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In die nicht selten bemerkenswerten gerichtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit Maßnahmen der Videoüberwachung reiht sich nun eine jüngere des OLG Stuttgart nahtlos ein. In der Sache ging es um den Einsatz von offenbar ausschließlich beobachtender Videotechnik in einem Supermarkt. Der Kläger fühlte sich hiervon beeinträchtigt und nahm den Betreiber des Supermarkts auf Unterlassung und auf Schadenersatz in Anspruch.

Während die Vorinstanz noch beide Ansprüche ablehnte, gab das OLG Stuttgart unter Annahme eines Verstoßes gegen § 4 BDSG und Art. 6 Abs. 1 DSGVO dem Kläger jedenfalls hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs Recht, im Wesentlichen gestützt auf drei Erwägungen:

  1. Es fehle an der Erforderlichkeit der Videoüberwachung (Rz. 17, juris).
  2. Es fehle an einer Festlegung des Zwecks vor Aufnahme der Videoüberwachung (Rz. 18, juris).
  3. Es liege ein Verstoß gegen die Transparenzpflicht im Sinne von § 4 Abs. 2 BDSG vor (Rz. 19, juris).

Alle drei Begründungsansätze sind entweder untauglich oder gehen auf eine mutmaßlich ungenügende Verteidigung des Beklagten zurück (dazu sogleich).

Schon eingangs verwundert jedoch, dass das OLG mit keiner Silbe die wohl herrschende Rechtsauffassung zur fehlenden Anwendbarkeit von § 4 BDSG erwähnt. Auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts soll diese infolge ihrer Unvereinbarkeit mit der DSGVO nämlich ausscheiden (BVerwG, Urt. v. 27.3.2019 – 6C 2.18, NJW 2019, 2556 Rn. 47). Die nationalen Aufsichtsbehörden sehen das genauso (DSK, Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen, Stand 17.7.2020, S. 7), ebenso das Bundesverwaltungsgericht Österreichs zur vergleichbaren Norm des dortigen DSG (öBVwG, Erkenntnis v. 25.11.2019 – W211 2210485-1/10E). Diese Position muss man nicht teilen (Argument z.B.: fehlende Verwerfungskompetenz des BVerwG). Wäre aber das OLG Stuttgart dieser herrschenden Auffassung gefolgt und hätte es stattdessen nur – und nicht kumulativ – Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO angewendet (oder die Frage der Vereinbarkeit von § 4 BDSG gleich den EuGH vorgelegt), wäre das Verfahren möglicherweise anders ausgegangen.

Kritikwürdig ist an diesem Urteil des Weiteren, dass der Senat unbesehen bereits die schlichte Beobachtung mit Videotechnik datenschutzrechtlichen Regularien unterwirft (Rz. 15, juris). Dass die Aufnahmen nicht gespeichert würden, sei irrelevant. Das OLG schließt sich hier der wohl herrschenden Meinung an und verpasst somit die Chance, eigene Akzente zu setzen. Denn: Für die Anwendbarkeit der DSGVO auf Videotechnik muss zweifellos notwendigerweise eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten stattfinden. Dient der Einsatz einer Kamera nur als technisches Hilfsmittel („Kamera-Monitor-System“, „verlängertes Auge“) und findet allein eine Übertragung opto-elektronischer Signale auf einen Bildschirm und damit keine Verarbeitungsphase statt, ist diese Anforderung nicht erfüllt. Die schon in § 6b BDSG a.F. enthaltene übergriffige Regelungstechnik wird durch § 4 BDSG in europarechtswidriger Weise fortgesetzt. Denn datenschutzrechtlich kann es keinen Unterschied machen, ob ein Sachverhalt mit bloßem Auge wahrgenommen wird, durch ein System aufeinander abgestimmter Spiegel weitergeleitet oder ob dieser nach Umwandlung optischer in elektronische Signale wiederum optisch auf einem Bildschirm dargestellt wird. Der Beobachtung per Videotechnik kommt bei einer am Zweck des Datenschutzes, dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung, orientierten Betrachtung also erst dann datenschutzrechtliche Relevanz zu, wenn die Aufnahmen auch aufgezeichnet oder zumindest ausgewertet werden. Diese Sichtweise führt auch nicht zu Schutzlücken für die beobachtete Person, da unter persönlichkeitsrechtlichen Aspekten bei der Benutzung von nur beobachtender Videotechnik gleichwohl Transparenzpflichten sowie ggf. Abwehransprüche gegenüber dem Verwender solcher technischen Hilfsmittel bestehen. Unter diesem Gesichtspunkt hätte das OLG die Videobeobachtung ohne Weiteres bewerten können, möglicherweise sogar mit demselben Ergebnis.

Zurück zu § 4 BDSG und der entlang dieser Norm vorgenommenen Argumentation des Gerichts.

Argument 1

Soweit des OLG die fehlende Erforderlichkeit der Videobeobachtung infrage stellt, scheint es von der eigenen Argumentation selbst nicht so recht überzeugt. Ob die Videobeobachtung gerechtfertigt ist, sei lediglich „im Hinblick auf weniger einschneidenden Maßnahmen (andere Aufteilung des Raumes und der Waren, Spiegel, Kontrollgänge des Personals etwa) nicht festzustellen“. Die durch das OLG benannten „weniger einschneidenden Maßnahmen“ erweisen sich bei genauerem Hinsehen auch nicht als solche. Ausweislich der nur kurzen Tatbestandsdarstellung durch die Vorinstanz, hatte der Beklagte lediglich in „ausgewählten Bereichen“ Videokameras installiert, namentlich „im Bereich der Fleischtheken, der Verkaufskassen und im hinteren Ladenbereich“.

Eine „andere Aufteilung des Raumes und der Waren“ zu fordern, ist an dieser Stelle offenkundig unverhältnismäßig und verkennt die im stationären Einzelhandel geübte und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zwingende Logik der laufwegeorientierten Warenplatzierung und -präsentation. Ob das Anbringen von Spiegeln in einem Supermarkt wirklich eine Alternative zu Videobeobachtung sein kann, ist eine Frage des Einzelfalls, typischerweise aber zweifelhaft. Eine Maßnahme muss aber zumindest annähernd gleich wirksam sein, um im Rahmen der Erforderlichkeit als mildere Alternative zu erscheinen. Und Kontrollgänge des Personals? Neben der auch hier fragwürdigen vergleichbaren Geeignetheit der Maßnahmen, müssen Alternativen dem Verantwortlichen auch objektiv zumutbar sein. Dabei spielt der Kostenfaktor eine wesentliche Rolle, worauf das Gericht auch selbst im Ansatz hinweist („…die wirtschaftliche Zumutbarkeit nicht außer Acht gelassen werden darf“). Wenn aber durch den Einsatz von Videotechnik Kosten für (Sicherheits-)Personal eingespart werden soll, kann dem der Datenschutz zumindest auf der Ebene der Erforderlichkeit nicht entgegengesetzt werden. Erforderlichkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Ausfüllung und Konkretisierung im Einzelfall bedarf. Zu beachten ist hier der zweigliedrige Regelungsansatz der DSGVO, wonach einerseits die Verarbeitung von personenbezogenen Daten nur in Ausnahmefällen gestattet, andererseits die Grundfreiheit der Datenverarbeitung nicht beschränkt werden soll (vgl. Art. 1 DSGVO). Entsprechend darf der Grundsatz der Erforderlichkeit nicht im Sinne einer zwingenden Notwendigkeit überinterpretiert werden. Verlangt werden muss lediglich, dass die Datenverarbeitung zur Erreichung des Zwecks objektiv tauglich ist und eine für die betroffene Person weniger invasive Alternative entweder nicht vorliegt oder für den Verantwortlichen nicht zumutbar ist. Der auch durch das OLG zugrunde gelegte enge Erforderlichkeitsmaßstab verkennt, dass die eigentliche Rechtmäßigkeitsprüfung erst auf der Ebene der Interessenabwägung erfolgt.

Unter Verweis auf die Beweislast des Beklagten werden derlei Erwägungen durch das Gericht aber überhaupt nicht angestellt. Das Gericht ging nämlich davon aus, dass entlang der Rosenbergschen Formel¹ in Verbindung mit dem Accountability-Prinzip des Art. 5 Abs. 2 DSGVO der Beklagte den Beweis der Rechtmäßigkeit der Videobeobachtung hätte führen müssen. Ob Art. 5 Abs. 2 DSGVO zu einer solchen Beweislastumkehr zulasten des Verantwortlichen auch im Zivilprozess führt, ist umstritten und soll hier nicht ausgeführt werden. In Schadenersatzklagen auf Grundlage von Art. 82 DSGVO sah der Schwestersenat des erkennenden Gerichts diesen Punkt allerdings nur zwei Monate vor der hier betrachteten Entscheidung noch völlig anders und erkannte, dass die DSGVO „nichts daran [ändere], dass die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für eine haftungsbegründende Pflichtverletzung der Beklagten trägt.“

Argument 2

Die Videobeobachtung sei „jedenfalls“ (Rz. 33, juris) infolge des Fehlens einer vorherigen Zweckbestimmung rechtswidrig. Das OLG verweist an dieser Stelle auf § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG. Hiernach ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen zulässig, soweit sie „zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen überwiegen.“

Die Beklagte hat hierzu aus nicht bekannten und auch insoweit unerklärlichen Gründen offenbar nichts vorgetragen (Rz. 18, juris). Dies zu tun wäre ein Leichtes gewesen und zwar auch ganz ohne gegen die zivilprozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) zu verstoßen: Zum Zeitpunkt der Installation der Kameras wird sich der Beklagte schon Gedanken gemacht und Zwecke definiert haben. Wenn das Gericht darüber hinaus eine schriftliche oder elektronische Dokumentation fordert (Rz. 18, juris), um die Verarbeitung grundsätzlich als rechtmäßig einzustufen zu können, irrt es. Eine solche Dokumentation ist zwar im Rahmen der Nachweis- und Beweisführung sinnvoll, wie der vorliegende Fall eindrücklich zeigt. Allerdings wiederholt die deklaratorische Vorgabe des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG an dieser Stelle (in europarechtlich bedenklicher Weise) lediglich die in Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO normierte Pflicht zur Festlegung eindeutiger, legitimer Zwecke vor Aufnahme einer Verarbeitung. Eine Vorgabe zur Form der Zweckfestlegung kennt diese höherrangige Vorschrift jedoch nicht.

In der Urteilsbegründung finden sich zudem auch keine Ausführungen zu § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG und der dort normierten Zulässigkeit von Maßnahmen der Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts. Mutmaßlich hatte der Beklagte auch hierzu nicht vorgetragen, dies aber tun sollen. Das Überwachungsinteresse des unmittelbaren Besitzers einer Immobilie, der nicht notwendigerweise der Eigentümer sein muss, ist im Rahmen der Wahrnehmung des Hausrechts nämlich grundsätzlich als berechtigt einzuordnen. Der Inhaber des Hausrechts ist grundsätzlich befugt, die zum Schutz des Objekts bzw. zu Abwehr von Gefahren innerhalb eines Objekts erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

Argument 3

Nach allem falle Argument 3, d.h. die zum Zeitpunkt der Beobachtung nicht erfolgte Kenntlichmachung der Videobeobachtung, nicht weiter ins Gewicht (Rz. 33, juris). Das mag im Ergebnis richtig sein. Das Nichteinhalten von Transparenzvorgaben hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit einer Datenverarbeitung. Auch diesen Punkt scheint das OLG jedoch anders zu sehen. Anders wäre es jedenfalls nicht zu erklären, dass das Gericht dem Transparenzgedanken gleichwohl breite Beachtung schenkt.

In der Gesamtschau hinterlässt die Entscheidung des OLG Stuttgart einen faden Nachgeschmack. Weder die Argumentation des Gerichts, noch die Rolle des Beklagten wirken sonderlich souverän.

Zum Schluss dennoch eine positive Botschaft

Schadenersatz wollte das OLG dem Kläger dann letztlich nicht zusprechen. Für einen solchen sei der Nachweis eines erheblichen Schadens erforderlich, was vorliegend durch den Kläger nicht dargetan wurde.