Die niederländische Versandapotheke DocMorris mischt seit Jahren das etwas angestaubte Heilmittelwerberecht auf. Risikobereite Werbung in den rechtlichen Grauzonen, gekoppelt mit großer Prozessfreudigkeit haben zu einer ganzen Reihe von Entscheidungen in den letzten Jahren geführt. Darin reiht sich jetzt eine neue EuGH-Entscheidung zur Kundenbindung von Apotheken ein. Es geht um verschiedene Werbemaßnahmen von DocMorris im Zusammenhang mit dem Erwerb verschreibungspflichtiger Medikamente. Zum Verständnis der Kernpunkte der Entscheidung reichen aber zwei davon:
- Bei der Einsendung eines Rezepts zum Bezug eines verschreibungspflichtigen Medikamentes erhält der Kunde einen sofortigen Rabatt auf die Bestellung.
- Wenn der Kunde einen Freund empfiehlt, der dann ein verschreibungspflichtiges Medikament bestellt, kann der Freund Vorteile gewinnen (Gutschein für Hotelübernachtung oder vergünstigte ADAC-Mitgliedschaft) und der Empfehlende erhält einen DocMorris-Gutschein.
Beide Werbemaßnahmen waren im Laufe des Verfahrens mal vom LG Köln untersagt, dann im Zuge einer Rechtsprechungsänderung des EuGH wieder zugelassen und letztlich Gegenstand von Schadensersatzverfahren wegen unrechtmäßiger einstweiliger Verfügungen, in deren Zuge auch der BGH sich mit der Rechtmäßigkeit der Untersagung befassen musste, der die Frage dem EuGH vorlegte.
A. Die rechtliche Gemengelage
Die entschiedene Rechtsfrage entsteht aus der rechtlichen Gemengelage zwischen der Richtlinie 2001/83/EG (zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel) und dem deutschen Heilmittelwerbegesetz (HWG). Wem schon mal in den USA oder nach dem Brexit auch in Großbritannien die Werbung für Medikamente aufgefallen ist, dem war sicherlich ziemlich schnell klar, dass es innerhalb der EU erhebliche Beschränkungen bei der Werbung für Medikamente zu geben scheint, diese sind in den hier wichtigen Vorschriften zu finden.
Die Richtlinie verbietet grundsätzlich die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Als „Werbung für Arzneimittel“ definiert sie „alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“.
Erlaubt ist dagegen die Werbung für verschreibungsfreie Arzneimittel, aber diese „muss einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt“
Deutschland hat sich in § 7 HWG an einer Umsetzung versucht, differenziert dabei aber nicht weiter zwischen verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten. Danach ist die Werbung in Form von Zuwendungen und Werbeabgaben für Arzneimittel grundsätzlich unzulässig, es sei denn es handelt sich um geringe Zuwendungen oder eindeutig bezifferbare Geldbeträge handelt.
Der BGH fragt sich jetzt, ob es hier eine Umsetzungslücke gibt, da zumindest nach dem Wortlaut des § 7 HWG auch solche Werbungen zulässig sein könnten, die nach der europäischen Richtlinie eigentlich unzulässig sein müssten. Konkret geht es also darum, ob die Maßnahmen „Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel“ iSd Richtlinie sind du wenn ja, ob es sich bei den Werbemaßnahmen um zulässige Werbemaßnahmen auch für verschreibungsfreie Medikamente handelte.
B. „Werbung für Arzneimittel“
Der EuGH hat entschieden (Urt. v. 27.02.2025 – C-517/23), dass es sich nur bei der zweiten Maßnahme um Werbung für Arzneimittel im Sinne der Richtlinie handelt. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die erste Maßnahme nicht zum Kauf weiterer Arzneimittel animiert, sondern nur bei dem ohnehin stattfindenden Kauf des verschriebenen Medikaments die Entscheidung des Kunden beeinflusst. Dadurch ist der Schutzzweck der Richtlinie nicht betroffen. Diese soll davor schützen, dass Verbraucher Medikamente in unsachgemäßer Art, insbesondere in übertriebenen Mengen, nutzen, weil sie durch Werbemaßnahmen dazu animiert werden. Bei der Werbung mit einem unmittelbaren Preisnachlass für das konkret zu erwerbende Medikament ist aber nicht die Entscheidung über die Frage welches oder wie viel Arzneimittel man erwerben möchte betroffen (das steht schließlich im Rezept), sondern nur die Frage welche Apotheke man dafür nutzen will.
Im zweiten Fall wird dagegen durch den Gutschein zum Kauf weiterer auch verschreibungsfreier Arzneimittel angeregt, die über das ursprünglich verschreibungspflichtige Arzneimittel hinausgehen. Zwar geht es um unbestimmte Arzneimittel, in der Rechtsprechung des EuGHs ist aber anerkannt, dass die Richtlinie auch darauf Anwendung findet, denn es geht um den generellen Verbraucherschutz vor unüberlegtem Arzneimittelkonsum.
C. Fördert ein Gutschein den zweckmäßigen Einsatz?
Für die zweite Werbemaßnahme stellt sich dann also die Frage, ob diese eine zulässige Werbung für verschreibungsfreie Arzneimittel darstellen könnte. Das ist der Fall, wenn sie den zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördert.
Der EuGH bleibt hier restriktiv. Durch den Gutschein wird einfach abstrakt zum Kauf weiterer Medikamente angeregt. Insbesondere werden verschreibungsfreie Medikamente dadurch weiteren Produkten in der Versandapotheke, wie Körperpflegeprodukten, gleichgestellt. Dadurch besteht die Gefahr eines gedankenlosen Konsums von Arzneimitteln, dem durch die Richtlinie gerade entgegengewirkt werden sollte. In anderen Worten: Medikamente sollen wohlüberlegt dann gekauft werden, wenn man sie wirklich braucht, nicht weil man noch einen Gutschein für die Versandapotheke hat.
D. Zusammenfassung
Das Urteil schafft wieder ein wenig mehr Klarheit im Heilmittelwerberecht. Das lukrative Geschäft mit der Medizin ist von hochkomplexen und oft reformierten Vorschriften überlagert, so dass es zu begrüßen ist, wenn eindeutige Leitlinien aus der europäischen Rechtsprechung kommen. Nach dem Urteil ist klar: Apotheken dürfen mit Preisnachlässen beim Erwerb verschreibungspflichtiger Medikamente werben, nicht aber durch Gutscheine für den allgemeinen Warenbestand eine Kundenbindung herbeiführen. Dies wäre nur zulässig, wenn die Gutscheine auf nicht-medizinische Waren oder ihrerseits auf den nächsten verschreibungspflichtigen Kauf eingeschränkt werden.