Am 8.10.2023 wurde das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) erlassen, der dann am 13.10.2023 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz führte eine neue Form der Sammelklage ein und zwar die Abhilfeklage. Nun ist ein Jahr vergangen und wir zeigen auf was die Neueinführung mit sich gebracht hat.
Sammelklagen vor Einführung des VDuG
Vor Einführung des VDuG war eine kollektive Geltendmachung von Rechten nicht in gleichem Maße wie heute möglich. Es gab lediglich die Musterfeststellungsklage mit seinem zwei-gliedrigen Ablauf bis zu einer Leistung an die Betroffene. Am Ende einer Musterfeststellungsklage wird ein Grundsatzurteil erlassen in dem gegebenenfalls festgestellt wird, dass eine Handlung eines Unternehmens rechtlich zu beanstanden ist und betroffenen Verbrauchern deshalb Ansprüche gegen dieses Unternehmen zustehen (§ 41 Abs. 1 VDuG bzw. § 606 ff ZPO aF). Im 2. Schritt müssen sich die betroffenen Verbraucher allerdings selbst um die Durchsetzung ihrer Ansprüche kümmern.
Grund der Einführung
Die von der Europäischen Union im November 2020 beschlossene Richtlinie (EU) 2020/1828 wurde eingeführt, um den Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen auf EU-Ebene zu stärken und so verbraucherrechtswidrige Praktiken von Unternehmen zu unterbinden. Durch die Richtlinie werden die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu verpflichtet zwei Formen von Verbandsklagen vorzusehen und zwar die Unterlassungsklagen und die Abhilfeklage. Von Verbänden durchführbare Unterlassungsklagen sind in Deutschland seit jeher im UKlaG und UWG geregelt. Da die Abhilfeklage bisher nicht existierte, wurde sie nun mit dem VDuG eingeführt.
Neu: die Abhilfeklage
Als neues Instrument zur kollektiven Rechtsdurchsetzung findet sich nun in § 14 ff VDuG die Abhilfeklage.
1. Unterschied zur Musterfeststellungsklage
Im Gegensatz zur Musterfeststellungsklage wird im Rahmen einer Abhilfeklage die Leistung an den Verbraucher beantragt. Im Erfolgsfall wird daher direkt an die registrierten Verbraucher ausgezahlt bzw. geleistet. Sie müssen sich daher nicht selbst um die Durchsetzung ihrer Ansprüche kümmern.
Anders als die Musterfeststellungsklage, ist die Abhilfeklage allerdings nur bei Gleichartigkeit der Verbraucheransprüche zulässig. Dies ist nach § 15 Abs. 1 VDuG der Fall, wenn die Ansprüche auf demselben oder einem im wesentlichen vergleichbaren Sachverhalt beruhen oder für die Ansprüche die im Wesentlichen gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Das Vorliegen dieser Voraussetzung dürfte im Fokus aller Prozesse liegen.
2. Klagebefugnis
Nach § 2 Abs. 1 VDuG sind die klageberechtigten Stellen zum einen qualifizierte Verbraucherverbände, die in der Liste nach § 4 UKlaG eingetragen sind und nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen. Zum anderen sind auch Verbraucherverbände aus anderen EU-Mitgliedstaaten klagebefugt.
Die Anforderungen an das Verbraucherquorum sind denkbar gering. Nach § 4 Abs. 1 VDuG muss die klageberechtigte Stelle lediglich „nachvollziehbar darlegen“, dass mindestens 50 Verbraucher von der Rechtsverletzung betroffen sein könnten. Sind die genannten Anforderungen erfüllt, kann der Verbraucherverband vor dem jeweiligen Oberlandesgericht Klage erheben (§ 3 Abs. 1 VDuG).
3. Öffentliche Bekanntgabe der anhängigen Sammelklagen
Zusätzlicher Druck auf die Unternehmen wird dabei durch § 44 VDuG ausgeübt, wonach die Verpflichtung besteht, diverse Angaben zu einer rechtshängigen Verbandsklage im Verbandsklageregister öffentlich bekannt zu machen. Darunter beispielsweise die Bezeichnung der Parteien, was dazu führt, dass die Verbraucher auf die Klage aufmerksam werden und sich bei Betroffenheit anschließen können. Diese Angaben werden auf der Webseite des Bundesamtes der Justiz (Bfj) veröffentlicht.
Zu bedenken ist aber auch, dass die Verbraucherschutzverbände auf ihren Webseiten umfassend über laufende Klagen berichten.
4. Anmeldung der Verbraucher im Klageregister
Nach Klageerhebung durch den Verbraucherverband eröffnet das Gericht das Klageregister, in dem sich Verbraucher anmelden müssen um sich der Verbandsklage anschließen zu können.
Sehr verbraucherfreundlich gehalten ist die Frist zur Anmeldung seitens der Betroffenen: eine Anmeldung ist nämlich noch bis zu 3 Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung möglich (§ 46 Abs.1 VDuG). Kleine Unternehmen, mit weniger als 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von weniger als 10 Millionen Euro, gelten nach § 1 Abs. 2 VDuG als Verbraucher.
Bereits laufende Verfahren
Aus dem Verbandsklageregister geht hervor, dass es zurzeit fünf anhängige Abhilfeklagen gibt.
Dem ersten Fall liegen auffallend hohe Preissteigerungen eines Fernwärmeanbieters zugrunde. Diese hält der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. für ungerechtfertigt, da die Berechnungsformeln des Unternehmens nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen würden. Nach Schätzungen des Verbandes könnten die Betroffenen teilweise Nachzahlungen in Höhe von mehreren Tausend Euro erwarten.
Auch der nächste Fall betrifft einen Fernwärmeanbieter, der in den letzten Jahren seine Preise um mehrere hundert Prozent, erhöht hat. Der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. wirft dem Unternehmen unter anderem vor, sachlich ungeeignete Faktoren in die Berechnung der Preise miteinzubeziehen. Hier erwartet der Verband ebenfalls eine Rückzahlung über mehrere Tausend Euro an die Verbraucher.
Eine weitere Klage hat die Erhöhung von Preisen für Strom und Gas zum Gegenstand. Das betreffende Unternehmen habe die Preise drastisch erhöht, dies sogar in Fällen mit vertraglich vereinbarter Preisgarantie. Die Abhilfeklage verfolgt das Ziel den Energieanbieter zur Rückzahlung der überhöhten Beträge inklusive Zinsen zu zwingen.
Auch Anbieter von Festnetz-Internet-Verträgen bleiben nicht verschont. Nachdem ein Unternehmen die Preise für Internet-Anschlüsse erhöht hat, soll es den Verbrauchern nun die Differenz zwischen altem und neuem Preis seit dessen Erhöhung erstatten.
Die jüngste Klage dreht sich um einen internationalen Streamingdienst, der deutschlandweit zusätzliche Werbung eingeführt und die Qualität von Ton und Bild verringert hat. Um dem entgehen zu können, müssten Kunden ein zusätzliches Abo in Höhe von monatlich 2,99 € abschließen. Die Verbraucherzentrale hält diese Praxis für unzulässig und verlangt eine Rückzahlung der monatlichen Gebühren an die Kunden. Bei einem über mehrere Jahre laufenden Verfahren, könnten durchaus hohe Zahlungen auf das Unternehmen zukommen.
Fazit
Aus den bisher laufenden Verfahren geht hervor, dass hauptsächlich Unternehmen betroffen sind, bei denen es in den letzten Jahren zu erheblichen Preissteigerungen kam.
Solche Preiserhöhungen waren auch schon früher regelmäßig Gegenstand von Unterlassungsklagen. Im Falle eines Unterliegens waren die Folgen für die Unternehmen im Großen und Ganzen tragbar. Ein Abhilfeurteil geht jedoch einen Schritt weiter, da die Unternehmen im Falle eines Unterliegens zu empfindliche Rückzahlungen verurteilt werden können. Gerade die umfassende Informierung durch die Verbraucherzentralen führt zu einer großflächigen Aufmerksamkeit, die von betroffenen Unternehmen nicht zu unterschätzen ist.
Bevor derartige Preiserhöhungen vorgenommen werden, sollten sich Unternehmen daher rechtlich absichern, um umfassende Rückzahlungen in Folge einer Abhilfeklage zu vermeiden.