„Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust!“. Freilich werden Künstler, Kunstsammler oder Museumsdirektoren diesem schönen Satz des russischen Anarchisten Michail Bakunin kaum etwas abgewinnen können, wenn zuvor ein Delinquent cuttermessernd eines ihrer Gemälde durchsiebt hat. Im Gegenteil: Viele von ihnen hüten Millionenwerte und geben Millionen aus, um diese zu bewahren. Ihr Albtraum ist die Zerstörung eines wichtigen, wertvollen Werkes.
In der Regel ist der entstandene finanzielle Schaden – teure Kunstwerke sind meistens versichert – ein verhältnismäßig geringes Übel. Weitaus schwerer zu verkraften ist der unwiederbringliche Verlust eines einzigartigen Gegenstandes, der seinen Urheber Zeit, Arbeit und Kreativität gekostet hat. Dass ein Kunstwerk durch eine substantielle Beschädigung nicht an Ästhetik oder zumindest an materiellem Wert einbüßt, ist und bleibt die Ausnahme. Als prominentes Beispiel dafür kann die Aktion des Künstlers Banksy auf einer Sotheby´s-Auktion in London im Oktober des vergangenen Jahres gelten. Nachdem einem Gebot in Höhe von einer Million Pfund der Zuschlag erteilt wurde, schredderte eine im Bilderrahmen versteckte Maschine den Großteil des Gemäldes. Anschließend wurde der Marktpreis des Gemäldes auf zwei Millionen Pfund geschätzt. Medienberichten zufolge, entschloss sich daraufhin ein Sammler, auf eine Wertsteigerung setzend, seinen 40.000 Pfund teuren Banksy zu zerschneiden. Diese Aufwertung senkte den Wert des Werkes auf einen Bruchteil herab. Von Experten bewertet wurde sie – vergleichbar einer Alarmanlage mit Snooze-Taste – als äußerst töricht.
Doch Kunst fällt nicht nur solch einfallsreichen Spekulanten oder blinder Zerstörungswut, sondern oft auch einem Konflikt zwischen Urheber und Eigentümer zum Opfer. Problematisch werden diese Interessenkollisionen, wenn um ausladende, in Bauwerke integrierte Kunstwerke, gestritten wird. Meistens handelt es sich dabei um Fallkonstellationen, in denen der Eigentümer nur durch Zerstörung des Werkes ein Gebäude nach seinen Wünschen umgestalten oder gar abreißen lassen kann.
Wie ist dieser Zwiespalt zwischen Eigentumsrecht und Urheberrecht zu lösen? Kann sich ein Urheber gegen die Zerstörung seines Werkes, das im Eigentum eines anderen steht, wehren?
Insbesondere die zweite Frage ist der Rechtswissenschaft gewiss nicht neu. Urheberrechtler streiten seit langem über die richtige Antwort. Im Kern geht es bei der Diskussion um die Auslegung des § 14 Urheberrechtsgesetz (UrhG). Unter dessen amtlicher Überschrift „Entstellung des Werkes“ geschrieben steht:
„Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.“
Der Großteil des urheberrechtlichen Schrifttums sieht in der Vernichtung eines Werkes weder eine Entstellung noch eine sonstige Beeinträchtigung. Auch das Reichsgericht stellte zum Verhältnis zwischen Eigentümer und Werk bereits 1912 in einem obiter dictum zur Entscheidung „Felseneiland mit Sirenen“ fest: „Ja man wird ihm für den Regelfall auch das Recht nicht versagen können, es völlig zu vernichten.“ Nur eine Minderansicht in der Literatur sieht die Zerstörung eines Werkes als andere Beeinträchtigung in ihrer radikalsten Gestalt an. Nach dieser Auffassung sei § 14 UrhG auf Zerstörungsfälle anwendbar, sodass die von der Norm vorgegebene Interessenabwägung vorzunehmen sei. Nur so könne die Rechtsmäßigkeit einer Werkvernichtung festgestellt werden.
Nun durfte der Bundesgerichtshof (BGH) zum ersten Mal seine Sicht der Dinge darlegen. Drei Fälle entschied sein erster Zivilsenat am 21. Februar 2019 durch Urteile, deren Gründe noch nicht veröffentlicht sind.
Streitgegenstand des ersten BGH-Verfahrens (I ZR 15/18) war eine Raumgestaltung in einer Berliner Schwarzlicht-Minigolfanlage, die zwei Jahre nach Fertigstellung zerstört wurde. Die klagenden Urheber begehrten Schmerzensgeld wegen der Verletzung ihres Urheberpersönlichkeitsrechts. In der Vorinstanz hat das Kammergericht (KG) der Rauminstallation zwar urheberrechtlichen Schutz zugesprochen, sah ihre Zerstörung aber als rechtens an. Insbesondere greife § 14 UrhG nicht, da die Vernichtung eines Werkes nicht als andere Beeinträchtigung im Sinne der Vorschrift anzusehen sei. Dem widersprach der BGH und stellte sich gegen das KG sowie die herrschende Literaturmeinung: Die Werkzerstörung ist als andere Beeinträchtigung vom Anwendungsbereich des § 14 UrhG erfasst. Insofern hätte das KG prüfen müssen, ob das Interesse der Urheber an der Erhaltung oder das des Eigentümers an der Zerstörung überwiegt. Deshalb verwies der BGH die Sache zurück ans KG, damit dort die erforderliche Interessenabwägung nachgeholt und eine Entscheidung getroffen werden kann.
Im zweiten Verfahren (I ZR 98/17) ging es um ein Werk namens „HHole for Mannheim“ der Künstlerin Nathalie Braun Barends. Die Rauminstallation, über sieben Etagen gehend, in die Mannheimer Kunsthalle fest integriert, sollte einem Umbau des Museums weichen. Teile der Installation wurden bereits abgetragen. Mit ihrer Klage begehrte die Künstlerin den Wiederaufbau der Installation sowie die Zahlung einer angemessenen Vergütung. Auch der dritte vom BGH entschiedene Fall (I ZR 99/17) hat ein Werk von Nathalie Braun Barends, „PHaradies“, zum Gegenstand. Es ist bereits vollständig abgebaut worden.
Im Gegensatz zum KG hatte die Vorinstanz – das OLG Karlsruhe – in beiden Fällen angenommen, dass die Vernichtung eines Werks als andere Beeinträchtigung gelten muss. Jedoch gewichtete der BGH (wie auch schon das OLG) das Abbauinteresse des Museums höher als das der Künstlerin am Erhalt der Werke. Somit ist die Zerstörung der Installationen zulässig. Den Vergütungsanspruch der Klägerin für „HHole for Mannheim“ erkannte der BGH dennoch an.
De facto hat der BGH mit diesen drei Grundsatzentscheidungen die Rechte der Urheber gestärkt. Ihnen steht nun ein Weg offen, sich gegen die Vernichtung ihrer Werke zu wehren. Das ist zu begrüßen, zumal die bislang herrschende Auffassung nicht plausibel erklären konnte, weshalb die Werkvernichtung immer rechtmäßig war, während eine gravierende Veränderung eines Werkes im Einzelfall unzulässig sein konnte. Weil § 14 UrhG eine Interessenabwägung vorsieht, wird auch das Recht des Eigentümers, nach seinem Belieben mit dem Werkexemplar zu verfahren, nicht übermäßig entwertet.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein Urheber von vornherein gegenüber dem Eigentümer in eine zukünftige Zerstörung des Werkes einwilligen kann. Dann könnten sich Werkeigentümer durch vertragliche Regelungen absichern und auch Urheber wüssten woran sie sind. Sinnvoll könnte das in Fällen sein, in denen bereits bei Vollendung des Werkes klar ist, dass bauliche Veränderungen (z. B. wie im Mannheimer Fall an einem Museum) den Abbau des Werkes notwendig machen werden. Als unabdingbar sah der BGH im Jahr 1971 den Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts an – auch bei Einräumung eines unbeschränkten Änderungsrechts brauche der Urheber eine grobe Entstellung seines Werkes nicht zu dulden (BGH, Urteil vom 27.11.1970 – I ZR 32/69 – „Das zweite Mal“). Ob nach den drei jüngsten BGH-Entscheidungen etwas anderes gelten muss, wenn in die Vernichtung eingewilligt wird oder ob eine solche Zustimmung nicht in unzulässiger Weise den Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts berührt, ist diskussionswürdig. In jedem Fall könnte eine solche Vereinbarung als Indiz dafür gelten, dass ein überwiegendes Interesse des Eigentümers an der Werksdemontage besteht, da der Urheber frühzeitig Kenntnis vom künftigen Schicksal seines Werks haben musste.
Fest steht jedoch, dass die nunmehr vorzunehmenden Interessenabwägungen zu gerechteren Ergebnissen führen und zukünftig Streitigkeiten um die Zerstörung urheberrechtlicher Werke entscheiden werden.