Nachdem die E-Sport-Organisation Cloud9 erstmals seit 2016 die Qualifikation für die League of Legends (LoL) Worlds 2024 verpasst hat, sorgt sie nun mit der völlig unerwarteten Kündigung des erst im November 2023 verpflichteten Spielers Joseph Joon „Jojopyun“ Pyun, erneut für Aufregung in der LoL-Szene. Hintergrund der Kündigung sei, dass Jojopyun mindestens 43-mal zu spät zu Trainingseinheiten, Work-outs und Meetings erschienen ist.
Jojopyun gilt als eines der größten LoL-Talente Nordamerikas seit Jahren und als der bestbezahlte Spieler von LoL in Nordamerika. Innerhalb der Szene wird daher gemunkelt, dass er zum Sündenbock für die katastrophale Saison von Cloud9 gemacht wird und Cloud9 nur versucht, aus dem hochdotierten Vertrag mit Jojopyun rauszukommen.
Inwieweit eine Kündigung – auf Grundlage des uns bekannten Sachverhalts – nach deutschem Recht möglich ist, soll deshalb in aller Kürze veranschaulicht werden.
I. Gesetzliches Recht zur außerordentlichen Kündigung, § 626 BGB
Zunächst könnte eine außerordentliche und fristlose Kündigung nach § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht kommen.
1. Vorliegen eines wichtigen Grundes
Erste Voraussetzung ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Ein wichtiger Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung liegt vor, wenn Cloud9 unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zugemutet werden kann, das Arbeits- bzw. Dienstverhältnis mit Jojopyun überhaupt (und sei es nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder Befristung) fortzusetzen.
Ein solcher Grund könnte in dem wiederholten Zuspätkommen von Jojopyun gesehen werden.
2. Interessenabwägung
Jede außerordentliche Kündigung erfordert darüber hinaus eine umfassende Interessenabwägung.
Dabei sind das Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung und das Interesse des/der Angestellten an der Aufrechterhaltung des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses gegenüberzustellen. Für den Kündigenden darf es keinen angemessenen Weg geben, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil sämtliche mildere Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (Ultima-Ratio-Prinzip). Auf Seiten des/der Angestellten ist zu berücksichtigen, inwieweit das Handeln erkennbar war und er/sie damit rechnen musste, ob der Arbeitgeber dieses toleriert.
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) rechtfertigen wiederholte Unpünktlichkeiten nur dann eine außerordentliche und fristlose Kündigung, wenn sie den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verweigerung der Arbeitspflicht erreicht haben (BAG Urteil vom 17.03.1988 – 2 AZR 576/87), in dem 43-mal Zuspätkommen also eine „beharrliche“ Pflichtverletzung von Jojopyun gesehen werden kann. Eine beharrliche Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag liegt insbesondere dann vor, wenn eine Pflichtverletzung trotz Abmahnung wiederholt begangen wird und sich daraus der nachhaltige Wille des Arbeitnehmers ergibt, den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen zu wollen. So nahm das BAG in der vorgenannten Entscheidung eine beharrliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers an, da dieser sich in einem Zeitraum von 1,5 Jahren insgesamt 104-mal verspätet sowie zuvor 6 Abmahnungen erhalten hatte.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz erachtete dagegen eine außerordentliche und fristlose Kündigung als unwirksam, obwohl sich der Arbeitnehmer in einem Zeitraum von 5 Monaten mehrmals wöchentlich verspätet sowie zuvor 3 Abmahnungen und weitere mündliche Ermahnungen erhalten hatte (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.12.2016 – 2 Sa 188/16). Dem Arbeitgeber sei das Abwarten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar, weshalb eine ordentliche Kündigung als milderes Mittel vorrangig hätte ausgesprochen werden müssen
Vorliegend ist weder bekannt, ob das Arbeitsverhältnis mit Jojopyun von Cloud9 ordentlich fristgemäß oder außerordentlich fristlos gekündigt wurde. Darüber hinaus ist nicht bekannt, ob Jojopyun für sein Zuspätkommen von Cloud9 zuvor abgemahnt wurde. Sollte Cloud9 jedoch zuvor keine Abmahnung für sein Zuspätkommen ausgesprochen haben, ist nach deutscher Rechtslage die außerordentliche Kündigung unwirksam. Und selbst bei Ausspruch einer vorherigen Abmahnung stellt sich die Frage, ob diese ihrerseits wirksam ist, denn an deren Wirksamkeit werden nach deutscher Rechtslage sehr hohe Anforderungen gestellt, damit sie ihrer Hinweis- und Warnfunktion gerecht werden kann.
Im Ergebnis wird eine außerordentliche und fristlose Kündigung unwirksam sein, zumindest sofern Jojopyun nicht an Cloud9 signalisiert hat, dass er keine Lust mehr hat für Cloud9 zu spielen bzw. arbeiten und sich auch zukünftig verspäten wird.
II. Ordentliche Kündigung
Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist zunächst zu beachten, dass es sich bei Verträgen zwischen E-Sport-Organisationen und Spieler grundsätzlich um befristete Arbeits- bzw. Dienstverträge handelt.
Im Falle eines Arbeitsverhältnisses gilt das Kündigungsschutzgesetz, sofern das Arbeitsverhältnis seit 6 Monaten besteht und in dem Betrieb der E-Sport-Organisation in der Regel 10 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigt werden, vgl. §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Liegen diese Voraussetzungen vor, bedarf es für die ordentliche Kündigung des Arbeitgebers eines wirksamen Kündigungsgrunds. Solche können in personen-, betriebs- oder (wie hier) in verhaltensbedingten Gründen liegen. Bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist allerdings für deren Wirksamkeit zuvor eine Abmahnung auszusprechen, damit der Arbeitnehmer gewarnt ist und die Gelegenheit hat, sein Verhalten zu ändern. Erst nachdem der Arbeitnehmer erneut zu spät kommt, kann auf dieser Grundlage je nach Schwere des Zuspätkommens, entweder eine erneute Abmahnung erfolgen (z. B. bei wenigen Minuten) oder eine ordentliche Kündigung.
Bei befristeten Arbeitsverhältnisses ist darüber hinaus § 15 Abs. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) zu beachten, da die ordentliche Kündigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses nur dann zulässig ist, wenn dies in dem Arbeitsvertrag vereinbart wurde.
Dagegen kann sich der Spieler, wenn er als Freelancer im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei der E-Sport-Organisation angestellt ist, nicht auf den Kündigungsschutz berufen und es gelten die vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen.
III. Vorgehensweise bei Kündigung als Angestellte/r
Wollte sich Jojopyun gegen die Kündigung wehren wollen, müsste er nach deutschem Recht – sofern er Arbeitnehmer und kein Freelancer ist – eine Kündigungsschutzklage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung beim Arbeitsgericht erheben, sofern die Wirksamkeit der Kündigung gerichtlich überprüft werden soll.
Zwar gilt das Kündigungsschutzgesetz nur für Arbeitnehmer/innen. Häufig werden Arbeitnehmer/innen jedoch fälschlicherweise als Freelancer angestellt, obwohl sie tatsächlich ein Arbeitsverhältnis begründet haben (Scheinselbstständigkeit). In dem Fall gilt auch für diese die 3 Wochen Frist.
IV. Vorgehensweise bei Kündigung Arbeitgeber
Grundsätzlich kommt es auf den konkreten Einzelfall an, ob eine außerordentliche und fristlose Kündigung wegen wiederholten Zuspätkommens wirksam ist, sodass eine pauschale Aussage, wann eine entsprechende außerordentliche Kündigung wirksam ist, nicht getroffen werden kann.
In jedem Fall empfiehlt es sich für Arbeitgeber, sämtliche Verspätungen umfassend zu dokumentieren. Einerseits aus Beweiszwecken im Rahmen eines etwaigen Rechtsstreits, andererseits kann die Schwere des Zuspätkommens aufgezeigt werden. Je erheblicher Verspätungen sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gericht den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung für wirksam erachtet.