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Urteil vom 16. Mai 2023 -VI ZR 116/22

Der unter anderem für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass private Tagebuchaufzeichnungen, die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt worden sind, keine „amtlichen Dokumente“ des Strafverfahrens im Sinne von § 353d Nr. 3 StGB darstellen. Er hat das gegenüber einem Presseverlag ausgesprochene Verbot der wörtlichen Wiedergabe von Tagebuchauszügen aufgehoben.

A. Hintergrund

Kläger im Verfahren war ein Hamburger Bankier. Gegen diesem wird derzeit durch die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit den „Cum-Ex-Geschäften“ ermittelt. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurden 2018 die Tagebücher des Klägers beschlagnahmt.

Die Beklagte ist Verlegerin und betreibt die Internetseite www.sueddeutsche.de. Auf dieser veröffentlichte sie am 04.09.2020 einen Artikel unter dem Namen „Notiz aus der feinen Gesellschaft“, welcher von einer möglichen Einflussnahme Hamburger Politiker auf die Entscheidungen der Finanzbehörde, im Zusammenhang von Steuerrückforderungen im „Cum-Ex-Skandal“ handelte. In diesem wird 16-mal wörtlich aus den Tagebüchern des Klägers zitiert.

Der „Cum-Ex-Skandal“ ist auch Thema eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

B. Bisheriger Prozessverlauf

Erstinstanzlich befasste sich das Landgericht Hamburg mit der Klage. Dieses verbot die Veröffentlichung der 16 Textpassagen. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurück. Es lockerte das vom Landgericht Hamburg aufgestellte Verbot jedoch, da inzwischen zwei der zitierten Textpassagen von den Anwälten des Klägers im parlamentarischen Untersuchungsausschuss verlesen wurden.

Die Beklagte verfolgte die durch das Oberlandesgericht zugelassene Revision weiter und hatte schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) Erfolg.

C. Entscheidung des BGH

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Dem Kläger steht gegen den Verlag kein Anspruch auf Unterlassung der wörtlichen Wiedergabe der entsprechenden Textpassagen zu. Ein Unterlassungsanspruch folge weder aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB unter dem Gesichtspunkt der Verletzung eines Schutzgesetzes, noch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB.

Zum einen handele es sich bei § 353d Nr.3 StGB nicht um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Zwar diene die Norm auch dem Schutz des von einem Strafverfahren Betroffenen vor einer vorzeitigen Bloßstellung. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Normengefüges sei es haftungsrechtlich nicht vertretbar, den zivilrechtlichen Rechtsgüterschutz in der Weise vorzuverlagern, dass die deliktische Einstandspflicht unabhängig von einer tatsächlich eingetretenen Beeinträchtigung des Schutzguts und losgelöst von einer – erforderlichen – einzelfallbezogenen Abwägung mit den entgegenstehenden Rechten Dritter aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK an die abstrakte Gefahr der Bloßstellung eines Verfahrensbetroffenen geknüpft werde. Die Belange der Verfahrensbetroffenen seien auch ohne die Verwirklichung einer so weitgehenden Rechtsfolge ausreichend abgesichert.

Da es sich im Verfahren um private Aufzeichnungen des Klägers handele, welche durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurden, handele es sich laut BGH zudem nicht um „amtliche Dokumente“ des Strafverfahrens. Mit Blick auf die Gewährleistungen in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG verbiete sich ein weites Begriffsverständnis. Private Aufzeichnungen verwandelten sich laut BGH auch nicht durch den reinen Umstand in ein amtliches Dokument, dass sie von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt worden sind oder in sonstiger Weise zu Zwecken des Verfahrens in den Gewahrsam einer daran mitwirkenden Behörde gelangten. Der BGH stellte insofern klar: Hätte der Gesetzgeber auch Dokumente privater Urheber dem Tatbestand des § 353d Nr. 3 StGB unterstellen wollen, so hätte er dies durch die Bezeichnung „amtlich verwahrte Dokumente“ klar zum Ausdruck bringen können und angesichts seiner Verpflichtungen aus Art. 103 Abs. 2 GG auch zum Ausdruck bringen müssen.

Schließlich sei zwar der Vertraulichkeitsanspruch und der soziale Geltungsanspruchs des Klägers beeinträchtigt. Die Beeinträchtigung sei jedoch nicht rechtswidrig.

Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit, auf das sich die Beklagte stützen könne sowie ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiegten das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit. Die Rechte des Klägers sein durch wörtliche Wiedergabe seiner Tagebuchaufzeichnungen nur in verhältnismäßig geringem Maß beeinträchtigt worden. Dem gegenüber habe die Beklagte mit der wortlautgetreuen Wiedergabe der Tagebuchaufzeichnungen einen wichtigen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit in höchstem Maße berührenden Frage geleistet, die auch Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Hamburg ist. Das überragende Informationsinteresse der Öffentlichkeit erstrecke sich auch auf die Wiedergabe der Tagebuchaufzeichnungen im Wortlaut. Den wörtlichen Zitaten komme ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung zu. Sie dienen dem Beleg und der Verstärkung der Aussage der Beklagten, es dränge sich der Verdacht auf, dass hochrangige Hamburger Politiker Einfluss auf Entscheidungen der Finanzbehörden im Zusammenhang mit Steuerrückforderungen nach Cum-Ex-Geschäften genommen hätten. Dies habe der Kläger hinzunehmen.