Julian Reichelt, der geschasste Döpfner Adlatus, schwingt sich ja seit einiger Zeit auf dem rechtspopulistischen Portal #Nius zu journalistischen Unehren auf.
Einstweilige Verfügung wegen fehlerhafter Zustellung aufgehoben – nicht wegen inhaltlicher Neubewertung
Zuletzt wurde gegen das Portal eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht Frankfurt (Az. 2-03 O 275/24) erwirkt und darin dem Portal untersagt, die dortige Antragstellerin nicht als Mann zu bezeichnen und weder ihren Namen noch Fotos ohne ihre Zustimmung zu veröffentlichen. Die Organisation HateAid unterstützte die Antragstellerin. Die LTO berichtete über das Verfahren und den Erfolg vor Gericht.
Jetzt wurde bekannt, dass die einstweilige Verfügung durch das Landgericht Frankfurt aufgehoben wurde, offensichtlich weil die im Beschlussweg ergangene einstweilige Verfügung nicht ordnungsgemäß an das Portal zugestellt worden war. Auch hierüber berichtete nun die LTO
Die im Parteiweg zu veranlassende Zustellung einer einstweiligen Verfügung ist stets ein fehleranfälliger Teil bei der gerichtlichen Durchsetzung. Was genau muss zugestellt werden, an wen und in welcher Form?
Die Partei, welche die einstweilige Verfügung erwirkt hat, muss diese selbst zustellen (lassen), § 922 Abs. 2 ZPO. Dies muss innerhalb eines Monats erfolgen, § 929 Abs. 2 ZPO. Die einstweilige Verfügung muss zudem an den Rechtsanwalt des Schuldners zugestellt werden, der sich für ihn als Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat, § 172 ZPO.
Im hiesigen Fall ist dies offensichtlich nicht erfolgt. Allein deshalb wurde die einstweilige Verfügung nunmehr aufgehoben. Nicht weil das Portal in der Sache die Antragstellerin nun doch als Mann bezeichnen und ihr Bildnis zeigen und ihren Namen nennen darf. Vielmehr betonte die Pressekammer zu Beginn der Urteilsbegründung wohl, dass sie „an ihrer materiell-rechtlichen Bewertung nach erneuter Abwägung und Sach- und Rechtslage festhält„, so LTO in dem oben erwähnten Artikel. Mit der Aufhebung der einstweiligen Verfügung ist lediglich der erwirkte Titel entfallen. Die Rechtslage ist dadurch mitnichten geklärt oder sogar zugunsten von Nius entschieden worden.
Auf X will Julian Reichelt nun aber genau diesen Eindruck erwecken. „Wir dürfen XXX, den Mann, der in die Damen-Umkleide wollte, wieder und weiter als das bezeichnen, was er ist: als Mann! Die Einstweilige Verfügung ist AUFGEHOBEN!“ heißt es dort.
Hierbei könnte es sich um einen unterlassungsfähigen Fall der bewusst unvollständigen Berichterstattung handeln.
Werden dem Leser Tatsachen mitgeteilt, aus denen er erkennbar eigene Schlussfolgerungen ziehen soll, so dürfen hierbei keine wesentlichen Tatsachen verschwiegen werden, die dem Vorgang ein anderes Gewicht geben könnten und deren Kenntnis für den Leser unerlässlich ist, der sich im Kernpunkt ein zutreffendes Urteil bilden will. Jedenfalls eine bewusst unvollständige Darstellung ist dann rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln, wenn die Schlussfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger naheliegend erscheint und deshalb durch das Verschweigen dieser Tatsache beim unbefangenen Durchschnittsleser ein falscher Eindruck entstehen kann. Eine Tatsachenbehauptung, die nur Teilwahrheiten vermittelt und dadurch beim Adressaten der Äußerung zu einer Fehleinschätzung des Angegriffenen führt, ist schon aus diesem Grund rechtswidrig. Es dürfen also nicht solche Fakten verschwiegen werden, deren Mitteilung beim Adressaten zu einer dem Betroffenen günstigeren Beurteilung des Gesamtvorgangs hätten führen können (BGH NJW 2006, 601 Rn. 18 m.w.N.; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 15.08.2018 – 16 U 95/18 unter Verweis auf die Begründung in LG Frankfurt a.M., Urt. v. 09.05.2018 – 2-03 O 42/18).
Die Äußerung „Die Einstweilige Verfügung ist AUFGEHOBEN!“ ist zunächst einmal für sich betrachtet zwar zutreffend.
Durch das Weglassen der Information, dass die einstweilige Verfügung allein wegen der Nichtbeachtung von § 929 Abs. 2 ZPO aufgehoben wurde, in Verbindung mit der Behauptung „Wir dürfen XXX, den Mann, der in die Damen-Umkleide wollte, wieder und weiter als das bezeichnen, was er ist: als Mann!“ wird jedoch dem Leser suggeriert, die einstweilige Verfügung sei aus materiell-rechtlichen Gründen aufgehoben worden. Wäre dem Leser aber die Information zu dem Grund der Aufhebung genannt worden, so hätte dies Einfluss auf seine Beurteilung des Vorgangs gehabt. Damit dürfte sich der Tweet von Reichelt als unzulässig darstellen. Denn aus der Äußerung, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben und die Antragstellerin nun als Mann bezeichnet werden dürfe, wird zumindest ein Teil der Durchschnittsleser die Schlussfolgerung ziehen, dass das Landgericht Frankfurt dies als Ergebnis seiner materiell-rechtlichen Bewertung festgestellt habe.
Dem steht auch nicht die die begrenzte Zeichenzahl auf X entgegen. Ein klarstellender Hinweis wäre hierzu ohne weiteres möglich gewesen.