Im Rahmen einer Abmahnung wird der Rechtsverletzer in der Regel aufgefordert, das beanstandete Verhalten einzustellen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Strafbewehrt bedeutet, dass sich der Abgemahnte verpflichtet, eine Vertragsstrafe zu zahlen, wenn er gegen sein Versprechen verstößt, das beanstandete Verhalten zu unterlassen. In der strafbewehrten Unterlassungserklärung kann ein fester Betrag für den Fall der Zuwiderhandlung festgelegt werden, häufig wird aber auch ein Vertragsstrafeversprechen nach dem sog. „Hamburger Brauch“ gewählt. Darin verspricht der Abgemahnte bei einem erneuten Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung eine angemessene Vertragsstrafe zu zahlen, deren Höhe vom Abmahner nach billigen Ermessen gemäß § 315 BGB bestimmt wird. Diese Billigkeitsentscheidung des Abmahners kann im Streitfall gerichtlich überprüft werden.
Ist die strafbewehrte Unterlassungserklärung erst einmal abgegeben, ist der erste Verstoß oft nicht weit. In der Praxis stellt sich dann die Frage: Was für eine Vertragsstrafe ist angemessen? Können Abmahner hier einfach horrende Vertragsstrafen verlangen?
Eine Orientierungshilfe zu dieser Frage findet sich in einer kürzlich ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 27. Juni 2024 – 2 U 37/24). In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall fielen der Abmahnerin ihre überhöhten Vertragsstrafenforderungen letztlich auf die Füße, so dass sie im Ergebnis nichts gewann, sondern sogar noch draufzahlen musste.
I. Das Verfahren vor dem OLG Düsseldorf
Die Klägerin hatte die Beklagte, ein mit ihr im Wettbewerb stehendes Dentalhandelsunternehmen, wegen einzelner werblicher Behauptungen abgemahnt, woraufhin die Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgab. In der Folge stellte die Klägerin fest, dass die Beklagte die werblichen Behauptungen in einzelnen Medien trotz der Unterlassungsverpflichtung weiterverwendete. Da die Beklagte die Verstöße zunächst nicht einräumte und sich weigerte, der Klägerin die für die Bemessung der Vertragsstrafe erforderlichen Auskünfte über den Umfang der Verstöße zu erteilen, erhob die Klägerin Klage vor dem Landgericht Duisburg. Dies veranlasste die Beklagte zur Erteilung der verlangten Auskünfte und die Klägerin machte wegen der Verstöße eine Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 1.353.500 EUR geltend. Im Einzelnen forderte sie folgende Vertragsstrafen:
- 10.000 EUR für vier zwar vor der Abgabe der Unterlassungserklärung veröffentlichte, aber noch abrufbare Pressemitteilungen
- 15.000 EUR für im Internet noch abrufbare Stellenanzeigen
- 50.000 EUR für im Internet abrufbare Patientenbroschüren
- 1.278.500 EUR für den Versand von Arzt- (in 115 Fällen) und Patientenbroschüren (in 9.930 Fällen)
In erster Instanz wurden der Klägerin von dem Landgericht Duisburg die geforderten Vertragsstrafen tatsächlich zugesprochen. Hiergegen legte die Beklagte jedoch erfolgreich Berufung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ein.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf setzte die Vertragsstrafe im Ergebnis (auf immer noch beachtliche) 109.000 EUR (≈ 8 % der Forderung) herab. Die von der Klägerin vorgenommene Bestimmung der Vertragsstrafe entspreche nicht billigem Ermessen uns sei deshalb für die Beklagte nicht verbindlich, § 315 Abs. 3 S. 1 BGB.
Das Gericht betonte, dass die von einer Vertragspartei bestimmte Vertragsstrafe grundsätzlich erst dann durch das Gericht ersetzt werden könne, wenn die Grenzen des billigen Ermessens überschritten sind, nicht hingegen schon dann, wenn das Gericht eine andere Festsetzung für richtig hält. Basis für die Überprüfung sei eine angemessene Vertragsstrafe, die nicht um einen gewissen (Prozent-)Satz überschritten werden dürfe. Um wie viel Prozent genau die angemessene Vertragsstrafe für die Annahme einer Unbilligkeit überschritten sein muss, sei höchstrichterlich noch nicht entschieden. Eine Unbilligkeit sei jedoch jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Doppelte der angemessenen Strafe überschritten sei. Dies war hier der Fall.
Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat neben der Schadenpauschalierung in erster Linie eine Sanktionsfunktion sowie die Funktion, weitere Zuwiderhandlungen zu vermeiden. Zu diesem Zweck muss die Vertragsstrafe so hoch sein, dass sich ein Verstoß für den Verletzer nicht mehr lohnt. Maßgeblich für die Bemessung der Vertragsstrafe ist insbesondere: die Schwere und das Ausmaß der begangenen Zuwiderhandlung, deren Gefährlichkeit für den Gläubiger, das Verschulden des Verletzers und dessen Interesse an weiteren gleichartigen Begehungshandlungen sowie die Art und Größe des Unternehmens.
Gemessen daran hielt das Gericht im Einzelnen folgende Vertragsstrafe für angemessen:
- für die vier zwar vor der Abgabe der Unterlassungserklärung veröffentlichte, aber noch abrufbare Pressemitteilungen: 4.000 EUR (1.000,00 EUR pro Pressemitteilung)
- für die im Internet noch abrufbare Stellenanzeigen: 7.000 EUR
- für die im Internet abrufbare Patientenbroschüren: 8.000 EUR
- für den Versand von Arztbroschüren (in 1115 Fällen): 5.000 EUR
- für den Versand von Patientenbroschüren (in 9.930 Fällen): 85.000 EUR
Die erhebliche Herabsetzung der Vertragsstrafe wurde von dem OLG Düsseldorf insbesondere damit begründet, dass entgegen der Ansicht der Klägerin z. B. im Falle des Versands der Patientenbroschüren nicht von mehreren einzelnen Verstößen gegen die Unterlassungserklärung auszugehen sei, sondern diese als sog. „rechtliche Einheit“ zu werten seien und daher nur als ein Verstoß gewertet werden könnten. Außerdem stufte das Gericht die Schwere der Zuwiderhandlungen und deren Gefährlichkeit überwiegend als gering ein und stellte fest, dass kein Interesse an gleichartigen Benutzungshandlungen bestehe. So sei etwa der Versand der Broschüren vor allem deshalb erfolgt, weil die bereits gedruckten Broschüren noch verwendet werden sollten, und nicht vordergründig, um von den darin noch enthaltenen streitgegenständlichen Aussagen zu profitieren. Eine hohe Gefährlichkeit der Pressemitteilungen wurde unter anderem deswegen nicht angenommen, weil das Interesse an Pressemitteilungen durch den Grad ihrer Aktualität bestimmt werde. Vor diesem Hintergrund seien die streitgegenständlichen, ca. ein Jahr alten Pressemitteilungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nur auf ein äußerst geringes Interesse gestoßen. Insgesamt sei die Beklagte aufgrund ihrer Marktstellung und Größe nicht auf die Verwendung der streitgegenständlichen Aussagen angewiesen, so dass kein Interesse an gleichartigen Benutzungshandlungen festgestellt werden könne. Straferhöhend wurde demgegenüber die Unternehmensgröße der Beklagten, ihre Marktstellung, sowie der von ihr im Jahr 2014 erzielte Gesamtgewinn in Höhe von 15.000.000 EUR sowie das direkte Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien berücksichtigt. Dies erklärt, warum die Vertragsstrafen im Ergebnis dennoch vergleichsweise hoch ausgefallen sind. Normalerweise liegt die Spanne für Vertragsstrafen im Geschäftsbereich normaler wirtschaftlicher Bedeutung nämlich „nur“ zwischen 2.500 EUR und 10.000 EUR.
II. Fazit
Im vorliegenden Fall hatte es die Klägerin (= ursprüngliche Abmahnerin) bei der Bemessung der Vertragsstrafe deutlich zu weit getrieben und etwa im Fall des Versands der Broschüren die von dem Gericht als „angemessen“ erachtete Vertragsstrafe um mehr als das Vierzehnfache überschritten. Aus diesem Grund musste sie in erster Instanz auch 90% und in zweiter Instanz 95% der Kosten des Rechtsstreits tragen. Bei einem Streitwert in Millionenhöhe übersteigen diese von der Klägerin zu tragenden Kosten des Rechtsstreits den ihr als Vertragsstrafe zugesprochenen Betrag. Sie hat also im Ergebnis nichts gewonnen.
Vergessen werden darf in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass Gerichte eine Korrektur der Vertragsstrafe auch nur dann vornehmen, wenn eine solche deutliche Überschreitung des billigen Ermessens vorliegt, wie in dem vorliegenden Fall. Eine Korrektur erfolgt nicht schon dann, wenn das Gericht selbst eine andere Vertragsstrafe für angemessen gehalten hätte. Erst wenn die Bemessung der Vertragsstrafe nicht „billigem Ermessen“ entspricht, wird die von dem Gläubiger festgesetzte (unangemessene) Vertragsstrafe von dem Gericht durch eine angemessene Vertragsstrafe ersetzt. Ausgang für die Überprüfung ist eine angemessene Vertragsstrafe, die nicht um einen gewissen (Prozent-)Satz überschritten werden darf. Um wie viel Prozent genau der Bestimmungsberechtigte die angemessene Vertragsstrafe aufgrund des ihm zustehenden Ermessens überschreiten darf, ist bislang nicht höchstrichterlich entschieden. Eine Unbilligkeit kann nach dem OLG Düsseldorf jedenfalls dann angenommen werden, wenn das Doppelte der angemessenen Strafe überschritten ist. Im Ergebnis verbleibt dem Gläubiger damit ein sehr großer Spielraum bei der Bemessung der Vertragsstrafe. Strafbewehrte Unterlassungserklärungen sollten daher keinesfalls leichtfertig abgegeben werden und, wenn sie abgegeben werden, vor Abgabe genau darauf überprüft werden, ob sie auch tatsächlich eingehalten werden können. Andernfalls kann es teuer werden. Welches Verhalten im Einzelfall die richtige Reaktion auf eine Abmahnung ist, sollte anwaltlich geprüft werden.
Sollten Sie Betroffener einer solchen Unterlassungserklärung sein oder Sie wollen gegen einen Verstoß vorgehen? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf!