Arbeitgeber sind nach § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dazu verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Ziel dieser Pflicht ist es, schwerbehinderten Menschen eine bessere Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen und der Agentur für Arbeit Gelegenheit zu geben, geeignete Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten.
Mit Urteil vom 27.03.2025 (8 AZR 123/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass in diesem Zusammenhang ein formeller Vermittlungsauftrag an die zuständige Stelle der Agentur für Arbeit zwingend erforderlich ist. Die bloße Veröffentlichung einer Stellenanzeige in der Jobbörse genügt nicht, da hierdurch kein Vermittlungsprozess ausgelöst wird. Andernfalls drohen Arbeitgebern Entschädigungsforderungen gem. § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) durch abgelehnte, schwerbehinderte Bewerbende.
I. Rechtlicher Hintergrund
Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u. a. wegen einer Behinderung.
Nach § 164 Abs. 2 SGB IX dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, sodass der Anwendungsbereich des AGG im Falle eines Verstoßes gegen § 164 Abs. 1 und 2 SGB IX eröffnet ist.
Demgegenüber folgt aus § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX die Verpflichtung für Arbeitgeber, die Agentur für Arbeit „frühzeitig“ über zu besetzende Stellen zu informieren. Die Verbindungsaufnahme muss dabei so ausgestaltet sein, dass die Agentur für Arbeit tatsächlich in die Lage versetzt wird, Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten.
Das Gesetz selbst lässt offen, in welcher Form die vorgeschriebene Verbindung zur Agentur für Arbeit herzustellen ist. Lange Zeit galt es daher als ausreichend, wenn der Arbeitgeber der Agentur „irgendwie“ mitteilte, dass eine Stelle zu besetzen sei – etwa durch Übersendung der Stellenanzeige zur Veröffentlichung in der Jobbörse. Das BAG hat jedoch klargestellt, dass dies nicht genügt. In seiner Entscheidung führt das BAG aus, dass dies nur dann gewährleistet ist, wenn der Arbeitgeber einen aktiven Vermittlungsauftrag über den von der Bundesagentur vorgesehenen Kommunikationsweg (§ 187 Abs. 4 SGB IX) erteilt und sämtliche für die Vermittlung erforderlichen Daten übermittelt.
II. Der zugrundeliegende Fall
In dem vom BAG zu entscheidendem Fall bewarb sich ein schwerbehinderter Bewerber auf eine Stelle, die bereits an einen anderen Kandidaten vergeben worden war. Der Arbeitgeber hatte die Stelle in der Jobbörse der Bundesagentur veröffentlicht, jedoch keinen formellen Vermittlungsauftrag erteilt.
Das BAG stellte fest, dass hierin ein Verstoß gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX liegt, der grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung gemäß § 22 AGG begründet. Grundsätzlich trägt die Person, die einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend macht, die Darlegungslast für das Vorliegen seiner Voraussetzungen. § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang jedoch eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. der Schwerbehinderung vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Es bedarf des Vortrags von Indizien, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. der Schwerbehinderung erfolgt ist.
Ein Verstoß gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX begründet die Vermutung einer solchen Benachteiligung wegen Schwerbehinderung im Sinne von § 22 AGG. Dies entspricht dem Grundsatz, wonach bei schwerbehinderten Menschen und diesen gleichgestellten behinderten Menschen der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung im Sinne von § 22 AGG begründet. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerbende gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob sie die Stelle angetreten haben, komme es nicht an.
Im konkreten Fall scheiterte die Entschädigungsklage jedoch daran, dass der Arbeitgeber nachweisen konnte, dass die Auswahlentscheidung bereits vor Eingang der Bewerbung des schwerbehinderten Bewerbers verbindlich getroffen worden war. Dass die Stelle formal noch ausgeschrieben war, spielte dabei keine Rolle.
III. Pflichterfüllung in der Praxis
Nach der Entscheidung des BAG ist die gesetzliche Pflicht nur erfüllt, wenn:
- Ein Vermittlungsauftrag aktiv bei der zuständigen Stelle der Agentur für Arbeit eingereicht wird,
- alle relevanten Vermittlungsdaten vollständig übermittelt werden,
- der vorgesehene Kommunikationsweg gemäß § 187 Abs. 4 SGB IX (z. B. Formular oder Online-Maske) genutzt wird.
Die reine Einstellung eines Angebots in die Jobbörse ist lediglich eine Veröffentlichung – keine Aufforderung an die Agentur zur aktiven Vermittlung.
IV. Konsequenzen für Arbeitgeber
- Rechtliches Risiko: Das Unterlassen eines Vermittlungsauftrags kann eine Diskriminierung im Sinne des AGG indizieren, auch ohne diskriminierende Absicht.
- Beweislastumkehr: Arbeitgeber müssen dann darlegen und beweisen, dass keine Benachteiligung vorlag.
- Dokumentationspflicht: Der Zeitpunkt der verbindlichen Einstellungsentscheidung sowie die objektiven Gründe sollten sorgfältig dokumentiert werden, um die Vermutungswirkung ggf. zu widerlegen.
V. Fazit
Ohne formellen Vermittlungsauftrag an die Agentur für Arbeit wird die gesetzliche Pflicht aus § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX nicht erfüllt. Für Arbeitgeber bedeutet das, dass schon formale Versäumnisse eine Indizwirkung nach § 22 AGG mit finanziellen Folgen auslösen können.
Diese Entscheidung reiht sich ein in die bisherige Rechtsprechung zu § 165 SGB IX, wonach öffentliche Arbeitgeber dieser Pflicht unterliegen. Das BAG überträgt diese Pflicht nun ausdrücklich auch auf private Arbeitgeber.