Nach Kartellabsprachen zum Nachteil der Schlecker Unternehmensgruppe rettet der BGH nun eine Schadensersatz-Forderung in Millionenhöhe der Insolvenzverwalter vor der endgültigen Niederlage und gibt Gläubigern von Schlecker damit Hoffnung.
Ausgangslage: Das Drogeriekartell
Der BGH hat mit Urteil vom 29.11.2022 (Az. KZR 42/20) über die Revision des Schlecker-Insolvenzverwalters hinsichtlich einer Schadensersatzforderung der Schlecker e.K. i.L. gegen mehrere Hersteller von Marken-Drogerieartikel, die Teil eines Drogeriekartells waren, entschieden. Das Kartell hatte zwischen 2004 und 2006 Informationen über anstehende Preiserhöhungen, neue Rabattforderungen und Verhandlungen mit den Einzelhändlern, u.a. auch Schlecker, ausgetauscht.
Das Bundeskartellamt wurde durch den Kronzeugen Colgate Palmolive GmbH auf das sogenannte „Drogeriekartell“ aufmerksam und verhängte zwischen 2008 und 2013 diverse Bußgelder gegen die Beteiligten. Darunter waren unter anderem die Beiersdorf AG – Mutterkonzern von bekannten Drogeriemarken wie Nivea, Eucerin oder Hansaplast, sowie L’Oréal und Gillette.
Auf das Bekanntwerden des Drogeriekartells reagierte der Insolvenzverwalter der Schleckergruppe mit einer Schadensersatzklage in Höhe von min. 212,2 Mio. Euro auf Grundlage des § 33 GWB (heute § 33a GWB) und unterlag dabei sowohl in der ersten, als auch in der zweiten Instanz.
Auf die Revision des Klägers hat der BGH die Klage nun zurück ans OLG verwiesen.
Schadensersatzforderungen bei Kartellbetroffenheit: eine kurzer Überblick
Der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch steht nur den von Kartellrechtsverstößen betroffenen Markteilnehmern zu.
Das klassische „Hinterzimmer-Kartell“ (sogenanntes „Hardcore-Kartell“), bei dem sich verschiedene Unternehmen heimlich treffen, um konkrete Preise zu verabreden, um ihre jeweiligen Profitraten steigern wollen, ist das wohl bekannteste Bild eines kartellrechtlichen Verstoßes. Tatsächlich sind diese klassischen Kartelle nur noch ein Ausnahmefall.
Die Kartellstrukturen sind heutzutage meist erheblich subtiler. Typisch für ein modernes Kartell ist, wie im vorliegenden Fall, der Informationsaustausch innerhalb eines sogenannten „Hubs“. Im Fall des Drogeriekartells geschah dieser Austausch im Rahmen regelmäßig stattfindender Treffen des Arbeitskreises „Körperpflege, Wasch- und Reinigungsmittel“ des Markenverband e.V.
Die Kartellmitglieder tauschen dabei wettbewerbsrelevante Informationen bei regelmäßigen Treffen aus, die nach außen den Anschein unproblematischer Vernetzung mehrerer Unternehmen erwecken sollen (so war der Arbeitskreis „Körperpflege, Wasch- und Reinigungsmittel“ eigentlich zur Verhinderung wettbewerbsfremder Praktiken gedacht). Durch die erlangten Informationen sind die Unternehmen dann in der Lage, ihr Preisverhalten aufeinander abzustimmen. Das Ergebnis ist dasselbe, wie beim klassischen Kartell: Für die Abnehmer und deren Endkunden (also die Verbraucher) steigen die Preise.
Solche reinen Informationskartelle sind für die Kartellbehörden erheblich schwieriger aufzudecken. Meist ist ein Kronzeuge aus dem Kreis der Beteiligten notwendig; so war es auch beim Drogeriekartell.
Je komplexer das Kartell, desto schwieriger wird dem betroffenen Marktteilnehmer auch der Beweis, dass tatsächlich eine Betroffenheit durch das Kartell vorliegt und ob überhaupt ein Schaden entstanden ist. Wie also vor Gericht beweisen, dass man persönlich von der kartellbedingten Preisentwicklung betroffen ist und einen Schaden erlitten hat?
Heute hilft einem dabei § 33a Abs. 2 S. 1 GWB, wonach widerleglich vermutet wird, dass ein Kartell einen Schaden verursacht. § 33a Abs. 2 S. 1 GWB setzt einen in der Rechtsprechung schon etablierten ökonomischen Erfahrungssatz um, wonach „eine große Wahrscheinlichkeit“ besteht, dass die an einem Kartell beteiligten Wettbewerber gemeinsam ein höheres Preisniveau erreichen. Der mutmaßlich Geschädigte kann sich also meist darauf berufen, dass ein Kartell aller Erfahrung nach auch einen Schaden verursacht hat, weil die Preise durch wettbewerbswidriges Verhalten gestiegen sind. Daraufhin sind die Kartellmitglieder in der misslichen – aber durch ihre nachgewiesene Kartellmitgliedschaft gerechtfertigten Lage – zu beweisen, dass das Preisniveau nicht von Ihren Absprachen betroffen war und dass ihren Abnehmern kein Schaden entstanden ist.
III. Das BGH-Urteil
Das OLG war bei der Klage des Schlecker-Insolvenzverwalters in der Vorinstanz noch der Auffassung, dass bei reinen Informationskartellen ein solcher Erfahrungssatz nicht gelten würde. Immerhin sei bei reinen Informationskartellen der Zusammenhang zwischen Absprachen und Preisniveau erheblich unsicherer, denn die Mitglieder hätten zwar einen Wissensvorsprung, aber sie müssten ja immer noch miteinander konkurrieren. Im vorliegenden Fall würde z.B. das Wissen über geplante Preiserhöhungen der Konkurrenten dazu führen, dass die Geheimhaltung der Wettbewerbsstrategien eingeschränkt wird, aber hinsichtlich konkreter Aufträge würden die Mitglieder immer noch mit niedrigeren Preisen miteinander konkurrieren. Das OLG hat dem Erfahrungssatz deshalb wenig Gewicht beigemessen. Es berief sich in Folge dessen auf ein Urteil des BGH, was den Erfahrungssatz bei sogenannten Quoten- und Kundenschutzkartellen für unanwendbar hielt.
Gegen diese Bewertung richtet sich der BGH nun deutlich. Der Kartellsenat bekräftigt die Wirkung des Erfahrungssatzes auch bei reinem Informationsaustausch. Auf jeden Fall dann, wenn sich über Listenpreise und Verhandlungen mit den Abnehmern ausgetauscht wird, sollen die Instanzgerichte dem Erfahrungssatz weiterhin großes Gewicht beimessen. Vor allem dürften die Gerichte den Erfahrungssatz nicht wegen der Umstände des Einzelfalls von vornherein ablehnen, stattdessen sollen die Umstände des Einzelfalls gegen den Erfahrungssatz abgewogen werden. Für diese Einschätzung wird das Verfahren zurück an das OLG verwiesen.
Auch die 212,2 Mio EUR Schadensersatz können Schlecker nicht mehr retten. Eine erfolgreiche Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs würde aber die Quoten der Insolvenzgläubiger deutlich erhöhen.
Das BGH-Urteil hält die Beweiserleichterungen für Schadensersatzansprüche von Kartellbetroffenen aus überzeugenden Gründen aufrecht. Nicht nur ist § 33a GWB keine Einschränkung auf Hardcore-Kartelle zu entnehmen, auch ist die Beurteilung des OLG hinsichtlich der ökonomischen Wirkungen von reinem Informationsaustausch unangemessen kartellfreundlich.
Natürlich müssen die am Informationsaustausch Beteiligten noch immer in einen konkreten Preiswettbewerb miteinander treten, auch wenn sie einen abstrakten Wissensvorsprung haben, um Aufträge zu erzielen. Die Gefahr für den Wettbewerb liegt aber gerade darin, dass bei diesem Preiswettbewerb der Wissensvorsprung zu einer konkreten Möglichkeit wird, sich zu koordinieren und höhere Preise zu erzielen. Insbesondere kann der Wissensvorsprung dazu führen, dass die von den Kartellmitgliedern angebotenen Preise nicht auf einem gleichniedrigeren Level konkurrieren, wie sie es ohne Informationsaustausch getan hätten. Der BGH weist insoweit in seiner Entscheidung auch richtigerweise auf den unmittelbaren Bezug der ausgetauschten Informationen zur Preisgestaltung hin.
Es ist zudem überzeugend, die Rechtsprechung des BGH zu Quoten- und Kundenschutzkartellen nicht ohne weiteres auf andere Kartelle zu übertragen, die keine Hardcore-Kartelle sind. Das ist besonders dann der Fall, wenn die in Frage stehenden Kartelle unmittelbar Preisinformationen austauschen. Solche Kartelle sind dem Hardcore-Kartell erheblich näher gelagert als Quoten- und Kundenschutzkartellen, bei denen schon aus der Kartellstruktur eine nur mittelbare Wirkung auf das Preisniveau resultiert.
Fazit
Für Betroffene von kartellbedingten Preisveränderungen bedeutet das, dass sie gegenüber den Kartellmitgliedern auch bei komplexen Kartellstrukturen vor Gericht im Vorteil sind, was die Beweislast angeht. Gerade auch wegen diesen Erleichterungen kann es sich bereits für mittlere oder sogar kleine Unternehmen lohnen, über Schadensersatzklagen gegen Kartellmitglieder nachzudenken. Der Gesetzgeber ist aktuell auf der Seite des Klägers, die Schadensersatzforderungen der Betroffenen werden angesichts der zunehmenden Überforderung der Kartellbehörden zu einer immer wichtigeren Stütze der Kartellrechts-Durchsetzung.
Zugleich hat das Urteil auch Auswirkungen auf den Informationsaustausch in Unternehmen, die ihre Produkte sowohl im Vertikalverhältnis an Zwischenhändler vertreiben, als auch im Horizontalverhältnis direkt an Endverbraucher anbieten. Beim gleichzeitigen Angebot im Vertikal- als auch im Horizontalverhältnis sollte auf eine strikte Informationstrennung zur Preispolitik zwischen diesen Vertriebswegen geachtet werden, denn selbst der unternehmensinterne Austausch der Preisgestaltungsinformationen birgt die Gefahr, dass die Preise zu Lasten der Kunden kartellrechtswidrig beeinflusst werden.