Die Digitalisierung und insbesondere die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) stellen das Urheberrecht vor neue Herausforderungen. Am 11. November 2025 hat die auf das Urheberrecht spezialisierte 42. Zivilkammer des Landgerichts München I im Fall „GEMA gegen OpenAI“ ein richtungsweisendes Urteil gefällt. Damit stärkt es die Position von Urheberinnen und Urhebern gegenüber KI-Anbietern und verpflichtet OpenAI zur Unterlassung und potenziellen Schadensersatzzahlung wegen Verwendung urheberrechtlich geschützter Liedtexte beim Training und Betrieb seiner Sprachmodelle. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, hat aber Signalwirkung für die gesamte Branche
1. Hintergründe und Kernpunkte des Urteils
Die GEMA, die als Verwertungsgesellschaft die Interessen von rund 100.000 Musikschaffenden in Deutschland vertritt, klagte gegen die OpenAI-Unternehmensgruppe. Ausgangspunkt des Verfahrens war die Verwendung von Songtexten neun bekannter deutscher Urheberinnen und Urheber (u.a. „Atemlos“ von Kristina Bach oder „In der Weihnachtsbäckerei“ von Rolf Zuckowski) beim Training und Output des KI-basierten Sprachmodells ChatGPT (weitere Informationen im Beitrag „Do you hear the same?“).
Die Kammer entschied, dass OpenAI sowohl durch das Training seiner Modelle mit urheberrechtlich geschützten Liedtexten als auch durch deren Wiedergabe auf Anfrage von Nutzerinnen und Nutzern in die urheberrechtlichen Verwertungsrechte der GEMA-Mitglieder eingegriffen hat. Die Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz wurden im Wesentlichen bestätigt. Ansprüche der GEMA aufgrund von Persönlichkeitsrechtsverletzungen – etwa durch die fehlerhafte Zuschreibung veränderter Liedtexte – wurden dagegen abgewiesen.
Bedeutsam ist die Einordnung durch das Gericht, dass nicht nur die Wiedergabe der Liedtexte im Chatbot-Output, sondern bereits die technische Speicherung und Reproduzierbarkeit dieser Texte in den Parametern der Sprachmodelle eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigung darstellt. Damit ist auch das KI-Training selbst lizenzpflichtig.
Anders als OpenAI ist das Gericht nicht der Auffassung, dass das „Text und Data Mining“ (TDM) im Rahmen des deutschen § 44b UrhG eine ausreichende Schranke für diese Nutzung bilde. Nach Ansicht der Kammer gehen die festgestellten Fälle von „Memorisierung“ über das vom Gesetz vorgesehene Maß hinaus und verletzen die wirtschaftlichen Interessen der Rechteinhaber.
2. Die „Memorisierung“ urheberrechtlich geschützter Inhalte in KI-Sprachmodellen
Einen zentralen Punkt des Urteils bildet die sogenannte „Memorisierung“: Das Gericht erachtet es als nachgewiesen, dass die Modelle von OpenAI Liedtexte im Originalwortlaut reproduzieren und auf Anfrage zugänglich machen können. Aus informationstechnischer Sicht sei es bekannt, dass Trainingsdaten in KI-Modellen in derartiger Tiefe enthalten sein können, dass bei geeigneten Nutzeranfragen der originale Text extrahierbar ist.
Durch die Memorisierung sei eine Verkörperung als Voraussetzung der urheberrechtlichen Vervielfältigung der streitgegenständlichen Liedtexte durch Daten in den spezifizierten Parametern des Modells gegeben. Die streitgegenständlichen Liedtexte seien reproduzierbar in den Modellen festgelegt.
Diese technische Verkörperung („Fixierung“ in Parametern) reicht nach Art. 2 der InfoSoc-Richtlinie und § 16 Urheberrechtsgesetz (UrhG) aus, um als „Vervielfältigung“ im Sinne des Urheberrechts zu gelten. Es kommt nicht darauf an, ob die Reproduktion in herkömmlichem Speicher oder lediglich als abbildbare Wahrscheinlichkeitswerte erfolgt – entscheidend ist die praktische Reproduzierbarkeit für den Output. Die auf Nutzeranfragen generierten Liedtexte stimmen in Umfang und Wortlaut erheblich mit den Trainingsdaten überein. Die Kammer sah daher den Zufall als Ursache (wie etwa statistische Annäherung) ausgeschlossen. – Das Gericht fordert dabei offenbar keine „Bit-für-Bit“-Kopie: Es reicht, wenn das Werk durch das Sprachmodell technisch rekonstruierbar ist und auf Anfrage abgerufen werden kann.
3. Schranken des Urheberrechts und deren Grenzen: Text- und Data-Mining (§ 44b UrhG)
OpenAI berief sich darauf, dass das Training und der Betrieb der KI unter die im jüngsten Urheberrechtsgesetz (§ 44b UrhG) geschaffene Schranke für „Text und Data Mining“ (TDM) falle. Diese Vorschrift war mit der europäischen DSM-Richtlinie eingeführt worden, um automatisierte Analyseverfahren zu ermöglichen.
Das Gericht stellt diesbezüglich klar: – Grundsätzlich fällt das Training KI-basierter Systeme unter die TDM-Schranke, sofern es sich um die automatisierte Extraktion von Informationsmustern handelt und bloße Vervielfältigungs- oder Analysehandlungen ohne wirtschaftliche Beeinträchtigung der Urheberinteressen erfolgen. – Aber: Wenn „Memorisierung“ vorliegt – das heißt, ganze Werke können aus dem Modell wieder reproduziert werden – ist dies keine bloße Analyse mehr.
Das verletzte die wirtschaftlichen Verwertungsinteressen und stelle keine nach § 44b UrhG privilegierte Handlung mehr dar. Auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Selbst wenn man eine planwidrige Regelungslücke annehmen wollte, weil dem Gesetzgeber die Memorisierung und eine damit einhergehende dauerhafte urheberrechtlich relevante Vervielfältigung in den Modellen nicht bewusst gewesen sein sollte, mangele es an einer vergleichbaren Interessenlage:
Die Schrankenregelung normiere mit der Zulässigkeit vorbereitender Vervielfältigungshandlungen beim Text und Data Mining einen Sachverhalt, bei dem die Verwertungsinteressen der Urheber nicht gefährdet seien, weil bloße Informationen extrahiert und das Werk als solches gerade nicht vervielfältigt werde. Bei Vervielfältigungen im Modell werde die Werkverwertung hingegen nachhaltig beeinträchtigt und die berechtigten Interessen der Rechteinhaber hierdurch verletzt.
Es handele sich auch nicht um meine „unwesentliches Beiwerk“ gemäß § 57 UrhG, da die übernommene Liedtextmenge weder nebensächlich noch im Verhältnis zum Gesamtdatensatz unwesentlich sei.
Man könne auch nicht davon ausgehen, dass die Rechteinhaber eine Einwilligung abgegeben hätten,
da das Training von Modellen nicht als eine übliche und erwartbare Nutzungsart zu werten sei, mit der der Rechteinhaber rechnen müsse.
Auch die Wiedergabe der Liedtexte als Output in den Chats der Beklagten stelle eine unberechtigte Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung der streitgegenständlichen Liedtexte dar.
4. Wer ist verantwortlich für den Output?
Nach Ansicht der Kammer wies sei OpenAi für den Output verantwortlich. Die Architektur sowie das Training – und damit die Möglichkeit, Liedtexte zu memorisieren – stammen allein aus der Sphäre des KI-Anbieters. Die Generierung der urheberrechtlich geschützten Outputs werde inhaltlich maßgeblich vom Modell und dessen Parametern gesteuert, nicht vom Nutzer. – Die Betreiber von Sprachmodellen mit memorisierten Werken müssen daher für daraus hervorgehende Outputs einstehen.
5. Folgen: Signalwirkung und geschäftliche Implikationen
Erstmalig hat ein Gericht in Europa über die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke durch KI-Systeme im professionellen Kontext entscheiden. Das Landgericht München I ist der Auffassung, dass sowohl das Training von KI als auch der Output der KI im Sinne des Urheberrechts lizenzpflichtig sind – sofern schutzwürdige Werke nicht nur analysiert, sondern in den KI-Modellen so festgelegt werden, dass sie im Original „memorisiert“ und nahezu im Original wiedergegeben werden.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es sprechen aber sehr gute Argumente dafür, dass KI-Anbieter künftig Lizenzverträge mit Verwertungsgesellschaften wie der GEMA abschließen müssen, soweit ihr Modell mit geschützten Inhalten trainiert wird und eine Memorisierung nicht ausgeschlossen werden kann. Nutzer von KI-Lösungen in Unternehmen sollten sicherstellen, dass die verwendeten Systeme rechtmäßig trainiert wurden und Lizenzen für urheberrechtlich relevante Inhalte vorliegen, da Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche auch gegen sie geltend gemacht werden können. Rechteinhaber und Künstler können zukünftig stärker davon profitieren, wenn die KI mit ihren Werken trainiert und arbeitet.
OpenAI hat Berufung angekündigt. Dass das Landgericht München keine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof vorgenommen hat, ist überraschend. Zumal die Frage der urheberrechtlichen Zulässigkeit des KI-Einsatzes auch auf europäischer Ebene zu klären sein wird.
6. Fazit
Das Urteil des LG München I unterstreicht, dass innovative KI-Systeme am deutschen und europäischen Markt urheberrechtlichen Spielregeln unterliegen. Die „Memorisierung“ stellt dabei eine neue Form der Nutzung dar, die nicht durch bestehende Schranken wie das Text- und Data Mining gedeckt ist, sofern sie über bloße Informationsanalyse hinausgeht. Mit dieser Entscheidung ist die Gema ihrem Ziel, nach einer Lizenzvereinbarung mit OpenAI und anderen KI-Anbietern nähergekommen.