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In einem UWG-Verfahren, das die Verbraucherzentrale gegen Fielmann angestrengt hat, hat das Brandenburgische Oberlandesgericht (Urt. v. 27.08.2024 – 6 U 3/23) bei Nr. 20 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG genau hingeschaut und Klarheit über Detailfragen zur Werbung mit kostenlosen Produkten geschaffen.

A.        Die beanstandete Werbung

Fielmann wirbt schon seit Jahren – als prominenter Teil der Marketingstrategie – mit Kinderbrillen „zum Nulltarif“. Auf der Website und in Prospekten, die in den Filialen auslagen hieß es dazu: „Modische Kinderbrillen zum Nulltarif – Bei Fielmann erhalten Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre eine komplette Brille aus der Nulltarif-Kollektion mit Gläsern von Carl Zeiss Vision. Sie zahlen nicht für die Fassung, nicht für die Gläser. Rezept oder Versicherungskarte genügt.“

Hier hatte sich aber eine Unsauberkeit eingeschlichen: In Wahrheit brauchte Fielmann Rezept UND Versicherungskarte, nicht Rezept ODER Versicherungskarte, um mit der Krankenkasse abzurechnen. Das führte zu einer unangenehmen Überraschung für einen Verbraucher, der nur die Versichertenkarte dabei hatte. Dieser wandte sich mit dem Anliegen an die Verbraucherzentrale.

B.         UWG-Verstoß wegen unwahrer Werbung als kostenlos?

Die Werbung war primär an § 3 Abs. 1 UWG iVm Nr. 20 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG  zu messen. Der Anhang zum UWG enthält eine Auflistung von Verhaltensweisen, die immer und ohne Wertungsmöglichkeit lauterkeitswidrig sind (sog. „Schwarze Liste“). Nr. 20 erfasst die „unwahre Werbung als kostenlos“. Darin heißt es: „Folgende geschäftliche Handlungen sind gegenüber Verbrauchern stets unzulässig: das Angebot einer Ware oder Dienstleistung als „gratis“, „umsonst“, „kostenfrei“ oder dergleichen, wenn für die Ware oder Dienstleistung gleichwohl Kosten zu tragen sind; dies gilt nicht für Kosten, die im Zusammenhang mit dem Eingehen auf das Waren- oder Dienstleistungsangebot oder für die Abholung oder Lieferung der Ware oder die Inanspruchnahme der Dienstleistung unvermeidbar sind“.

I.           Kostenlos bei Krankenkassenübernahme?

Damit Nr. 20 überhaupt einschlägig ist, müsste die Brille überhaupt als kostenlos beworben worden sein. Wie Brillenträger schmerzlich attestieren können, sind Brillen nämlich üblicherweise weit entfernt von kostenlos und mit der Krankenkasse wird, wenn überhaupt, nach dem Kauf abgerechnet. Das ist aber anders, wenn man unter 18 ist, hier übernimmt die Krankenkasse gegebenenfalls noch die ganzen Kosten. Auch dadurch wird die Brille als solche jedoch nicht „kostenlos“ im engeren Sinne. Statt des Verbrauchers zahlt eben nur die Krankenkasse.

Das Gericht abstrahiert aber richtigerweise von dieser sehr formalistischen Betrachtung. Bei Nr. 20 des Anhangs handelt es sich um eine verbraucherschützende Vorschrift, für deren Anwendung es nicht darauf ankommt, ob niemand für das Produkt zu zahlen hat, sondern nur dass der Verbraucher glaubt, nicht zahlen zu müssen. Wer dann letztendlich die Kosten trägt, ist egal. Zu Recht verweist das Gericht darauf, dass es für die Anlockwirkung auf Verbraucher – weswegen die Werbung mit kostenlosen Produkten besonders regelungsbedürftig ist – ausreicht, wenn der Verbraucher davon ausgeht, selbst nicht für das Produkt aufkommen zu müssen.

II.         Unwahre Werbung wegen falscher Bedingungen?

Das nächste Problem besteht darin, dass die Werbung als solche nicht vollständig unwahr war: Man konnte ja theoretisch eine Brille zum Nulltarif erwerben. Was falsch war, waren die angegebenen Bedingungen, weil der Eindruck entstanden ist, man kann das auch tun, wenn man nur die Versichertenkarte vorlegt. Erfasst Nr. 20 des Anhangs also auch die Bedingungen für die kostenlose Werbung?

Mit überzeugenden Argumenten bejaht das Brandenburgische OLG auch das. Danach ist Nr. 20 des Anhangs als besonderer Irreführungstatbestand zu verstehen, der immer dann einschlägig ist, wenn ein Produkt nicht auf die in der Werbung beschriebenen Art und Weise kostenlos erhältlich ist. Auch dann wir der Verbraucher über das Bestehen eines kostenlosen Angebots getäuscht, weil er von der Zahlungspflicht überrascht wird, soweit er alle Bedingungen eingehalten hat. Damit erstreckt sich der Anwendungsbereich auch auf die Modalitäten des Gratis-Angebots.

C.        Fazit

Das Brandenburgische OLG hat überzeugend argumentiert und den Nr. 20 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG als verbraucherschützende Vorschrift gestärkt. Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift und die besondere Gefährlichkeit der Werbung mit kostenlosen Produkten ist daran wenig auszusetzen. Einzige offene Frage bleibt das durchschnittliche Verbraucherverständnis: Wird nicht vielleicht sogar verbraucherseits damit gerechnet, dass es regelmäßige Änderungen der Bedingungen gibt oder dass es nicht komplett in der Hand des Anbieters liegt, wann die Abrechnung möglich ist, wenn dem Verbraucher klar ist, dass das Produkt nur wegen Abrechnung mit der Krankenkasse für ihn kostenlos ist? Hätte man diesen Gesichtspunkt vertieft, hätte man aber wohl riskiert, sich in Spekulationen über das Verbraucherleitbild zu verrennen. Das Urteil führt dagegen zu wünschenswerter Rechtssicherheit.