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Unsere Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen einen Ordnungsgeldbeschluss des OLG Dresden auf Grundlage eines urheberrechtlichen Unterlassungstitels, den die Blizzard Entertainment SAS gegen den Bot-Hersteller Bossland u.a. wegen des Spiels „World of Warcraft“ vor dem LG Leipzig erwirkt hatte. Das BVerfG stellte nun fest, dass der Ordnungsgeldbeschluss unter Verletzung des Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG ergangen ist.

Nach unserer Verfassungsbeschwerde vom 3.5.2017 (!) hat das BVerfG nun endlich, nach fast 6 Jahren, mit Beschluss vom 13. April 2022 (1 BvR 1021/17), einen Ordnungsgeldbeschluss gegen unseren Mandanten, den Geschäftsführer eines Bot-Herstellers aufgehoben und zur Entscheidung an das OLG Dresden zurückverwiesen.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war ein krasser Fall willkürlicher und verfassungswidriger Rechtsanwendung durch das Oberlandesgericht Dresden.

Was ist der Hintergrund?

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen einen Ordnungsgeldbeschluss des OLG Dresden in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Blizzard Entertainment SAS (nachfolgend „Blizzard“) einerseits und unserem Mandanten andererseits.

Blizzard ist einer der globalen Marktführer im Bereich der (Online-)Computerspiele. Blizzard entwickelt und vertreibt unter anderem die Spiele World of Warcraft (WoW) und Diablo III. Unser Mandant war Mitgeschäftsführer der Bossland GmbH (nachfolgen „Bossland“), deren Gesellschaftszweck in der Entwicklung und im Vertrieb von Softwarelösungen für Computerspiele lag. Das Geschäftsmodell der Bossland GmbH basierte darauf, diverse Bots (d.h. Computerprogramme, die weitgehend automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeiten, ohne dabei auf eine Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein) gegen Entgelt als Zubehör zu einem Computerspiel anzubieten. Eine Veränderung der Software des Spiels erfolgte nicht.

Blizzard führte eine Vielzahl von gerichtlichen Verfahren gegen unseren Mandanten und Bossland, die zunächst von Rechtsanwalt Marian Härtel allein und ab 2017 sodann auch durch uns betreut wurden. Unter anderem hatte Blizzard, gestützt auf deutsches Urheberrecht, unseren Mandanten vor dem LG Leipzig erfolgreich auf Unterlassung der Vervielfältigung von Softwarekomponenten der Spielesoftware zu gewerblichen Zwecken in Anspruch genommen.

Das LG Leipzig untersagte unserem Mandanten mit Urteil vom 15.7.2014 – 5 O 1115, das der BGH in seiner World of Warcraft I -Entscheidung im Wesentlichen bestätigte:

„selbst oder durch Dritte (einschließlich einer von ihm vertretenen juristischen Person) die Client-Software für die Online-Spiele […] ganz oder teilweise, dauerhaft oder vorübergehend zu gewerblichen Zwecken zu vervielfältigen, insbesondere indem er selbst oder durch Dritte Teile der Client-Software für die Online-Spiele […] auf die Festplatte eines PC kopiert und/oder in den Arbeitsspeicher lädt […], um zu gewerblichen Zwecken eine Automatisierungssoftware für diese Spiele herzustellen und/oder zu bearbeiten“.

Der Urteilstenor traf keine Aussage dazu, dass das Verbot nur Vervielfältigungshandlungen in Deutschland erfasst. Das ergibt sich jedoch zwingend aus dem Titel selbst, der ausschließlich auf (deutsches) Urheberrecht gestützt ist. Zudem ergibt sich dies aus dem Inhalt des Erkenntnisverfahrens.

Blizzard stellte den Bestrafungsantrag mit der Behauptung, dass unser Mandant gegen die Unterlassungsverpflichtung verstoßen habe. Das LG Leipzig lehnte die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ab, weil eine Vervielfältigung im Inland nicht feststellbar war. Das OLG Dresden setzte auf die Beschwerde von Blizzard ein Ordnungsgeld gegen unseren Mandanten fest. Das OLG Dresden erklärte die Frage des Begehungsortes der Vervielfältigung und damit die allein auf deutsches Urheberrecht gestützte Grundlage des Titels für unbeachtlich und warf unserem Mandanten einen Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung vor, weil dieser nur unzureichende Anstrengungen unternommen habe, die (nicht tatbestandsmäßigen) Vervielfältigungshandlungen Dritter im Ausland zu unterbinden. Da unser Mandant im Inland habe handeln müssen, komme es nicht darauf an, dass die Vervielfältigungen nur im Ausland und durch Dritte stattgefunden haben, lautete dabei die Kernaussage des OLG Dresden.

Hiergegen richtete sich unsere Verfassungsbeschwerde. Wir sahen in dem Ordnungsgeldbeschluss insbesondere einen unmittelbaren Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit unseres Mandanten, weil weder das Urteil des LG Leipzig (Titel) in jeder denkbaren verfassungskonformen Auslegung (§ 890 ZPO), noch das Gesetz (§§ 97, 16, 69c UrhG) es rechtfertigen, aus dem Verbot der Vervielfältigung einer fremden Software im Inland ein weltweites Verbot der Weiterentwicklung der eigenen Software abzuleiten. Zum anderen rügten wir eine Verletzung unseres Mandanten in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Begründung, die das OLG Dresden seinem Beschluss gab, war unserer Auffassung klar nicht vom Recht, sondern vom Ergebnis her argumentiert und in sich in einem Maße widersprüchlich, dass die Rechtsanwendung nicht mehr nachvollziehbar war und sich als willkürlich in einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Weise darstellte.

Was entschied das BVerfG?

Das BVerfG gab unserer Verfassungsbeschwerde nun statt. Der Ordnungsgeldbeschluss des OLG Dresden verletzt unseren Mandanten jedenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.

Das BVerfG stellte fest:

„Die vorgenommene Auslegung des Unterlassungstitels durch das Oberlandesgericht ist rechtlich nicht tragfähig und in sich widersprüchlich.

[…]Im Ergebnis untersagt das Oberlandesgericht die weltweite Herstellung der Bot-Software selbst sowie bereits das Unterlassen des Einwirkens im Inland darauf, dass diese nicht durch mit dem Beschwerdeführer verbundene Dritte im Ausland unter Nutzung der Computerspiele der Gläubigerin hergestellt werde. Ein solches Gebot ist von dem Unterlassungstitel indes offensichtlich nicht erfasst, weil es bereits nicht Gegenstand des Erkenntnisverfahrens war, das allein auf die Untersagung von Vervielfältigungshandlungen an der verfahrensgegenständlichen Spielesoftware der Gläubigerin selbst im Inland — durch den Beschwerdeführer oder ihm zurechenbare Dritte — und nicht darauf gerichtet war, die Herstellung der Bot-Software selbst als solches zu unterlassen.Der Wortlaut des Tenors verlangt vom Beschwerdeführer, es zu unterlassen, die Client-Software der Gläubigerin zu gewerblichen Zwecken zu vervielfältigen oder vervielfältigen zu lassen. Der Verweis im Tenor auf die Herstellung und Bearbeitung der Bot-Software ist dabei lediglich eine Beschreibung des gewerblichen Zwecks der Vervielfältigung. Der Gläubigerin steht daher nach dem Titel gegen den Beschwerdeführer nur ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch in Bezug auf die gewerbliche Vervielfältigung der Client-Software zu.Der Unterlassungstenor umfasst demgegenüber nicht die Herstellung und Verbreitung der Bot-Software. Die Verwendung der für die Herstellung der Bot-Software notwendigen Informationen, die durch die Vervielfältigung und anschließende Analyse der Client-Software erlangt wurden, ist ebenfalls nicht vom Wortlaut des Titels umfasst. […]Aus den im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden dazugehörigen Entscheidungsgründen aus dem Erkenntnisverfahren ergibt sich ferner, dass sich das titulierte Verbot allein auf in Deutschland vorgenommene Vervielfältigungshandlungen bezog, da es sich um einen auf § 97 UrhG gestützten Unterlassungsanspruch handelt.[…]Eine Vervielfältigung der Client-Software im Inland hat das Oberlandesgericht allerdings nicht festgestellt. Bei einer solchen Ausgangslage sind dann aber weder Teilnahmehandlungen an Vervielfältigungen im Ausland noch die bloße Verwertung der dabei erlangten Informationen vom beschwerdegegenständlichen Unterlassungstenor umfasst. […]Die Erweiterung des Umfangs des Unterlassungstitels durch die Auslegung des Unterlassungstitels im Streitfall etabliert damit im Ergebnis eine von einer konkreten Verletzungshandlung im Sinne des deutschen Urheberrechtsgesetzes losgelöste allgemeine Handlungspflicht.[…]Da eine dauerhafte Beeinträchtigung des Urheberrechts durch eine Vervielfältigung im Inland nicht vorliegt, kann auch ein Unterlassen des Einwirkens auf Dritte im Ausland nicht als inländischer Anknüpfungspunkt für einen Verstoß gegen den Unterlassungstitel genommen werden. […]Das Oberlandesgericht legt auch selbst zunächst dar, dass nach dem Territorialitätsprinzip eine Verletzung eines inländischen Schutzrechts durch eine Auslandshandlung nicht in Betracht kommt. Dann widerspricht es sich aber insoweit, dass der Unterlassungstenor auch die inländische Pflicht umfassen soll, alles zu tun, was im konkreten Fall erforderlich und zumutbar ist, um künftige Vervielfältigungen durch Dritte im Ausland zu verhindern. Ein Verstoß gegen diese Handlungspflicht soll dann eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigungshandlung im Inland darstellen. Diese rechtliche Konstruktion einer täterschaftlichen Verletzung ist aufgrund der inkonsequenten Anwendung des Territorialitätsprinzips in sich widersprüchlich, weil selbst eine urheberrechtlich relevante Teilnahmehandlung eine rechtswidrige und damit zumindest teilweise inländische Haupttat voraussetzt. Dem Unterlassungstenor wird hierdurch eine Reichweite verliehen, die mit der rechtskräftigen Entscheidung nicht mehr vereinbar ist.“

Sodann gelangt das BVerfG am Ende zu der vernichtenden Aussage:

„Die rechtliche Konstruktion der etablierten Handlungspflicht ist nach Maßgabe der obigen Ausführungen unter keinen denkbaren Gesichtspunkten tragfähig und zudem in sich widersprüchlich. Es drängt sich vielmehr der Schluss auf, dass die angenommene Handlungspflicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Das Oberlandesgericht untersagt im Ergebnis die weltweite Herstellung der Bot-Software selbst, beziehungsweise bereits das mangelnde Einwirken darauf, dass diese nicht durch mit dem Beschwerdeführer verbundene Dritte im Ausland hergestellt werde. Das ist von dem Unterlassungstitel indes offensichtlich nicht erfasst, weil es bereits nicht Gegenstand des Erkenntnisverfahrens war, das allein auf die Untersagung von Vervielfältigungshandlungen an der verfahrensgegenständlichen Software der Gläubigerin gerichtet war.“

Wir danken Rechtsanwalt Marian Härtel für die gute Zusammenarbeit in diesen Angelegenheiten über die vergangenen Jahre und das unserer Kanzlei geschenkte Vertrauen.