Im Rechtsstreit Thomson Reuters vs. Ross entscheidet ein US-Gericht erstmals dazu, ob das Füttern einer KI mit urheberrechtlich geschützten Inhalte nach der Fair Use Doctrine erlaubt ist.
Der District Court of Delaware meint nein, allerdings nicht kategorisch, sondern stark einzelfallbezogen. Im vorliegenden Fall wird Ross zum Verhängnis, dass es mithilfe von Informationen aus einer bekannten US-Rechtsprechungsdatenbank ein eigenes Konkurrenzprodukt am Markt platzieren wollte. Die Entscheidung taugt daher als Hopp oder Topp-Schablone für künftige Fälle nicht. Sie eröffnet jedoch spannende Perspektiven und sorgt für frischen Wind in der Debatte um KI und Copyright. Die Entscheidung ist hier abrufbar.
Hintergrund
Thomson Reuters, Betreiber der Rechtsrechercheplattform Westlaw, besitzt eine umfangreiche Sammlung von Rechtsdokumenten, darunter sogenannte Headnotes, also redaktionell erstellte Zusammenfassungen wichtiger US-Gerichtsurteile.
Ross Intelligence, ein Anbieter KI-gestützter juristischer Recherche, bat zunächst um eine Lizenz zur Nutzung dieser Inhalte – ein Angebot, das abgelehnt wurde. Stattdessen ließ Ross LegalEase Bulk-Memos aus den Headnotes erstellen, um damit seine KI-Suchmaschine zu trainieren. Im Dezember 2020 verklagte Thomson Reuters daher KI-Startup Ross Intelligence mit der Behauptung, Ross habe die urheberrechtlich geschützten „Headnotes“ von Westlaw in rechtswidriger Weise verwendet, um eine KI-gestützte juristische Suchmaschine zu entwickeln.
Das Gericht entschied zugunsten von Thomas Reuters, dass die Headnotes von Westlaw nicht nur reine Fakten aufzählen, sondern kreative, urheberrechtlich geschützte Inhalte darstellen und ist der Meinung, dass sich Ross Intelligence nicht auf Fair-Use berufen kann.
Kernpunkte der Entscheidung
Die Entscheidung war eine der ersten, die sich mit dem Grundsatz des Fair-Use Prinzips im Zusammenhang mit KI befasst. Fair Use ist ein Rechtsgrundsatz, der bestimmte, nicht autorisierte Nutzungen von geschütztem Material erlaubt, sofern sie der öffentlichen Bildung und der Anregung geistiger Produktionen dienen. Er hat eine vergleichbare Funktion wie die Schrankenbestimmungen des hierzulande geltenden Urheberrechts beispielsweise die Pastiche-Schranke oder die Text-and-Data-Mining Schranke.
Maßgebliche Faktoren bei der Beurteilung des Fair Use sind der Zweck der Nutzung (vor allem ob kommerziell oder gemeinnützig), der Grad des Urheberschutzes der übernommenen Werke, der Umfang der Nutzung und zuletzt die Auswirkungen auf den Markt.
Hinsichtlich dieser maßgeblichen Faktoren argumentiert Ross, dass nur eine transformative Nutzung gewollt war, sie keine vollständigen Kopien der Headnotes verwendeten und auch kein direkter kommerzieller Schaden für Westlaw entstanden sei.
Dieser Argumentation folgt das Gericht jedoch nicht: Es erkennt zunächst an, dass die Headnotes, den für den Schutz erforderlichen Originalitätsgrad aufweisen – sie enthielten neben der Zusammenfassung von Gerichtsurteilen auch juristische Analysen, die von fachkundigen Redakteuren erstellt würden. Weiterhin führt es aus, dass die kreative Schöpfung zwar vorhanden, aber im Vergleich zu hochgradig kreativen Werken eher durchschnittlich einzustufen sei. Darüber hinaus sei der Umfang der kopierten Inhalte relativ gering, da keine der übernommenen Headnotes in den Endausgaben von Ross‘ Suchmaschine auftauche. Diese Aspekte deuten darauf hin, dass in Bezug auf den Grad der Nutzung und die Art der Transformation durchaus Umstände vorliegen, die von Fair Use gedeckt sind.
Auf der anderen Seite wiege aber der kommerzielle Zweck der Nutzung deutlich schwerer. Das Gericht stellt in Anlehnung an den Fall Andy Warhol vs. Goldsmith fest, dass Ross die Headnotes nutze, um ein Produkt zu entwickeln, das in direkter Konkurrenz zu Westlaw steht – ein Umstand, der den kommerziellen Charakter der Nutzung unterstreiche. Besonders kritisch findet das Gericht, dass das von Ross entwickelte Tool als „Marktersatz“ gedacht sei und somit den potenziellen Markt für lizensierte Headnotes negativ beeinflusse. Trotz eines möglichen öffentlichen Nutzens beim Zugang zu juristischen Informationen sieht das Gericht keinen ausreichenden Ausgleich, um den wirtschaftlichen Schaden für Westlaw zu rechtfertigen. Zudem unterstreicht es, dass das Urheberrecht dazu diene, Schöpfer für ihre Leistungen zu honorieren, was durch die unlizenzierte Nutzung der Headnotes untergraben werde.
Nach Abwägung dieser Faktoren kommt das Gericht zum Ergebnis, dass Ross sich nicht auf Fair-Use berufen könne, sodass die Nutzung der Headnotes eine unlizenzierte und rechtswidrige Verwertung darstellten.
Fazit
Diese konkrete Entscheidung mag zwar nicht wegweisend für alle weiteren Entscheidungen sein. Denn zum einen handelt es sich um ein Urteil eines Bezirksgerichts, das noch mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Zum anderen geht es im Fall – anders als zB bei den gegen OpenAI anhängigen Verfahren, nicht um generative KI.
Die Entscheidung bestätigt immerhin – für die USA – den Schutz von redaktionell erstellten juristischen Inhalten und stellt klar, dass Fair Use eine komplexe Abwägung verschiedener Gesichtspunkte erfordert, wobei die Nutzung zu Wettbewerbszwecken besonders stark ins Gewicht fällt.
Aus Europa blickt man mit Sicherheit dennoch aufmerksam auf die US-amerikanische Rechtsprechung, nicht zuletzt, weil viele wichtige Verfahren rund um große KI-Tools wie OpenAI anhängig sind. Deutsche Gerichte könnten sich Gesichtspunkten der US-rechtsprechung durchaus anschließen, auch wenn Fair-Use im Europäischen Rechtsraum nicht existiert. Doktrin nicht übertragbar sind.