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Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 20.4.2023 – C-775/21 und C-826/21 – einmal mehr zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe im urheberrechtlichen Kontext geäußert. Danach kann das Abspielen von Hintergrundmusik öffentliche Wiedergabe sein und Urheberrechte verletzen. Die Einrichtung von Hard- und Software zum Abspielen allein, reicht für eine entsprechende widerlegliche Vermutung jedoch nicht aus. Der EuGH macht also munter weiter damit, den Begriff der öffentlichen Wiedergabe auszugestalten.

Dem EuGH lagen Fragestellungen aus zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen rumänischen Verwertungsgesellschaften mit einer französischen Airline (C-775/21) und einer rumänischen Eisenbahngesellschaft (C-826/21) vor. Aufgrund der ähnlichen Fragestellungen und des ähnlichen Sachverhalts hat der EuGH die Verfahren verbunden.

Zusammengefasst und durch den EuGH abgewandelt, stellten sich die Fragen, ob eine öffentliche Wiedergabe in der Ausstrahlung von Musikwerken als Hintergrundmusik in Personenbeförderungsmitteln angenommen werden kann und, ob die Einrichtung von Anlagen und Software bereits eine widerlegliche Vermutung für eine öffentliche Wiedergabe begründen kann. Die Frage zur widerleglichen Vermutung rührt daher, dass das vorlegende Gericht vorträgt, eine solche würde von einigen rumänischen Gerichten bei bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeiten angenommen.

Die erste Frage – nach der Hintergrundmusik als öffentliche Wiedergabe – wurde von dem EuGH im Fall der Airline klar positiv beantwortet. Die Airline hat jedenfalls bei der Hälfte ihrer Maschinen auf den jeweiligen Flügen Hintergrundmusik abgespielt. Daher sei die Musik einer unbegrenzten Anzahl von Passagieren gleichzeitig oder nacheinander zugänglich gemacht worden. Die für die Öffentlichkeit erforderlich Mindestschwelle an Personen sei hier also erreicht. Diese Passagiere hätten die Musik auch ohne das Abspielen durch die Anlagen im Beförderungsmittel nicht empfangen können. Daher wäre sich die betreibende Gesellschaft voll darüber bewusst gewesen, dass sie geschützte Werke zugänglich macht.

Der EuGH entschied damit, dass ein Abspielen von Hintergrundmusik in öffentlichen Beförderungsmitteln – hier Flugzeug –  eine öffentliche Wiedergabe i. S. d. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 darstellt und infolgedessen Urheberrechte verletzen kann. Die Mindestschwelle für die Annahme einer Öffentlichkeit muss dabei beachtet werden. Dieser Grundsatz dürfte damit auf die meisten öffentlichen Beförderungsmittel übertragbar sein.

Die zweite Frage – nach einer Vermutung einer öffentlichen Wiedergabe aufgrund vorhandener Hard-/Software – wird hingegen abgelehnt. Dies ergibt sich zum einen aus der Beantwortung der ersten Frage. Denn darin erörtert der EuGH bereits, dass eine Wiedergabe tatsächlich vorgenommen werden müsse. Diese wurde im Fall der Airline festgestellt, im Fall der Eisenbahngesellschaft hingegen nicht. Ohne eine tatsächliche Wiedergabe würde eine solche Vermutung dem 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 widersprechen. Zum andere könne diese Vermutung aber auch dazu führen, dass die Zahlung einer Vergütung an Verwertungsgesellschaften vom bloßen Vorhandensein der technischen Mittel abhängig gemacht würde. Letzteres würde dazu führen, dass der urheberrechtliche Schutz, an dem Sinn der unionsrechtlichen Richtlinien vorbei, ausufert. Und zwar ohne, dass tatsächlich eine öffentliche Wiedergabe stattgefunden haben muss.

Daher reicht es für die Annahme einer widerleglichen Vermutung der öffentlichen Wiedergabe nicht aus, wenn wiedergabefähige Anlagen in einem öffentlichen Beförderungsmittel vorhanden sind. Sieht eine nationale Regelung eine entsprechende Vermutung vor, so steht einer solchen Auslegung Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 2006/115 entgegen.

Im Ergebnis reiht sich das Urteil in das vom EuGH geprägte Verständnis des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe auf europäischer Ebene ein. Dieser Begriff wurde bereits von zahlreichen Urteilen des EuGHs mit Leben gefüllt, welche in dem vorliegenden Urteil übersichtlich dargelegt werden. Etwa die Tatbestandsmerkmale der Handlung der Wiedergabe und seine öffentliche Wiedergabe oder die weiteren einzefallbezogenen Kriterien, wie verfolgte Erwerbszwecke bei der Wiedergabe von Werken. Zugleich erteilt er nationalen Abweichungen, vor dem Hintergrund der Harmonisierung von europäischem Urheberrecht, eine Abfuhr.