Seit einigen Wochen herrscht nun ein Ausnahmezustand in Deutschland. Betriebe fahren ihre Produktion runter, Gastronomen müssen ihre Geschäfte schließen und fast eine halbe Million Betriebe zeigen Kurzarbeit an (Stand 4. April)
Inzwischen häufen sich auch Fälle, wonach Unternehmen ihren Mitarbeitern aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie gekündigt haben. Doch geht das so einfach? Wir haben uns einmal näher mit den Voraussetzungen beschäftigt.
I. Findet das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung?
Arbeitnehmer werden durch das KSchG geschützt. Ist das Gesetz anwendbar, kann der Arbeitgeber das bestehende Arbeitsverhältnis nur dann ordentlich kündigen, wenn ein Kündigungsgrund vorliegt
Für die Frage einer Kündigung ist daher zunächst wichtig, ob der gesetzliche Kündigungsschutz greift. Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung, wenn in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer in einem Betrieb beschäftigt werden. Die Berechnung der Arbeitnehmeranzahl ist in kleineren Betrieben zumeist kompliziert und erfolgt nicht nach Köpfen, sondern nach der wöchentlich geschuldeten Arbeitszeit.
Gut zu wissen: Praktikanten, Azubis werden grundsätzlich hierbei nicht mitberechnet.
Praxistipp: Arbeitnehmer mit vor dem 1.1.2004 geschlossenen Arbeitsverträgen genießen Kündigungsschutz bereits ab der Überschreitung des Schwellenwerts von fünf Arbeitnehmern.
Kündigungsschutz genießen Mitarbeiter, die mehr als 6 Monate beim Arbeitgeber beschäftigt sind. Hierbei zählen nicht die tatsächlich geleisteten Arbeitstage. Dies bedeutet, dass auch ein Arbeitnehmer, der keinen Tag gearbeitet hat (bspw. wegen Krankheit), nach sechsmonatigem rechtlichen Bestand des Arbeitsvertrages, Kündigungsschutz genießt. Hart aber wahr.
Liegen diese Voraussetzungen vor, benötigt der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund, wenn er das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen möchte.
Aber Vorsicht: Aber auch wenn man nun zu dem Ergebnis kommt, dass das KSchG keine Anwendung findet, darf nicht der Sonderkündigungsschutz vergessen werden. Als prominenteste Beispiele sind hier der besondere Kündigungsschutz im Mutterschutz (§ 17 MuSchG), in der Elternzeit (§ 18 Abs.1 BEEG) und des Betriebsratsmitglieds (§ 15 Abs.1 KSchG) zu nennen. Das ist freilich keine abschließende Aufzählung. Sonderkündigungsvorschriften sind verstreut über verschiedenste Gesetze und teilweise schwer aufzufinden.
Praxistipp: Erst den Sonderkündigungsschutz prüfen, bevor man die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes prüft und komplizierte sowie zeitraubende Berechnungen durchführt.
Exkurs Form und Frist:
Eine Kündigung muss schriftlich ausgesprochen werden und dem Empfänger im Original zugehen. Erst ab dem Zeitpunkt des Zugangs der schriftlichen Kündigungserklärung im Original beim betroffenen Arbeitnehmer entfaltet sie Wirksamkeit. Andernfalls ist sie nicht wirksam. Dass die Kündigung tatsächlich auch beim Arbeitnehmer zugegangen ist, muss grundsätzlich vom Arbeitgeber bewiesen werden. Vorsicht ist daher bei der Übersendung geboten. Übersendung via Einschreiben/Rückschein sind hier nicht zu empfehlen. Vielmehr sollte immer ein Boten-/ Kurierdienst für die Übersendung von Arbeitsvertragskündigungen beauftragt werden.
Zudem muss die Frist eingehalten werden. Die Fristen sind regelmäßig in den Arbeitsverträgen vereinbart. Sind hier keine Regelungen getroffen worden, finden die gesetzlichen Kündigungsfristen Anwendung.
Besondere weitere Formalien sind beispielsweise bei mitbestimmten Arbeitgebern (zwingende Anhörung des Betriebsrats) oder zu kündigenden Arbeitnehmern mit einer attestierten Schwerbehinderung (vorherige Zustimmung des Integrationsamtes) erforderlich.
II. Welcher Kündigungsgrund kommt in Betracht?
Insofern das Kündigungsschutzgesetz wie oben beschrieben Anwendung findet, bedarf es eines verhaltensbedingten, personenbedingten oder betriebsbedingten Kündigungsgrundes. Während bei der verhaltensbedingten Kündigung der Arbeitnehmer Anlass zur Kündigung gegeben haben muss, kann der Arbeitnehmer bei der personenbedingten Kündigung aus Gründen, die in seiner Person liegen, seinen Arbeitsvertrag nicht mehr erfüllen. Diese beiden Kündigungsgründe stehen aber nicht unmittelbar im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Unternehmen im Zuge der Corona-Krise. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig der betriebsbedingte Kündigungsgrund entscheidend sein.
III. Voraussetzungen einer ordentlich, fristgemäßen betriebsbedingten Kündigung
Nach § 1 Abs. Abs. 2 KSchG setzt die Wirksamkeit einer ordentlich, fristgemäßen betriebsbedingten Kündigung voraus, dass dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem betroffenen Betrieb dauerhaft nicht mehr möglich machen.
Gut zu wissen: Außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen wurden bislang von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung nur in absoluten Ausnahmefällen als wirksam beurteilt. Durch den Ausspruch einer solchen Kündigung drohen für den Arbeitgeber in den meisten Fällen finanzielle Belastungen durch Urlaubsabgeltungsansprüche nach § 7 Abs.4 Bundesurlaubsgesetz und Verzugslohnansprüche.
Praxistipp: Der Ausspruch einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung ist nur dann praktikabel, wenn sämtliche (!) denkbaren Alternativen, das Arbeitsverhältnis fortzuführen, ausscheiden. Zusätzlich müssen alle Voraussetzungen wie bei einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung vorliegen. Dies ist schwer zu argumentieren, sodass vor Ausspruch einer solchen Kündigung anwaltlicher Rat einzuholen dringend empfohlen wird.
Für eine betriebsbedingte Kündigung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt werden:
1. Besteht ein dringendes betriebliches Erfordernis?
Zunächst muss daher ein dringendes betriebliches Erfordernis vorliegen. Dazu zählen außerbetriebliche Gründe wie ein Auftragsmangel oder Umsatzrückgang und interne Gründe wie Umstrukturierungen des Betriebs. Wichtig ist, dass zum Zeitpunkt der Kündigung feststeht, dass der Beschäftigungsbedarf dauerhaft entfällt.
Die Corona-Krise kann außerbetriebliche Gründe für den Wegfall der Beschäftigung schaffen, wie beispielsweise einen Auftragseinbruch. Allerdings muss der Arbeitgeber im Klageverfahren den Nachweis dafür erbringen, dass die Beschäftigung auch dauerhaft weggefallen ist. Gerade die Dauerhaftigkeit des Wegfalls dürfte im Einzelfall schwer zu begründen sein, da unklar ist, wie lange die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie andauern und dementsprechend für viele Unternehmer zumindest derzeit noch unklar ist, wie lange ihnen Aufträge wegbrechen oder der Betrieb geschlossen bleibt. Eine Dauerhaftigkeit besteht jedenfalls nicht aufgrund der Tatsache, dass es nur vorübergehend zu einem Auftragseinbruch gekommen ist oder der Betrieb vorübergehend geschlossen bleiben muss. Hier zeigt sich die Schwierigkeit im Zusammenhang mit den Eindämmungsmaßnahmen der Länder. Die entsprechenden Allgemeinverfügungen und Verordnungen sind zeitlich befristet. Derzeit ist völlig offen, ob oder wie lange die Maßnahmen verlängert werden. Gerade bei den außerbetrieblichen Umständen dürfte es für die Arbeitgeber daher schwierig werden, die Dauerhaftigkeit des Wegfalls des Arbeitsplatzes nachzuweisen.
2. Kommen andere Arbeitsplätze in Betracht?
In einem zweiten Schritt muss der Arbeitgeber klären, ob andere freie Arbeitsplätze im Betrieb existieren, die die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ermöglichen. Nur dann ist die Kündigung wirksam. Ist hingegen ein freier Arbeitsplatz im Betrieb vorhanden, auf dem der Arbeitnehmer weiter beschäftigt werden kann, dann kann dem Arbeitnehmer nicht wirksam gekündigt werden.
3. Ist eine Sozialauswahl erfolgt?
Sind die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllt, gilt es zusätzlich eine Sozialauswahl zu treffen. Denn nicht jeder ältere, verheiratete, schwerbehinderte, unterhaltsverpflichtete oder schlichtweg in der Vergangenheit unliebsame Arbeitnehmer kann in finanziellen Krisenzeiten wirksam weggekündigt werden. Die Sozialauswahl legt fest, nach welchen sozialen Kriterien die Mitarbeiter ausgewählt werden, die von einer Kündigung betroffen sein können. Man schaut sich zunächst den konkreten Betrieb, Bereich und Arbeitsplatz aller Mitarbeiter an, die von einer Kündigung betroffen sein sollen. Innerhalb dieser Organisationseinheit schafft man sodann Vergleichsgruppen, bspw. Verkäufer bei einem Bekleidungsunternehmen mit mehreren Shops am Standort Friedrichstr. XXX, Berlin Mitte.
Innerhalb der Vergleichsgruppe vergibt man daraufhin für die folgenden Kriterien Sozialpunkte:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- Lebensalter,
- Unterhaltspflichten (Verheiratet und/oder Kinder),
- Schwerbehinderung
Beispiel: Verkäufer*in seit 15 Jahren beschäftigt, 50 Jahre, Grad der Schwerbehinderung wegen vormaliger Krebserkrankung 50%, verheiratet, 2 Kinder erhält die maximale Sozialpunktzahl und einen erhöhten Schutz innerhalb der Vergleichsgruppe.
Regelmäßig wird eine Kündigung daher eher junge, unverheiratete und gesunde Mitarbeiter treffen, die noch nicht lange in dem Unternehmen beschäftigt sind. Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage (nur innerhalb von 3 Wochen nach Zustellung der Kündigung möglich!), muss der Arbeitgeber vor Gericht die Gewichtung der Kriterien darlegen und auch beweisen können. Der Arbeitgeber darf jedoch einzelne Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausnehmen (z.B. Arbeitnehmer mit besonderen Kenntnissen und Leistungen).
Exkurs Massenentlassungen:
Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern sollten immer dann, wenn beabsichtigt ist mehreren Arbeitnehmern zu kündigen, die Regelungen des § 17 KSchG beachten. Danach muss unter bestimmten Umständen eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit noch vor Zustellung der Kündigungserklärung erfolgen. Insofern der Arbeitgeber mitbestimmt ist, muss noch zusätzlich der Betriebsrat an dem Verfahren beteiligt werden. Werden bestimmte Muss-Vorgaben des § 17 KSchG nicht eingehalten, führt dies zur Unwirksamkeit aller Kündigungen und/ oder Aufhebungsverträge. Aufgrund der Fehleranfälligkeit sollte man sich an einen Rechtsanwalt wenden, wenn Massenentlassungen geplant sind. Vorsicht: Aufhebungsverträge werden hier wie Kündigungen behandelt!
IV. Was gilt es in der Corona-Krise zu beachten?
Eine Kündigung kann stets nur das letzte Mittel der Wahl sein. Der Arbeitgeber sollte daher auch über Alternativen nachdenken. So gibt es umfangreiche Finanzhilfen der Länder und des Bundes. Mehr Informationen dazu haben wir hier bereitgestellt. Auch wurden die Voraussetzungen für die Kurzarbeit gelockert. Eine Alternative kann daher die vorübergehende Einführung von Kurzarbeit sein. Mehr Informationen finden sich hierzu hier.
Weitere Möglichkeiten des Arbeitgebers haben wir hier einmal näher erläutert.
Zu beachten ist, dass ein Arbeitsgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die möglichen Alternativen dahingehend prüfen wird, ob diese mildere, gleichermaßen geeignete Mittel darstellen.
Dennoch schließt die grundsätzliche Möglichkeit der Kurzarbeit betriebsbedingte Kündigungen nicht aus. Das gilt auch dann, wenn Kurzarbeit angezeigt und Kurzarbeitergeld beantragt wurde. In diesem Fall ist aber genau darauf zu achten, dass sich die Situation gegenüber der Anzeige der Kurzarbeit noch einmal verschlechtert hat und der Arbeitgeber von einem dauerhaften (und nicht nur vorübergehenden) Wegfall des Arbeitsplatzes ausgeht. So hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass eine betriebsbedingte Kündigung nicht nur auf die Gründe gestützt werden darf, die für die Beantragung der Kurzarbeit angeführt wurden. Vielmehr müssen neue Gründe hinzutreten oder bestehende Umstände müssen sich geändert haben und zu einem dauerhaften Wegfall der Arbeit führen (vgl. BAG, Urteil vom 23.02.2012, Az. 2 AZR 548/10, juris).
Dies ist ein schwieriger Spagat. Wenn Arbeitgeber daher nicht planen, den eigenen Betrieb dauerhaft zu schließen/ stillzulegen, sondern nur einzelnen Mitarbeitern aufgrund der wirtschaftlichen Situation im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zu kündigen, sollte man Vorsicht walten lassen.
V. Empfehlung:
Die vorgenannten Ausführungen zeigen, dass man mit dem Ausspruch von (betriebsbedingten) Kündigungen im Zuge der Covid-19-Pandemie vorsichtig sein sollte. Es bestehen eine Vielzahl rechtlicher Fallstricke. Gehen die betroffenen Arbeitnehmer gegen die Kündigungen vor, droht die Gefahr, dass die Kündigungen von den Arbeitsgerichten als unwirksam angesehen werden. Wird dort festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet wurde, drohen erhebliche Zahlungen von Verzugslohn. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass sich Verfahren vor den Arbeitsgerichten in die Länge ziehen werden, da auch die Gerichte im Zuge der Corona-Krise nur noch eingeschränkt arbeiten. Wenn man dennoch zu Kündigungen tendiert, sollte man zuvor eine anwaltliche Beratung in Erwägung ziehen.
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