Direkt zum Inhalt wechseln

Selbst wenn Räume nicht ausdrücklich, sondern nur aus den Umständen ergebend „zum Tanzbetrieb“ vermietet bzw. verpachtet wurden, entschied das Reichsgericht zu Kriegszeiten, dass die Untersagung einer solchen Nutzung ein Mietmangel ist und somit ein Minderungsrecht (auf Null) besteht. Die Entscheidungen sind mehr als 100 Jahre alt und brandaktuell. Denn sie lassen sich auf die Corona-Betriebsschließungen übertragen.

Wer Räume zum Betrieb einer Gaststätte, eines Restaurants, eines Fitnessstudios oder einer Galerie angemietet hat, ist zur Einstellung der Mietzahlungen berechtigt, da die Schließungen einen Mietmangel darstellen (vgl. bereits hier.)

1. Tanzverbote im Ersten Weltkrieg

Zu Zeiten des ersten Weltkrieges ging es um Ballsäle, Tanz- und Nachtlokale, die nicht oder nur sehr eingeschränkt betrieben werden konnten. Eine Reihe von Miet- und Pachtproblemen folgte mit weiteren Verboten: Kaufhäuser, Mühlen, aber auch Bierwirtschaften waren betroffen.

In einem Urteil des Reichsgerichts vom 9.11.1915 (RGZ 87, 277 – III 145/15) wurde über die Frage entschieden, ob dem Pächter einer vorwiegend dem Tanzbetrieb dienenden Gastwirtschaft ein Minderungsrecht zusteht, wenn infolge des Krieges die Veranstaltung öffentlicher Tänze untersagt wurde.

Zunächst wurde geklärt, dass es sich bei der als Mietvertrag deklarierten Vereinbarung zwischen den Parteien faktisch um einen Pachtvertrag handelte. Schon damals galten die Vorschriften des Mietrechts auch für den Pachtvertrag gemäß der Verweisung des § 581 Abs. 1 BGB. Für die Begründung eines Anspruchs auf Minderung, müsste also ein Mangel gegeben sein, der die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt. War nun der Tanzbetrieb Kern des Vertragsgegenstandes, ohne den die Pachtsache untauglich wurde? Das Gericht bejahte dies zugunsten der Pächter: Indizien hierfür seien insbesondere die Tatsache, dass das in den Pachträumen vertriebene Geschäft vorwiegend dem Tanzbetriebe diene, und das nicht nur während der Pachtzeit bis zum Krieg, sondern schon 30 Jahre im Vorfeld des Vertragsschlusses. Weiteres Indiz sei, dass die Tanzveranstaltungen die vorwiegende Einnahmequelle des Betriebes darstellten: Speisen, Getränke und sonstige Genussmittel wurden nur oder fast nur von den an den Tanzveranstaltungen teilnehmenden Gästen bestellt.

Betont wurde hier auch die Risikoverteilung bei Pachtverhältnissen: Der Verpächter selbst hat das Risiko zu tragen, dass die Möglichkeit der Fruchtziehung beeinträchtigt wird – denn es gehe hier nicht um die Früchte oder deren Entstehung, sondern um den Pachtgegenstand selbst.

Dieser Fruchtgenuss wurde durch das Verbot öffentlicher Tänze für dessen Dauer aus einem nicht in der Person der Pächter liegenden Grunde unmöglich. Das Verbot betraf den Pachtgegenstand selbst, die zum Tanzbetrieb eingerichteten und ihm seit langen Jahren dienenden Räume; sie wurden dadurch der Eigenschaft einer Tanzwirtschaft beraubt und so mit einem die Tauglichkeit zu der vertragsmäßigen Nutzung mindernden Mangel behaftet, sodass die Vorschrift des § 537 BGB gem. 581 Abs. 2 BGB anwendbar ist.”

Interessant ist außerdem, dass es nach Auffassung des Reichsgerichts unerheblich war, dass der Tanzbetrieb in dem schriftlichen Vertrag keine Erwähnung fand. „Beide Parteien wussten, dass der Tanzbetrieb die Quelle des Erwerbs für den Pächter bisher gebildet hatte und eine andere Art der Verwertung kam zur Zeit des Vertragsschlusses nicht in Frage.”

Auch in seinem Urteil vom 20.2.1917 (RGZ 89, 203 – III 384/16) (in dem es primär um die Beurteilung der Unmöglichkeit der Leistung ging) entschied das Reichsgericht, dass der durch das Tanzverbot geschaffene Zustand als ein fehlerhafter im Sinne des § 537 BGB a.F. anzusehen sei. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel, ging in diesem Fall jedoch aus dem Vertrag selbst hervor, dass die verpachteten Räume die Eigenschaften der Räume einer Tanzwirtschaft in sich tragen. „Das Tanzverbot hat dadurch, dass es die Ausnutzung dieser Eigenschaften verhindert, den Pachtgegenstand selbst getroffen und deshalb einen Mangel im Sinne des § 537 BGB a.F. verursacht.”

Anders gelagert war ein Fall im Jahre 1917 bezüglich einer Bierwirtschaft. Durch ein Verbot war die Biererzeugung eingeschränkt worden, und der Wirt verlor ebenfalls einen Großteil seiner Kundschaft, da er nicht mehr genügend Bier ausschenken konnte. Das Reichsgericht (RGZ 90, 374 – III 98/1) verneinte ein Minderungsrecht, denn durch das Verbot sei nur der Bierhersteller persönlich betroffen. Dafür, dass der Pächter mittelbare Auswirkungen auf seinen Geschäftsbetrieb habe, soll der Vermieter nicht haften. Die Bierwirtschaft sei in ihrem Gebrauch herabgesetzt, jedoch nicht ihrer Eigenschaft beraubt worden. Sie bestand „trotz des verminderten Umsatzes als Bierwirtschaft weiter, ihr Charakter als solcher ändert sich nicht“.

2.      Entscheidungen aus der Nazizeit

Mit größter Zurückhaltung sind Entscheidungen aus der Nazizeit zu betrachten, da es um gesetzliche Beschränkungen und Verbote ging, denen vielfach antisemitische Motive zugrunde lagen.

Im Jahre 1933 schränkte eine Verordnung die Menge der Getreideproduktion ein. Durch die Kontingentierung sollte eine „im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und zum Bedarf gleichmäßige Beschäftigung ermöglicht” werden. Die Pächterin einer Mühle klagte auf Minderung ihres Pachtzinses und erhielt Recht. Anstatt der eigentlich möglichen Kornmenge von 5400 t durfte sie nur noch ca. 1400 t zermahlen. Das Reichsgericht (RGZ 147, 157 – IV 329/34) sah einen Mangel der Pachtsache (Mühle) darin, dass der Mühlenbetrieb in „so weitgehendem Maße [eingeschränkt war], dass unbedenklich ein Fehler der Pachtsache selbst anzuerkennen ist“. Das Verbot traf eine Beziehung zur Pachtsache, die in ihrer besonderen Eigenart erheblich eingeschränkt wurde: Die Ausnutzung der Mühle zum Zermahlen von Getreide. Die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch wurde weitgehend gemindert und die Miete sei daher angemessen herabzusetzen.

Zwei Jahre später hatte das Reichsgericht (RGZ 147, 304 – IV 20/35) zu entscheiden, ob die Mieterin eines für sie errichteten Gebäudes keine Miete zahlen muss, wenn sie es wider Erwarten nicht als Kaufhaus nutzen könne. Mit dem antisemitischen „Gesetz zum Schutze des Einzelhandels” im Jahre 1933 wurde die Eröffnung neuer Kaufhäuser untersagt, sodass die Mieterin auf Rückzahlung der Monatsmieten klagte, die sie vorgezahlt hatte und während der das Gesetz galt. Das Reichsgericht sah keinen Mangel und verneinte ihren Anspruch. Zwar gingen beide Parteien davon aus, die Mieterin würde ein Kaufhaus eröffnen. In dem Vertrag leistete die Vermieterin jedoch nur dafür Gewähr, dass der von ihr zu errichtende Neubau „in allen Teilen“ dem eines Kaufhauses entsprach. Dies bezog sich also „offensichtlich“ nur auf die „sachgemäße Herstellung” des Mietgebäudes. Der vertragsgemäße Gebrauch für die Mietzeit war wesentlich weiter gefasst: Im Vertrag war Untervermietung sowie „Umbauten und Ausbauten im weitesten Umfange” erlaubt. Die Mieterin hatte in der Art der Verwendung „freie Hand” gehabt. Hier reichte der alleinige Wille nicht aus, da der Wortlaut des Vertrages an diesen Stellen suggerierte, dass die Vermieterin gerade nicht dafür Gewähr leisten wollte, „den Warenhausbetrieb selbst dann eröffnen zu können, wenn ein solches wirtschaftliches Unternehmen ganz allgemein, also ohne jede Beziehung zu der Beschaffenheit des Gebäudes, untersagt wird“.

Dass das Reichsgericht den „Kaufhaus-Fall“ anders entschied als die „Tanzverbots-Fälle“, lässt darauf schließen, dass es sich um jüdische Mieter handelte, die in der Nazizeit auch bei den Zivilgerichten zumeist keinen Schutz ihrer Rechte erwarten durften.

Autoren: Christian Willert, Olivia Wykretowicz, Jessica Prauß