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Das OLG Dresden hat in seinem Urteil vom 8.3.2022 – 4 U 1050/21 entschieden, dass die dauerhafte Deaktivierung des Nutzerkontos bei einem sozialen Netzwerk auch dann nur nach vorheriger Abmahnung zulässig ist, wenn zuvor bereits mehrere Beiträge des Nutzers gelöscht worden waren.

Hintergrund

Ausgangspunkt der zugrundeliegenden Streitigkeit war die wiederholte Löschung von Beiträgen sowie die anschließende vollständige Sperrung und Deaktivierung eines Nutzerkontos durch den Netzwerkbetreiber. Dabei wurde der Nutzer zu keinem Zeitpunkt mittels Abmahnung von der vermeintlichen Widerrechtlichkeit seiner Beiträge in Kenntnis gesetzt, noch wurde ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme geboten.

Entscheidung

Das OLD Dresden stellte zunächst die Unwirksamkeit der Kündigung des Nutzungsvertrags fest und bejahte einen Anspruch des Klägers aus §§ 280, 249 BGB auf Widerherstellung seines Nutzerkontos.

Auf der Grundlage jüngster BGH Rechtsprechung (Urteile vom 29.7.2021 – III ZR 179/20 und III ZR 192/20) führte das Gericht aus, dass die fristlose Kündigung eines Accounts, mit welchem der Inhaber seine Unterstützung von Hassorganisationen zum Ausdruck bringt, nur wirksam werden kann, wenn der Nutzer zuvor gemäß den Anforderungen des § 314 BGB abgemahnt wurde. Das gebiete die, in Fällen wie dem vorliegenden, erforderliche Interessenabwägung. Denn aus dieser ergebe sich für die Netzwerkbetreiber, dass sie vor dem Ergreifen von Sanktionen, die ihnen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts ergreifen müssen. Dies wiederrum gelte insbesondere für die dauerhafte Kündigung eines Nutzerkontos.

Eine Abweichung von diesem Grundsatz, so das OLG, könne nur unter bestimmten Voraussetzungen rechtmäßig sein. Sich auf die Erläuterungen des Senats (Senat, Urteil vom 16. Juni 2020 – 4 U 2890/19 –, Rn. 36, 46 juris) berufend führte es aus, dass dies einerseits der Fall sei, wenn der Nutzer eine ernsthafte und endgültige Verweigerung jedweder Pflichterfüllung erkennen lässt oder sich bei einer Gegenüberstellung der streitigen Parteiinteressen das Bedürfnis nach einer sofortigen Kündigung regelrecht aufdränge. Andererseits auch dann, wenn sich eine zu den Gemeinschaftsstandards widersprüchliche „politisch-ideologische Ausrichtung des Nutzers“ erkennen lasse, wie dies bei „Hassorganisationen“ der Fall sei, da dies einer „Zerrüttung des Vertragsverhältnisses“ gleichkomme.

Für die Begründung dieser Wertungshaltung stützte sich das OLG Dresden auf die Funktion der Abmahnung und schloss sich damit dem OLG Brandenburg an. Letzteres hatte angeführt, dass diese darin bestünde, „dem Schuldner die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens vor Augen zu führen und ihn vor den Folgen einer Fortsetzung zu warnen“ (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 25. Januar 2022 – 3 U 119/20 –, Rn. 52 – 53, juris)

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das NetzDG Geltung entfaltet bzw. ob sich auch aus dem NetzDG eine entsprechende Handlungspflicht des Netzwerkinhabers ergibt.

Das OLG Dresden geht darauf nicht gesondert ein. Und auch bei der Klärung, ob dem Kläger ein Auskunftsanspruch bezüglich möglicher Weisungen von Seiten der Bundesregierung, zusteht erwähnt es die „durch das NetzDG ausgelösten Handlungsaufforderungen für Betreiber sozialer Netzwerke“ nur oberflächlich. Hintergrund könnte sein, dass das NetzDG nicht anwendbar ist gemäß, weil die Zahl der Mitglieder zwei Millionen nicht überschreitet, § 1 Abs. 2 NetzDG oder es sich bei der Plattform um ein Berufsnetzwerk handelt, das ebenfalls vom Anwendungsbereich des NetzDG ausgenommen sei.

Andernfalls wäre das Gericht wohl auf das in § 3a NetzDG geregelte Gegenvorstellungsverfahren eingegangen. Hiernach muss der Anbieter eines sozialen Netzwerks ein wirksames und transparentes Verfahren vorhalten, mit dem sowohl der Beschwerdeführer als auch der Nutzer, für den der beanstandete Inhalt gespeichert wurde, eine Überprüfung einer zu einer Beschwerde über rechtswidrige Inhalte getroffenen Entscheidung über die Entfernung oder die Sperrung des Zugangs zu einem Inhalt (ursprüngliche Entscheidung) herbeiführen kann.

Weil Hate Speech ebenso wie unberechtigte Sperrungen von Beiträgen und Accounts sowohl auf kleineren Plattformen als auch auf den beruflichen Plattformen wie LinkedIn oder Xing beobachtet werden können, sollten diese nicht länger ausgenommen werden, wenn und soweit das NetzDG, hierzu Regelungen trifft. Die hierin aufgeführten Regeln würden das Prozedere klar beschreiben und nachvollziehbar machen. Solange das nicht der Fall ist, können sich gesperrte Nutzer auf die auch vom Gericht zugrunde gelegten allgemeinen Regeln aus §§ 280, 249 BGB berufen.