Sawsan Chebli muss nicht hinnehmen, auf Facebook in einem Kommentar als „dämliches Stück Hirn-Vakuum“ bezeichnet zu werden. Das entschied das OLG Stuttgart mit Urteil vom 29.11.2023, Az. 4 U 58/23, weil es sich bei dieser Äußerung um eine unzulässige Schmähkritik. Das Landgericht Heilbronn hatte ihre Klage noch abgewiesen, weil es sich bei der Äußerung um ein zulässiges Werturteil handele. Die ebenfalls beantragte Geldentschädigung verneinte das OLG hingegen und rückte hierbei noch einmal die Tatbestandsvoraussetzungen in den Vordergrund.
Hintergrund
Die Klägerin, Sawsan Chebli, eine deutsche Politikerin, hatte im November 2020 den Beitrag des Kabarettisten Dieter Nuhr in dessen Sendung auf der Plattform X kritisiert. Dabei verwendete sie unter anderem die Worte „ignorant, dumm und uninformiert“. Zu diesem Post äußerte sich wiederum der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Brandenburg auf Facebook. Der Beklagte kommentierte unter dem Beitrag des Politikers: „Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie Sawsan Chebli. Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie bezahlen“. Wegen dieses – mittlerweile gelöschten – Beitrags, lies Frau Chebli den Autor abmahnen und erhob sodann Klage auf Unterlassung und Geldentschädigung. Der Facebook-Nutzer hielt der Klage entgegen, er sei nicht Urheber des Kommentars und behauptete jemand müsse sich seines Notebooks bemächtigt haben. Das Landgericht Heilbronn wies die Klage in erster Instanz vollumfänglich ab, mit der Begründung der Beitrag sei noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Haftung als Täter
Zunächst musste sich das OLG mit der Behauptung des Klägers beschäftigen, dass er den Kommentar überhaupt nicht abgesetzt habe, sondern dass Dritte unberechtigt auf seinen Account zugegriffen hätten.
Den Senat konnte der Beklagte nicht davon überzeugen, dass er den Beitrag nicht selbst verfasst habe. Wer seinen Rechner inklusive seines Internetaccounts nicht ausreichend vor fremdem Zugriff sichere, hafte als Täter, so das Gericht. Einen Vortrag zu ausreichenden Anknüpfungstatsachen, der eine Vermutungswirkung hätte entfallen lassen können, erbrachte der Beklagte nicht. Auch die mehrfache Distanzierung von den getätigten Äußerungen, führe nicht zu einer Entlastung des Facebook-Nutzers, da dieser sein Verhalten gleichzeitig damit verteidigen wollte, dass es erlaubt sein müsse, auf die Klägerin als Politikerin zu reagieren, um diese angesichts ihres eigenen Verhaltens „fertig zu machen“. Diese Verteidigung führte dazu, dass ihn das Gericht als Urheber des streitgegenständlichen Posts einordnete.
Unzulässige Schmähkritik
Sodann stufte das OLG Stuttgart die Äußerung zu Recht als unzulässige Schmähkritik ein.
Die Annahme einer Schmähkritik hat vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG grundsätzlich zurückhaltend zu erfolgen. Die Hürden hierfür sind hoch. Die Meinungsäußerung deckt grundsätzlich auch scharfe Äußerungen ab. Eine Äußerung nimmt den Charakter einer Schmähung erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Erst wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht, ist von einer Schmähkritik auszugehen. Klarstellend führte das OLG aus, dass es gerade die Fälle sind, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde. Gerade im Internet sein Schmähungen auch von Privatfehden losgelöst. Sie könnten persönlich nicht bekannte Personen, aber auch solche des öffentlichen Lebens betreffen, die im Schutz der Anonymität des Internets ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu einer Sachkritik grundlos aus verwerflichen Motiven wie Hass- oder Wutgefühlen heraus verunglimpft und verächtlich gemacht werden.
Bei Äußerungen der Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen komme eine Schmähkritik damit nur ausnahmsweise in Betracht, zitierte das OLG zudem das BVerfG.
Sodann betonte das OLG die besonderen, vom BVerfG aufgestellten, Maßstäbe, die im Hinblick auf PolitikerInnen zu beachten sind. Dies diskutiert das BVerfG unter dem Begriff der Machtkritik, wonach BürgerInnen von ihnen als verantwortlich angesehene AmtsträgerInnen in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden. Eine solche Machtkritik erlaube hingegen nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von AmtsträgerInnen oder PolitikerInnen. Die Äußerungen sein desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt. Ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von AmtsträgerInnen sowie PolitikerInnen liege dabei auch im öffentlichen bei der Abwägung zu berücksichtigenden Interesse, denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet sei.
Das OLG sah die Grenze zur Schmähkritik nach diesen Kriterien jedoch als überschritten an.
Die Charakterisierung der Klägerin als „dämlich“ und hirnlos („Hirn-Vakuum“), neben der Verwendung des Wortes „Stück“, verleihe dem Kommentar eine abwertende und diffamierende Komponente, da ein Mensch (oder dessen Teile) nicht als Stück bezeichnet würden, weil ihm so die menschliche Würde abgesprochen werde (Art. 1 GG). Ein Zusammenhang zwischen der Aussage und den Beiträgen der Klägerin, sowie des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Brandenburger Landtag, sei zwar laut Gericht – gerade durch die Anknüpfung an eine öffentlich geführte Debatte – zu bejahen. Indem Frau Chebli jedoch nur persönlich beschimpft und angegangen werde, sei der Beitrag völlig von der vorherigen Auseinandersetzung losgelöst. Den Kommentar müsse die Politikerin auch nicht deshalb akzeptieren, weil sie zunächst selbst abwertende Begriffe wie „ignorant, dumm und uninformiert“ benutzt habe. Der Post des Beklagten stelle nämlich keine adäquate Reaktion auf das Vorverhalten der Klägerin dar.
Die vom Senat ebenfalls als unzulässiges Werturteil angesehene Aussage „Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie bezahlen“, sei zudem als Herabsetzung von Immigranten zu sehen. Insoweit fehle jeglicher Bezug zu dem Diskurs um das Verhalten des Kabarettisten, weshalb auch dieser Aussage eine diffamierende Wirkung beigemessen wurde.
Kein Anspruch auf Geldentschädigung
Ein Anspruch auf Geldentschädigung setzt voraus, dass eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, dem Schädiger ein schweres Verschulden vorzuwerfen ist und ein unabwendbares Bedürfnis für die Zubilligung einer Geldentschädigung besteht.
Es muss eine zwingende Notwendigkeit der Gewährung eines Ausgleichs in Geld und die Verschaffung einer Genugtuung vorliegen. Die Beeinträchtigung darf nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden können. Das ist z.B. anzunehmen, wenn der Täter freiwillig Genugtuung durch Abgabe einer öffentlichen Entschuldigung oder Berichtigungserklärung geleistet hat, wenn der Betroffene auf einen Widerrufsanspruch bewusst verzichtet hat, wenn die schutzwürdigen persönlichen Interessen des Betroffenen nur beiläufig tangiert werden oder wenn er sich durch sein eigenes Verhalten aus dem geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts hinaus begeben hat.
Das OLG zitierte sodann die von der neueren Rechtsprechung zitierte Formel:
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats begründet die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen (…). Die Zubilligung einer Geldentschädigung kommt auch in Betracht, wenn das Persönlichkeitsrecht durch eine nicht erweislich wahre rufschädigende Tatsachenbehauptung verletzt wird. In diesem Fall ist aber bei der Gewichtung der Schwere des Eingriffs die offen bleibende Möglichkeit mit zu berücksichtigen, dass die inkriminierte Behauptung wahr sein kann. Außerdem ist der besonderen Funktion der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Rechnung zu tragen, die sowohl in einer Genugtuung des Verletzten für den erlittenen Eingriff besteht als auch ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken findet, dass das Persönlichkeitsrecht gegenüber erheblichen Beeinträchtigungen anderenfalls ohne ausreichenden Schutz bliebe. Zudem soll die Geldentschädigung der Prävention dienen (…). Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist auch ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen; der Titel und die mit ihm verbundenen Vollstreckungsmöglichkeiten können den Geldentschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen (…).“
Den Anspruch auf Schmerzensgeld lehnte das Gericht nach den vorstehenden Kriterien mit der Begründung ab, dass zwar aufgrund der Äußerungen von einer relativ schwerwiegenden Beeinträchtigung auszugehen sei.
Nachdem der Beklagte jedoch mit einer Strafanzeige von Frau Chebli überzogen wurde, er zudem den streitgegenständlichen Beitrag gelöscht und vorgetragen hat, er habe seit 2020 keinerlei Aussagen mehr bezüglich der Klägerin getätigt, habe auch kein Interesse, sich mit Frau Chebli und ihren Ansichten zu beschäftigen, könne nicht mehr von einer Fortdauer der Rufschädigung ausgegangen werden. Da der Beklagte zudem zur Unterlassung verurteilt wird, sei dem Persönlichkeitsrecht von Frau Chebli mit dem Unterlassungsanspruch Genüge getan, eine weitergehende Sanktion sei insoweit nicht mehr erforderlich.
Fazit
Die Entscheidung des OLG ist richtig. Zunächst hat das Gericht erkennbaren Schutzbehauptungen, wie z.B. „mein Account wurde gehackt“ oder ähnliches einen Riegel vorgeschoben. Sodann gestatten der wichtige politische Diskurs und die besonderen Maßstäbe im Fall einer Machtkritik dennoch keine Kommentare, die ohne Interesse an einer Auseinandersetzung in der Sache, allein darauf abzielen, Personen, natürlich auch PolitikerInnen, herabzusetzen und zu entmenschlichen. Dabei hat das OLG nicht leichtfertig eine Schmähkritik angenommen, sondern die strengen und wichtigen Maßstäbe des BVerfG zutreffend angewandt. Im Hinblick auf die Geldentschädigung maß das OLG dem Merkmal des unabwendbares Bedürfnisses besonders starke Bedeutung zu. Auch dies ist richtig. Wenn der Täter durch sein Handeln und seine Äußerungen vor und im Prozess (u.a. Löschung des Beitrags) glaubhaft zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Äußerungen nicht wiederholen wird und gleichzeitig der Betroffene durch einen Unterlassungstitel ausreichend gegen eine Wiederholung abgesichert ist, bestehen berechtigte Zweifel an dem unabwendbaren Erfordernis einer Geldentschädigung.