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In dem schier endlosen Rechtsstreit zwischen der Band Kraftwerk und dem Musiker Moses Pelham befasst sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) derzeit mit der Frage, ob ein Sound Sampling durch die sog. Pastiche-Ausnahme aus dem Urheberrecht gerechtfertigt ist. Die Klärung dieser Frage erfolgt auf ein Ersuchen des Bundesgerichtshofs (BGH) aus September 2023. Nunmehr hat Generalanwalt Emiliou dem EuGH seine Schlussanträge vorgelegt – mit möglicherweise wegweisenden Vorschlägen zur Frage, was ein Pastiche ist. Besonders relevant ist das für die Musikbranche und die Praxis kreativer Wiederverwendung von Ton-Schnipseln aus älteren urheberrechtlich geschützten Werken. Aber auch für die Nutzung von mittels KI erzeugten Bildern, Videos oder Musik könnte die Pastiche-Ausnahme künftig eine größere Rolle spielen.

Kern des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Nutzung eines etwa zwei Sekunden langen Samples aus dem Stück „Metall auf Metall“ in dem Musikwerk „Nur mir“ von Moses Pelham Urheberrechte der Band Kraftwerk verletzt. Der EuGH hatte bereits 2019 in seiner Entscheidung „Pelham I“ klargestellt, dass das unlizenzierte Sampling grundsätzlich das urheberrechtlich geschützte Vervielfältigungsrecht des Tonträgerherstellers verletzt.

1. Worum geht es?

Aktuell geht es um die Frage, ob so ein kurzes Sampling ausnahmsweise erlaubnisfrei sein kann, falls es als Pastiche im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k InfoSoc-Richtlinie einzustufen ist. Die Pastiche-Ausnahme geht auf EU-Recht zurück und wurde erst vor wenigen Jahren in Gestalt von § 51a UrhG ins deutsche Recht umgesetzt. Problem: Der Begriff „Pastiche“ ist nicht gesetzlich definiert und es ist nicht vollständig klar, was alles darunterfällt. Der BGH will daher – bevor er selbst dazu entscheidet – vom EuGH wissen, wie der Begriff im Sinne der EU InfoSoc-Richtlinie auszulegen ist.

2. Die Einschätzung des Generalanwalts

Der Generalanwalt beim EuGH bereitet Entscheidungen des Gerichts vor. Er ist selbst nicht Entscheidungsträger, sondern votiert für eine bestimmte Beurteilung der vorgelegten Rechtsfrage. Das Gericht ist frei, seinen Schlussanträgen zu folgen oder nicht.

Generalanwalt Emiliou schlägt vor, Pastiche als künstlerische Auseinandersetzung mit einem bestehenden Werk zu verstehen – unabhängig davon, ob diese kritisch, humorvoll oder wertschätzend gemeint ist. Entscheidend sei, dass der ins neue Werk übernommene Ausschnitt des bestehenden Werks eine erkennbare Verbindung zum Original aufweist, aber zugleich eigene gestalterische Elemente einbringt. Ein bloßes Nachspielen oder schlichtes Kopieren genügt für eine Freistellung vom urheberrechtlichen Verbot nicht.

Folgende Definition des Pastiche schlägt Generalanwalt Emiliou vor: Ein Pastiche ist eine künstlerische Schöpfung, die

  1. an ein bestehendes Werk erinnert, indem es dessen charakteristische „ästhetische Sprache“ übernimmt,
  2. gegenüber der imitierten Quelle wahrnehmbare Unterschiede aufweist, und
  3. als Nachahmung erkennbar ist.

Wichtig sei, dass es sich um eine offene stilistische Nachahmung handelt, die dahinterstehende Absicht des Künstlers solle bei der Einordnung als „Pastiche“ keine Rolle spielen.

Auf dieser Grundlage bestätigt der Generalanwalt ausdrücklich, dass auch das Verwenden kurzer Tonsequenzen unter die Pastiche-Ausnahme fallen kann, sofern das neue Werk die obigen wesentlichen Merkmale eines Pastiches aufweist.

Für die Praxis bedeutet das: Sampling führt nur dann zur erlaubnisfreien Nutzung, wenn das entnommene Fragment erkennbar im Stil des Originals gehalten ist zugleich eigene Züge trägt, d.h. kreativ weiterentwickelt und eingebettet wird. Emiliou nennt keine starre Formel, macht aber deutlich: Ein Sample muss im neuen Kontext als Teil einer schöpferischen Auseinandersetzung erscheinen – etwa durch neue Klangfarben, Tempoveränderung, rhythmische Verschiebungen oder Kontrastierungen. Die Übernahme muss erkennbar stilistisch arbeiten, nicht bloß wiederholen.

3. Keine pauschale Freigabe

Gleichzeitig betont der Generalanwalt die Grenzen der Ausnahme: Der Pastiche darf nicht dazu führen, dass die wirtschaftlichen Interessen der Rechteinhaber unterlaufen werden. Die in diesem Zusammenhang von der Rechtsprechung verwendete Drei-Stufen-Formel bleibt maßgeblich: Nur bestimmte Sonderfälle sind privilegiert; die normale Verwertung darf nicht beeinträchtigt werden, und die Rechteinhaber dürfen keine unzumutbaren Nachteile erleiden.

4. Ausblick

Mit seinen Schlussanträgen liefert Generalanwalt Emiliou einen Impuls zur rechtssicheren kreativen Verbindung eigener mit fremden Werken. Sampling kann erlaubt sein – aber nur im Rahmen eines künstlerischen Dialogs mit dem Ursprungswerk. Der EuGH wird nun klären müssen, ob er dieser Linie folgt. Für Kreative, Labels und Produzenten dürfte das Urteil von erheblicher Bedeutung sein. Im Anschluss entscheidet der BGH unter Berücksichtigung der Auslegung des EuGH.

Fazit: Wer mit Samples arbeitet, sollte künftig noch genauer darauf achten, dass die Übernahme nicht bloß technisch, sondern auch künstlerisch begründet ist. Die Frage, wie viel Eigenes im Neuen steckt, wird zur entscheidenden Weichenstellung. Wie der EuGH entscheidet könnte künftig auch für die Nutzung von KI erzeugtem Content sein, da KI-Systeme entweder bewusst gesteuert vom Betreiber oder unbewusst aufgrund bestimmter memorisierte Trainingsdaten Erzeugnisse erstellen kann, die sich an vorbestehende Werke anlehnen, diese aufgreifen oder Teile davon enthalten. Da es nach dem Generalanwalt auf subjektive Fragen der Einbindung von urheberrechtlich vorbestehenden Werken nicht ankommen soll, würde es für die Anwendbarkeit der Pastiche-Ausnahme auch keine Rolle spielen, ob die KI-Erzeugnisse vom Verwender beabsichtigt oder unbeabsichtigt auf ältere Werke zurückgreifen.