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Der Fall „MetaBirkins“ war einer der ersten großen Rechtsstreits im Bereich NFTs und Geistiges Eigentum und wurde weltweit beachtet. Bei dem erstinstanzlichen Urteil ging es auch um die Frage, inwiefern Kunstexperten als Sachverständige im Prozess aussagen können. Grund genug, diese Thematik auch aus deutscher Sicht näher zu beleuchten.

Der Fall Hermès gegen Mason Rothschild (bekannt unter der Bezeichnung „MetaBirkins“) hat weltweit Aufsehen erregt. Er begann im Dezember 2021 und war einer der ersten großen Rechtsstreits im Bereich NFTs und Markenrecht und wurde auch in Europa verfolgt. Der beklagte Künstler hat vor dem District Court of Southern New York in erster Instanz verloren.

Dabei könnte das Geschehen um die (Nicht-)Aussage des amerikanischen Kunsthistorikers Blake Gopnik eine Rolle gespielt haben. Blake Gopnik ist ein bekannter Kunstexperte mit einem Doktortitel in Kunstgeschichte aus Oxford, der jahrelang für die Washington Post publizierte und Autor der 2020 erschienenen Andy Warhol-Biografie „Warhol“ist. Rothschild hatte Gopnik als Sachverständigen für die Verhandlung hinzuziehen wollen, er war nämlich der Ansicht, dass die „MetaBirkins“ ein mit Warhol vergleichbarer Fall der „business art“ sei. In diesem Fall wurde der Zeugenbeweis durch den Richter Jed Rakoff jedoch abgelehnt.

Warum lehnte das Gericht den Sachverständigenbeweis ab?

Die Federal Rule of Evidence 702 sieht vor, dass ein Zeuge, der „als Experte qualifiziert“ ist (= Sachverständige nach deutschem Recht), nur dann ein Gutachten abgeben darf, wenn:

(a) das wissenschaftliche, technische oder sonstige Fachwissen des Sachverständigen dem Gericht hilft, Beweise zu verstehen oder eine strittige Tatsache zu beurteilen;
(b) die Aussage auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht;
(c) die Aussage das Ergebnis zuverlässiger Prinzipien und Methoden ist; und
(d) der Sachverständige die Prinzipien und Methoden zuverlässig auf den Sachverhalt angewandt hat.

Nach der US-amerikanischen Rechtsprechung fungieren die Tatgerichte, „als Torwächter, um unzuverlässige Sachverständigenaussagen“ und „Junk Science“ von den Gerichten fernzuhalten, um die Zuverlässigkeit und Relevanz von Sachverständigenaussagen zu gewährleisten. Dabei kommt den Gerichten ein Beurteilungsspielraum zu.

Hermès argumentierte, dass die Aussage Gopniks nicht durch eine erkennbare, beschreibbare Methodik gestützt sei, die über seine Autorität als Fachperson hinausgeht. Meinungen, die nicht mit einer nachvollziehbaren Methodik geprüft werden können, seien „nichts anderes als subjektive Meinungen, die ausgeschlossen werden müssen.“

Gopnik räumte ein, dass in der Kunstgeschichte so ziemlich alles umstritten sei, von der anzuwendenden Methodik bishin zur grundlegenden Frage, was „Kunst“ überhaupt ist. Hermès argumentiert dann, dass Gopnik höchstens eine eigene Meinung zum Streitstoff abgeben und die bisher eingebrachten Beweise zusammenfassen könnte, was bei der Beurteilung der Tatfragen nicht hilfreich und damit auch nicht einbringungsfähig sei.

Somit konnte Gopnik nicht vor Gericht aussagen. Rothschild legte Ende Juli 2023 Berufung ein, sodass der Streit in die nächste Phase geht. Dabei wird auch die Frage zu klären sein, ob a) das Urteil nicht bei Zulassung der Aussage des Kunsthistorikers möglicherweise anders ausgefallen wäre und b) ob die Nichtzulassung der Sachverständigenaussage rechtswidrig war.

Wie ist es im deutschen Recht?

Der Sachverständigenbeweis ist in den §§ 402 ff. ZPO in Ergänzung zu den Regeln zum Zeugenbeweis geregelt. Aufgabe des (gerichtlich bestellten) Sachverständigen ist, aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderen Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen und dem Gericht allgemeine Erfahrungssätze oder besondere Kenntnisse auf einem jeweiligen Wissensgebiet zu vermitteln. Privatgutachten sind kein Beweis im eigentlichen Sinne, sondern nur Teil des allgemeinen Vortrags der Parteien, den das Gericht zu würdigen hat.

Die Begutachtung durch einen Sachverständigen ist beispielsweise als unzulässig abzulehnen, wenn Unnötiges bewiesen werden soll oder das Gutachten nach der Erwartung völlig ungeeignet sein wird, zu dem Thema sachdienliche Erkenntnisse einzubringen. Dies ist, um die Justizgrundrechte der Parteien nicht zu unterlaufen, zurückhaltend anzunehmen.

Auch im deutschen Rechtssystem besteht schon grundlegend keine Klarheit, was Kunst ist – auch, wenn sie nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG „frei“ und damit grundrechtlich geschützt ist. Die Rechtsprechung bemüht nicht weniger als drei „Definitionen“. Teils wird sich sogar ganz auf das Urteil von „Kunstexperten“, oder sogar das Selbstverständnis des „Künstlers“ zurückgezogen.

Im bekannten „Mephisto“-Beschluss wandte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den materiellen Kunstbegriff an: hiernach ist Kunst die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit sei ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen seien. Künstlerisches Schaffen sei „unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“

Der formale Kunstbegriff stellt hingegen auf das Ergebnis ab und spricht von Kunst, wenn bei formaler typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines anerkannten Werktyps erfüllt sind (z.B. Malerei, Bildhauerei, Dichtkunst, Theaterspiel).

Der offene Kunstbegriff sieht „das kennzeichnende Material einer künstlerischen Äußerung“ darin, dass „es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiter reichende Bedeutungen zu entnehmen, sodass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung“ ergebe.

Wie man sieht, tun sich die Gerichte mit der Ermittlung, was „Kunst“ ist, sehr schwierig. Das BVerfG wendet daher gerne einfach alle Definitionen zusammen an und stellt offen, an welcher es festhalten möchte.

Auch der Sachverständige kann dem Gericht die Beurteilung der Rechtsfrage „was ist Kunst“ nicht abnehmen. Er kann dem Gericht gegebenenfalls aber über die erwähnte Meinung von Kunstexperten aufklären und die Tatsachengrundlage aufbereiten, auf deren Grundlage das Gericht die Definitionen der Kunst anwendet. So können Kunstexperten bei der Auslegung des Bedeutungsgehalts von Kunstwerken sowie der Umschreibung des zulässigen Interpretationsspielraums dienlich sein und eine Wirkungsprognose abgeben. So kann der Sachverständige ein fragliches Werk mit solchen Ähnlichen vergleichen, die von Rechtsprechung oder Verwaltung (beispielsweise den Steuerbehörden) bereits als „Kunst“ eingeordnet wurden oder die seit langer Zeit in der Bevölkerung als solche anerkannt werden.

Dass es keine einheitliche Methodik der Beurteilung von Kunst gibt, schadet hier nicht. Denn es ist nicht erforderlich, dass das Gericht aus einem zu erstellenden Gutachten sichere und eindeutige Schlüsse ziehen kann. Vielmehr genügt es, wenn die zu erwartenden Schlussfolgerungen die aufgestellte Beweisbehauptung als mehr oder minder wahrscheinlich erscheinen lassen.

Damit würde Blake Gopnik in einem deutschen Prozess anders als in New York aussagen können. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verletzt den Anspruch auf Gewähr rechtlichen Gehörs und ist damit ein Grund für die Aufhebung einer Entscheidung. Es bleibt abzuwarten, ob das Berufungsgericht im Fall „MetaBirkins“ zum gleichen Ergebnis kommt und die Erstentscheidung aufheben, oder sie bestätigen wird.