[1] Die Gesetze bezwecken hauptsächlich den Schutz der journalistischen Berichterstattung. In Deutschland, wie auch in anderen Mitgliedstaaten werden nach momentanem Stand die speziellen Regelungen des «Medienprivilegs» weitgehend auf den professionellen Journalismus beschränkt sein.[2] Andere Gruppen, die sich ebenfalls regelmässig in der Öffentlichkeit äussern, werden von diesem Schutz nicht erfasst (bspw. Betreiber von YouTube Kanälen, Blogs, Twitter Accounts oder Podcasts sowie Künstler, Fotografen ausserhalb der Pressefotografie usw.).
Es besteht ein Meinungsstreit darüber, ob bereits bestehendes Recht öffentliche Äusserungen der genannten Personengruppen schützt oder ob Abweichungen von der DSGVO konkret und spezifisch formuliert sein müssen. Wird die Meinung vertreten, ein genügender Schutz sei bereits über bestehendes Recht erstellt, ist nicht ersichtlich, weshalb spezielle Vorschriften im Bereich des professionellen Journalismus erlassen werden müssten. Zudem ist nicht ohne weiteres klar, wieso überhaupt eine Beschränkung auf den professionellen Journalismus verlangt wird. Die reine Beschränkung auf den professionellen Journalismus entspricht nicht dem gesetzgeberischen Gedanken der DSGVO.[3]Zudem spricht Art. 85 DSGVO von «…der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken…», woraus nicht einzig auf den professionellen Journalismus zu schliessen ist. Es wäre denn auch widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber eine Öffnungsklausel in der DSGVO für professionelle journalistische Zwecke vorsieht, jedoch andere Formen der Meinungsfreiheit einzig über das Verfassungsrecht schützt.
Die DSGVO benötigt ergänzende nationale Gesetze
Der bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz stellte denn auch fest, dass Abweichungen von der DSGVO spezifisch und konkret sein müssen.[4] Die DSGVO bewirkt keinen angemessenen Schutz der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit ohne ergänzende nationale Gesetze. Obwohl die DSGVO für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten mit Art. 6 Abs. 1 lit. e und f DSGVO Rechtsgrundlagen schafft, die ausreichend breit formuliert sind, um ebenfalls die Meinungs- und Informationsfreiheit zu erfassen, sind diese Bestimmungen nicht anwendbar auf die Verarbeitung besonders geschützter Datenkategorien von Art. 9 Abs. 2 DSGVO oder die «Strafdaten» nach Art. 10 DSGVO. Für diese Datenverarbeitungen reichen öffentliche respektive berechtigte Interessen des Verantwortlichen oder Dritter nicht aus. Vielmehr sind dort spezielle Rechtsgrundlagen notwendig.
Exemplarisch zeigt sich diese Problematik an folgendem Beispiel: Ein Fotograf X, der nicht als Journalist tätig ist, fotografiert eine Personengruppe an einer Demonstration und veröffentlicht die Fotografien. Einzelne Personen werden mit ihren politischen Überzeugungen erkennbar (Daten zur politischen Meinung, Art. 9 Abs. 1 DSGVO).
Indem besonders geschützte Personendaten betroffen sind und keine rechtliche Grundlage gemäss Art. 6 DSGVO die vorliegende Datenverarbeitung rechtfertigt, wird die Fotografie nicht durch die DSGVO geschützt und ist folglich widerrechtlich. Ob sich der Fotograf darauf berufen kann, dass das nationale Gesetz über Art. 85 Abs. 1 DSGVO Anwendung findet und deshalb auch die vorliegende Datenverarbeitung, für die die DSGVO selbst keine Rechtsgrundlage bietet, geschützt ist, bleibt fraglich.
Es bleibt abzuwarten, ob die Gerichte sich der Meinung anschliessen werden, dass das bereits bestehendes Recht den Schutz für die anderen Personengruppen ausreichend sicherstellt oder ebenfalls spezifische Vorschriften für diese Gruppen erlassen werden müssen. Die betreffenden Personengruppen müssen bis dahin mit der bestehenden Rechtsunsicherheit leben, sofern die nationalen Gesetzgeber diese Unsicherheit nicht zum Anlass nehmen, durch gesetzliche Regelungen eine Klarstellung zu bewirken. In concreto wird empfohlen, das bestehende Recht, sei es das Grundgesetz in Deutschland oder vergleichbare Rechtsnormen in anderen Mitgliedstaaten, um eine Regelung zu ergänzen, die die allgemeine Öffnungsklausel für ein «Medienprivileg» in Art. 85 DSGVO umfassend nutzt und zudem klare Rahmenbedingungen für speziellere und bereichsspezifische Vorschriften schafft, ohne diese zu verdrängen.
[1] Bspw. Deutschland: EMR, Synopse zu den geplanten Änderungen, besucht 24.07.2018); Österreich: Landtag Brandenburg Österreich Anpassungsgesetz (besucht 24.07.2018).
[2] Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Ausschuss Informationsrecht, 34/2018, S. 9.
[3] EG 153 DSGVO, letzter Satz: «Um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen, müssen Begriffe wie Journalismus, die sich auf diese Freiheit beziehen, weit ausgelegt werden.»
[4] 94. Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder am 8./9. November 2016 in Oldenburg (abrufbar unter: https://www.datenschutz-bayern.de/dsbk-ent/DSK_94-Art_85_DSGVO.html, zuletzt besucht am 24.07.2018).