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Am 05.04.2023 hat das Bundeskabinett die 11. GWB-Novelle beschlossen. Das umgangssprachlich als Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz bezeichnete Änderungsgesetz sieht eine weitreichende Erweiterung der Befugnisse des Bundeskartellamtes (BKartA) vor. Herzstück sind die neuen Eingriffsbefugnisse im Zusammenhang mit Sektoruntersuchungen nach Vorbild der britischen Competition and Markets Authority (CMA). Der Regierungsentwurf wird jetzt dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet. Der zweiteilige Beitrag gibt einen Überblick über die geplanten Neuerungen und beurteilt die Auswirkungen auf die Praxis.

In Teil 1 des Beitrags (nachfolgend) geht es zunächst um die neue Sektoruntersuchung. Teil 2 des Beitrags behandelt die neuen Möglichkeiten der Abschöpfung kartellrechtswidrig erlangter Gewinne und die Durchsetzungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Digital Markets Act.

A. Die neue Sektoruntersuchung

Die Sektoruntersuchung gibt es im Kartellrecht schon jetzt (§ 32e GWB). Es handelt sich um eine Untersuchung bestimmter Wirtschaftszweige, in denen Indizien für einen beschränkten Wettbewerb bestehen, weil starre Preise oder vergleichbare Umstände darauf hindeuten. Die aktuelle Sektoruntersuchung ist aber ein stumpfes Schwert. Sie endet allenfalls mit der Veröffentlichung eines Berichtes (§ 35e Abs. 3 GWB). Will das BKartA tätig werden, muss es nach aktueller Rechtslage ganz normal einen Kartellverstoß nachweisen können.

Der Regierungsentwurf sieht vor, dass die Sektoruntersuchung zu einem starken Kontrollinstrument des BKartA wird, indem dem BKartA Eingriffsbefugnisse aufgrund von Sektoruntersuchungen eingeräumt werden. Zudem soll die Untersuchung durch eine Mindestdauer von 18 Monaten in § 32e Abs. 3 n.F. erheblich beschleunigt werden. Dadurch soll das BKartA nicht mehr nur aufgrund von konkreten Kartellverstößen gegen einzelne Unternehmen tätig werden können, sondern soll bereits bei einer abstrakten Wettbewerbsgefährdung in einem Wirtschaftszweig tätig werden dürfen.

Wie eine abstrakte Wettbewerbsgefährdung aussieht, konkretisiert § 32f Abs. 5 n.F. Demnach sind typische Indizien eine unilaterale Angebots- oder Nachfragemacht, eine Beschränkung des Marktzutritts oder –austritts, eine Beschränkung der Möglichkeit von Unternehmen zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager zu wechseln, gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten oder die Abschottung durch vertikale Beziehungen.

Die Störung muss zudem fortwährend sein, das heißt mindestens drei Jahre dauerhaft bestehen oder wiederholt auftreten und zum Zeitpunkt der Verfügung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit innerhalb von zwei Jahren entfallen.

 

B. Die neuen Befugnisse im Einzelnen

I. Anmeldeverpflichtung für Fusionen auf dem untersuchten Markt (§ 32f Abs. 2 n.F.)

Wenn durch künftige Zusammenschlüsse der Wettbewerb auf dem untersuchten Markt weiter gefährdet werden kann, soll das BKartA durch Verfügung Unternehmen verpflichten können, Fusionen anzumelden, bei denen der Erwerber einen Umsatzerlös im Inland von mindestens 50 Millionen EUR hatte und das zu erwerbende Unternehmen einen Umsatzerlös von mindestens 500.000 EUR aufweist.

II. Befugnisse verhaltensorientierter oder struktureller Art bei Störung des Wettbewerbs auf einem mindestens bundesweiten Markt oder mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifenden Störungen (§ 32 Abs. 3 Nr. 1-6 n.F.)

Die Abhilfemaßnahmen des Abs. 3 sehen vor allem verhaltensbezogene Eingriffsbefugnisse vor: Das BKartA soll beispielsweise Einsicht in die Daten der Unternehmen verlangen, Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen auf dem relevanten Markt machen, die Unternehmen zur Etablierung von Standards und Normen verpflichten und Vorgaben zur Vertragsgestaltung, Vertragsformen und vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung machen können. Zusätzlich wird das BKartA ermächtigt, einseitige Offenlegungen von Informationen gänzlich zu verbieten und die Trennung von Unternehmens- und Geschäftsbereichen zu veranlassen. Die aufgezählten Befugnisse des BKartA sind nicht abschließend. § 32f Abs. 3 n.F. ist ist eine Eingriffsgeneralklausel für das BKartA. Die Befugnisse des § 32f Abs. 3 n.F. bilden das Kernstück der neuen Sektoruntersuchung, sie haben eine vergleichsweise niedrige Eingriffsschwelle und werden deshalb wohl in der Praxis am häufigsten vorkommen.

Die Maßnahmen dürfen nur gegen Unternehmen getroffen werden, die durch ihr Verhalten zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen. Das erfordert gerade nicht, dass das BKartA eine kartellrechtswidrige Praxis nachweist. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass eine Praxis nachweislich auf dem Markt spürbar ist und dass eine Praxis nicht nur entfernt mit der Störung des Wettbewerbs zu tun hat. Vom BKartA wird also überhaupt keine kartellrechtliche Beurteilung gefordert, sondern nur eine tatsächliche.

 

III. Entflechtung von Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung und einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb (§ 32f Abs. 4 n.F.)

Die Entflechtung ist eine Verpflichtung zur Veräußerung von Unternehmensanteilen oder Vermögen. Als Eingriff in das Eigentum der Unternehmen ist die Entflechtung die intensivste der neu geschaffenen Befugnisse des BKartA und darf nur dann angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dass durch die Maßnahme eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs beseitigt oder erheblich verringert wird. Die Maßnahmen nach Abs. 4 sind aufgrund ihrer Intensität nur anwendbar, wenn Maßnahmen nach Abs. 3 nicht möglich oder nicht erfolgversprechend sind (Abs. 4 ist also ultima ratio).

Die betroffenen Unternehmen sollen außerdem dadurch geschützt werden, dass die Anteile nicht erzwungenermaßen weit unter Wert verkauft werden müssen. Ohne Unterstützung verkaufen muss das Unternehmen nur dann, wenn der erwartete Erlös 50% des Wertes der Unternehmensanteile oder Vermögensgegenstände übersteigt. Der Wert wird von einem durch das BKartA beauftragten Wirtschaftsprüfer festgestellt. Wird eine Unterschreitung festgestellt erhält das Unternehmen die Hälfte der Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem festgestellten Wert zur Hälfte vom BKartA.

 

C. Bewertung

Mit der neuen Sektoruntersuchung reagiert die Ampel-Koalition auf die diffusen Wettbewerbsbeschränkungen auf Märkten, in denen zwar keine Monopole herrschen, die aber von einigen wenigen mächtigen Marktakteuren beherrscht werden (sogenannten Oligopole). Auf diesen Märkten gehen die Unternehmen zum Teil derart aufmerksam mit ihren Konkurrenten um und können angesichts der geringen Anzahl an Konkurrenten so engmaschig überwachen, wie diese agieren, dass ganz ohne kartellrechtswidriges Verhalten eine erhebliche Wettbewerbsstörung eintritt. Insbesondere die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass bei internationalen Ereignissen auf oligopolen Märkten die Marktteilnehmer im Gleichlauf zum Nachteil der Verbraucher reagieren. Ausschlaggebend für die erweiterten Befugnisse waren schließlich die Preiserhöhungen auf dem Energie- und Treibstoffmarkt in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Auch im Lebensmitteleinzelhandel wird unter dem Begriff der Gewinninflation das Phänomen diskutiert, dass ganz ohne Absprachen die Preise im Gleichlauf über das erforderliche Maß erhöht werden, weil sich alle Marktteilnehmer sicher sein können, dass ihre wenigen Konkurrenten genauso handeln. Das unkontrolliert zu lassen, sollte tatsächlich nicht Anspruch des Wettbewerbsrechts sein.

Zu begrüßen ist, dass sich der Regierungsentwurf mit den Neuerungen maßgeblich am market investigation Verfahren der britischen CMA orientiert hat. Durch die gesetzgeberische Anlehnung ist zu erwarten, dass sich das BKartA auch an der Behördenpraxis orientieren wird. So kann mit den neuen Befugnissen des BKartA erheblich planbarer umgegangen werden. Generell ist der Regierungsentwurf auf Transparenz beim neuen Sektoruntersuchungsverfahren bedacht, was sich vor allem in strikten Veröffentlichungspflichten und Fristen äußert (siehe: § 32e Abs. 4 n.F., § 32f Abs. 7 n.F.).

Gegenüber dem Referentenentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium schlägt der Regierungsentwurf vorsichtigere Töne an. Insbesondere die Situationen, die einen Eingriff rechtfertigen, wurden eingeschränkt. So sah der Referentenentwurf noch vor, dass bei jeder erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem Markt eingegriffen werden kann. Jetzt ist das nur noch bei einer Störung auf einem bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend möglich, bei Abs. 4 muss zusätzlich noch die marktbeherrschende Stellung oder die überragende marktübergreifende Bedeutung festgestellt werden.

Darüber wie überzeugend diese Einschränkungen sind, lässt sich streiten. Wer Freund eines starken Kartellrechts ist, wird wenig Gefallen an den Einschränkungen finden, gerade auch weil diese zu diffizilen Abgrenzungsfragen führen, die ihrerseits die Effektivität der Durchsetzung einschränken werden. Andererseits wäre der weite Abs. 4 aus dem Referentenentwurf verfassungsrechtlich nicht ganz unbedenklich gewesen, insbesondere, weil dieser noch keine Ausgleichzahlung beim Verkauf unter Wert vorgesehen hat. Zudem machen die Einschränkungen die neue Sektoruntersuchung für kleine und mittlere Unternehmen weniger bedrohlich. Gerade die Einschränkung auf einzelne bundesweite Märkte ermöglicht zumindest einzelnen Unternehmen die Gefahr einer Sektoruntersuchung praktisch auszuschließen.

Im Endeffekt läuft die GWB-Novelle auf eine Frage der Methode heraus: Wie viel staatliche Mitwirkung duldet man in der Wirtschaft? Dass durch die neuen Befugnisse, die unabhängig von der Kartellrechtswidrigkeit der Adressaten zulässig sind, dem BKartA die Befugnis eingeräumt wird im Allgemeininteresse lenkend in die Märkte einzugreifen, ist unbestritten. Dadurch wird das BKartA von einer Kartell-Polizei, die nur Kartellverstöße verfolgen darf, zur Wettbewerbs-Feuerwehr, die allgemein und schützend bei Störungen des Wettbewerbs eingreifen darf. Ob man dabei der Meinung ist, dass diese Feuer unbedingt gelöscht werden müssen, ist eine Frage der wirtschaftspolitischen Position. Die Novelle gibt dem BKartA jedenfalls das Werkzeug an die Hand, um zur Tat zu schreiten.

 

D. Praxishinweise

Die neue Sektoruntersuchung wird ohne jeden Zweifel erhebliche Wellen schlagen. Das gilt ganz besonders für mittlere und große Unternehmen, während kleine Unternehmen weitgehend sicher vor intensiven Maßnahmen sein sollten. Sollte der Regierungsentwurf von Bundestag und Bundesrat angenommen werden, werden sich Unternehmen auf anfängliche Unsicherheiten einstellen müssen. Orientierung könnte in dieser Zeit die Behördenpraxis des CMA bieten.

Für Unternehmen entsteht die unangenehme Situation, dass sie trotz umfangreicher Prüfung der Kartellrechts-Konformität ihrer Geschäftspraxis, keine hundertprozentige Sicherheit haben, nicht Adressat von kartellrechtlichen Maßnahmen zu werden. Wie erheblich etwaige chilling-Effekte sind und wie schnell das BKartA durch die eigene Behördenpraxis in der Lage ist, Sicherheit zu schaffen, bleibt abzuwarten.

Abgesehen von den üblichen anfänglichen Unsicherheiten ist es aber unwahrscheinlich, dass die Sektoruntersuchung ein Instrument wird, das im durchschnittlichen Geschäftsverkehr auf Dauer zu Unsicherheiten führt. Durch die Einschränkungen der Eingriffsbefugnisse wird sich schnell herauskristallisieren, welche Märkte überhaupt betroffen sind. Das BKartA wird außerdem vorsichtig sein, ihr neues Instrument anzuwenden. Die bestehende Sektoruntersuchung wurde 2-4 mal im Jahr in politisch hochbrisanten Bereichen angewendet (Big-Tech, Krankenhäuser, Kraftstoff und Öl bspw.). Daran wird sich wahrscheinlich auch in Zukunft nichts ändern.

 

E. Weitere Informationen und wichtige Dokumente

Der Regierungsentwurf: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Gesetz/aenderung-des-gesetzes-gegen-wettbewerbsbeschraenkungen.pdf?__blob=publicationFile&v=6

 

Der Referentenentwurf: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Wettbewerbspolitik/wettbewerbsdurchsetzungsgesetz-referentenentwurf-bmwk.pdf?__blob=publicationFile&v=1

 

CMA: Guidelines for market investigations: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/284390/cc3_revised.pdf

 

BKartA: Zwischenbericht zur Sektoruntersuchung zu Raffinierien und Kraftstoffgroßhandel: https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Pressemitteilungen/2022/28_11_2022_SU_Raffinerien.pdf?__blob=publicationFile&v=4

 

BMWK: Offizielle Pressemitteilung zum Regierungsentwurf: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/04/20230405-bundeskabinett-beschliesst-verschaerfung-des-gesetzes-gegen-wettbewerbsbeschraenkungen.html