Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 8.6.2023 (C-50/21 – „Prestige and Limousine”) klargestellt, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Taxiunternehmen und Mietwagenunternehmen (für die u.a. BOLT und UBER die Plattform stellen) einzig mit wirtschaftlichen Argumenten unzulässig ist.
Dies ist gerade für den deutschen Markt der Vermittlungsplattformen wie BOLT und UBER spannend. Denn vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils lässt sich vor Allem folgende Schlussfolgerung ableiten:
die in § 49 Abs. 4 S. 3 PBefG verankerte Rückkehrpflicht für Mietwagen ist unzulässig,
sofern diese einzig mit dem wirtschaftlichen Schutz der Taxibranche gerechtfertigt wird, so wie es derzeit der Fall ist.
A. Zum Hintergrund
Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hatte der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 8.6.2023 zu klären, ob zwei besondere Zugangsbeschränkungen für Mietwagenunternehmen im Großraum Barcelona mit der in Art. 49 AEUV verankerten Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Konkret sahen die örtlichen Vorschriften vor, dass Mietwagengenehmigungen nur in einem Verhältnis von 30 Taxilizenzen maximal je eine Mietwagenfahrerlizenz vergeben werden dürfen und zusätzlich zur ohnehin nach nationalem Recht erforderlichen Genehmigung für die Personenbeförderung noch eine zweite Genehmigung an eine bedarfsorientierte Kontingentierung gebunden ist. Hierbei legen die Behörden anhand eines ermittelten Bedarfs fest, wie viele Genehmigungen insgesamt ausgegeben werden dürfen.
Spanische Mietwagenunternehmen wandten sich mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Tribunal Superior de Justicia de Cataluña gegen diese Kontingentierungsmaßnahmen. Das spanische Gericht zweifelte an der Unionsrechtskonformität der Mietwagenbeschränkungen und legte die Angelegenheit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
B. Entscheidungsgründe
Der EuGH hat die beanstandeten Mietwagenbeschränkungen am Maßstab der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV geprüft. Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV umfasst das Recht, selbständige Erwerbstätigkeiten aufzunehmen und auszuüben sowie Unternehmen zu gründen und zu leiten. Die Mietwagenbeschränkungen ist – so der EuGH – grundsätzlich schon dann berührt, wenn Maßnahmen geeignet sind, die Ausübung des freien Niederlassungsrechts „unterzubinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“.
Reine Wirtschaftsinteressen als unzulässiger Rechtfertigungsgrund
Die spanische Regierung und die zuständigen Behörden aus Barcelona versuchten die Mietwagenbeschränkungen damit zu rechtfertigen, dass die fraglichen Regelungen vor allem dem wirtschaftlichen Schutz des Taxigewerbes dienen sollen.
Der EuGH machte diesbezüglich deutlich, dass eine Regelung, die in erster Linie den wirtschaftlichen Interessen eines bestimmten Verkehrsmittels dient, unionsrechtlich nicht ausreicht, um die Regelung zu rechtfertigen. Rein wirtschaftliche Gründe gelten dabei nicht als „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“.
Ergo: Die bloße Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Taxigewerbes reicht nicht als hinreichender Gemeinwohlgrund aus, um die Grundfreiheiten von Mietwagenunternehmen einzuschränken.
C. Bedeutung für das deutsche Recht
Die vom EuGH aufgestellten Grundsätze haben erhebliche Auswirkungen für die Rechtslage im deutschen Personenbeförderungsgesetz (PBefG).
Insbesondere zwei Regelungsbereiche stehen damit im Fokus:
-
Rückkehrpflicht nach § 49 Abs. 4 S. 3 PBefG
Bereits 1983 wurde in Deutschland die Pflicht eingeführt, dass Mietwagen nach Ausführung eines Beförderungsauftrags unverzüglich zum Betriebssitz zurückkehren müssen, sofern kein Anschlussauftrag vorliegt. Das Bundesverfassungsgericht (BGH) erklärte diese Rückkehrpflicht 1989 für verfassungskonform, wobei es den Gesetzgeber darin bestärkte, das Taxigewerbe als unverzichtbaren Bestandteil der Daseinsvorsorge zu schützen. Die Rückkehrpflicht wurde zwar 2021 durch § 49 Abs. 5 PBefG etwas entschärft, indem in bestimmten Situationen Ausnahmen zugelassen werden. Gleichwohl bleibt der primäre Zweck bestehen: Die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit des Taxigewerbes vor Konkurrenz durch den Mietwagenverkehr zu bewahren. Dieser Argumentation bedienen sich auch die deutschen Aufsichtsbehörden, um Genehmigungen der Mietwagenunternehmen zu versagen.Aus unionsrechtlicher Sicht sind solche Beschränkungen jedoch nur dann zulässig, wenn sie auf Gründe gestützt werden können, die über den bloßen Schutz wirtschaftlicher Interessen hinausgehen. Sofern primär ein „Reinökonomisches Motiv“ – etwa die Abwehr günstigerer Konkurrenzangebote – verfolgt wird, ist die Rückkehrpflicht vor dem Hintergrund des vorliegenden EuGH-Urteils unzulässig.
-
Tarifbezogene Regelungen und Mindestbeförderungsentgelte nach § 51a PBefG
Auch § 51a PBefG stellt eine Einschränkung dar, die sich angesichts der EuGH-Rechtsprechung nur noch schwer rechtfertigen lässt. Der § 51a PBefG wurde mit der Novelle des Personenbeförderungsrechts im Jahr 2021 eingeführt und ermächtigt die Genehmigungsbehörden, tarifbezogene Regelungen für den Mietwagenverkehr festzulegen. Dies umfasst insbesondere die Möglichkeit, Mindestbeförderungsentgelte zu bestimmen.In der Gesetzesbegründung zu § 51a PBefG wird im Wesentlichen angeführt, dass die Preisregulierung dazu dienen soll, „die Gewährleistung einer ‚angemessenen Gewinnspanne‘ für das Taxigewerbe“ sicherzustellen sowie „das wirtschaftliche Interesse des Taxiunternehmers und das Interesse der Allgemeinheit (…) soweit wie möglich in Einklang zu bringen“ und damit den „Erhalt eines funktionsfähigen Taxigewerbes“ zu sichern. Ausgehend von der EuGH-Rechtsprechung verstoßen jedoch derartige Maßnahmen, die allein der Wahrung des wirtschaftlichen Bestandes des Taxigewerbes dienen, gegen Art. 49 AEUV.
E. Fazit
Die aktuelle EuGH-Entscheidung ist für viele Mietwagenunternehmen ein positiver Schritt, da sie auf eine weitgehende Gleichstellung mit Taxiunternehmen hoffen lässt. Dennoch ist unklar, inwieweit die Bundesregierung davon Kenntnis genommen hat, da bislang keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen sichtbar sind. Derzeit fehlt es an erkennbaren Anzeichen für eine entsprechende Anpassung des Rechtsrahmens.