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70 Jahre nach dem Tod des Urhebers wird sein Werk gemeinfrei wenn es sich um italienisches Kulturerbe handelt, darf es aber noch lange nicht frei genutzt werden! Wir erklären das italienische KGSG, warum Statuen dort „Persönlichkeitsrechte“ haben und warum das ganze auch Deutsche angeht.

Was haben der Spielehersteller Ravensburger, der Zeitschriftverlag Edizioni Condé Nast und Jean-Paul Gaultier gemeinsam? Zum einen: Alle drei haben Produkte verkauft, die in einer Form auf italienischer Kunst basierten.

  • der deutsche Spieleverlag vertrieb ein Puzzle mit dem Vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci (1452 bis 1519)
  • der Herausgeber der italienischen Vogue gab eine Ausgabe des Magazins GQ Italia mit dem Covermodel Pietro Boselli in der Pose des weltberühmten David von Michelangelo Buonarotti (1475 bis 1564) heraus
  • das französische Modehaus produzierte eine Kollektion, bei der klassische Gemälde, unter anderem die Geburt der Venus von Sandro Botticelli (1445 bis 1510), verwendet wurden.

Zum anderen wurden sie auch alle von den italienischen Museen, die die Originale ausstellen, wegen der Verletzung von Rechten an den Kunstwerken in Anspruch genommen. Mit immaterialgüterrechtlichen Fragen bewandte Leser dürften stutzen, wie man darauf kommen könnte, dass jemand Ausschließlichkeitsrechte an über 500 Jahre alten Kunstwerken hat. Wer § 64 des deutschen Urheberrechtsgesetzes (UrhG) aufschlägt, erkennt beispielsweise, dass urheberrechtlich geschützte Werke 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers gemeinfrei werden. Das bedeutet, dass sie ab diesem Zeitpunkt von jedermann verwendet werden können. Auch sonst kann man die Stirn runzeln, schließlich befindet sich von den drei Unternehmen nur ein einziges auch in Italien.

Bei allen dreien der Grund: Sie haben den sog. codice dei beni culturale e del paesaggio verletzt. Dieses italienische Kulturgüterschutzgesetzbuch (KGSG) dient dem Schutz von Objekten, die von künstlerischem, historischem, archäologischem und ethnisch-anthropologischem Interesse sind.

Mit einer solchen Einstufung auch von urheberrechtlich gemeinfreien Werken geht gemäß Art. 107 ff. des italienischen KGSG die Verpflichtung einher, dass jeder, der die Werke kommerziell nutzen will, bei der betroffenen Institution eine Erlaubnis einholen und eine Nutzungsgebühr zahlen muss, falls dem Antrag stattgegeben wird. Außerdem kann die Erlaubnis von Auflagen abhängig gemacht werden, z.B. indem bestimmte Vorgaben zur Aufmachung gemacht werden. Ziel dieser Regelung ist es, dass das reichhaltige kulturelle Erbe Italiens nicht verwertet werden darf, ohne dass die kulturellen Institutionen des Landes daran teilhaben können. So erhofft sich die Republik eine Einnahmequelle zur Erhaltung ihrer Kunstwerke. Die Höhe der Lizenzgebühr hängt dabei von den Umständen des Einzelfalles ab, gerade bei hohen zu erwartenden Einnahmen liegen die Kosten dann entsprechend hoch.

Diese Pflicht trifft außerdem auch Unternehmen im Ausland, insofern die fraglichen Waren auch in Italien angeboten werden, wie im Fall Ravensburger das Gericht von Venedig entschieden hat. Diese Unternehmen können dann in Italien am Deliktsgerichtsstand verklagt werden.

Dazu kommt auch, dass im Fall gegen GQ Italia das florentinische Gericht entschieden hat, dass der Gallerie dell’Accademia, die den David beheimatet, sogar ein Recht am Bild der Statue zukommt – wie bei einem echten Menschen (in Deutschland nach § 22 Kunsturhebergesetz). Dieses Bildrecht kann sich sogar auf Gestaltungen erstrecken, die dem Werk nur ähnlich sehen, wie eben Models, die wie die berühmte Marmorstatue posieren.

Dies zeigt, dass auch deutsche Unternehmen, wenn sie italienisches Kulturgut in irgendeiner Form verwerten, über die Rechtslage informiert sein müssen. Auch im Ausland ist man vor dem langen Arm des italienischen Kulturministeriums nicht geschützt.

Diese Regelungen des italienischen KGSG scheinen auch im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen in der rechtlichen Diskussion in Deutschland und Europa befremdlich. In Deutschland standen beispielsweise im Reiss-Engelhorn-Prozess auf das Hausrecht (§ 1004 Abs. 1 BGB) gestützte Fotoverbote im Mittelpunkt (wir berichteten). Die Europäische Union hat 2019 in der Richtlinie über den digitalen Binnenmarkt („DSM-RL“) außerdem eine Regelung geschaffen, wonach nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist keine sogenannten verwandten Schutzrechte an visuellen Werken mehr bestehen können.

Verwandte Schutzrechte sind dem Urheberrecht ähnliche Ausschließlichkeitsrechte im Kultursektor, zu ihnen gehören beispielsweise Schutzrechte von ausübenden Künstlern oder Datenbankschutzrechte. Vor allem aber sollte Art. 14 der DSM-Richtlinie Leistungsschutzrechte von Fotografen ausschließen, da so Dritte, die diese Fotos benutzen, weil sie wegen der Gemeinfreiheit davon ausgehen, dass sie das dürfen, „in die Falle“ tappen und blechen müssen.

Art. 14 der DSM-Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass nach Ablauf der Dauer des Schutzes eines Werks der bildenden Kunst Material, das im Zuge einer Handlung der Vervielfältigung dieses Werks entstanden ist, weder urheberrechtlich noch durch verwandte Schutzrechte geschützt ist, es sei denn, dieses Material stellt eine eigene geistige Schöpfung dar.“

Museen haben aber immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Schutzrechte benötigt werden, um wichtige Einnahmen bspw. aus dem Verkauf hochwertiger Postkarten zu generieren. Genau das ist ja auch Teil der Daseinsberechtigung des italienischen KGSG.

Wie es nach Erlass und Umsetzung der DSM-Richtlinie mit Fotografie-Leistungsschutzrechten weitergehen wird, ist noch unklar. Vieles spricht dafür, dass die bisherige, institutionenfreundliche Rechtsprechung der Gerichte durch Art. 14 der DSM-Richtlinie nicht berührt wird.

Vielleicht schlagen die Gerichte aber auch eine neue Richtung ein. So hat bereits in den 80ern ein Bremer Gericht ausgeführt, dass die aufs Eigentum an den Werkoriginalen gestützten Verbotsrechte (das sog. „Recht am Bild der eigenen Sache“) nicht weiter gehen könnten, als urheberrechtliche Befugnisse. Daran könnte man erneut anknüpfen und so würde auch der Sinn dieses Richtlinienteils, den Zugang zum kulturellen Erbe Europas gerade zu erleichtern, gefördert.

Dies stellt dann auch die interessante Frage, ob Regelungen wie die des italienischen KGSG überhaupt europarechtskonform sind. Das hätte, weil Europarecht dem nationalen Recht vorgeht, die Folge, dass das nationale Recht, insoweit ein Konflikt besteht, nicht angewandt wird. Italien scheint jedenfalls von keinem Konflikt auszugehen und hat extra in einem neuen Art. 32quater des italienischen UrhG geregelt, dass die Art. 107 ff. des italienischen KGSG von der Umsetzung der DSM-Richtlinie nicht berührt werden. Es bleibt zu hoffen, dass diese Frage in näherer Zukunft dem EuGH zur Klärung vorgelegt wird.