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Die Evolutionen der digitalen Märkte im vergangenen Jahrzehnt sorgt regelmäßig für Debatten, wie mit modernen Plattformökosystemen und den dahinterstehenden mächtigen Internetunternehmen umzugehen ist. Da die digitalen Märkte oft durch Netzwerkeffekte, Größenvorteile, niedrige Grenzkosten gekennzeichnet sind, wird häufig die Frage aufgeworfen, ob die bestehenden rechtlichen Instrumente ausreichen, um den Wettbewerb im digitalen Bereich zu schützen. Insbesondere der „Winner takes it all“-Effekt soll verhindert werden. Erste Auswirkungen bekommt nun der Amazon Konzern zu spüren, dessen überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nun vom BGH bestätigt wurde.

1. Amazon erneut im Fokus der Kartellbehörden

Amazon, als einer der Giganten der globalen Wirtschaft, sticht nicht nur im E-Commerce-Markt hervor, sondern erstreckt sich auch auf verschiedene andere Sektoren wie den stationären Einzelhandel und cloudbasierte IT-Dienstleistungen. Mit einer Marktkapitalisierung von über 1,7 Billionen USD und einem globalen Umsatz von fast 470 Milliarden USD im Jahr 2021 ist Amazon zweifellos eines der wertvollsten Unternehmen der Welt. Deutschland stellt für Amazon einen der wichtigsten Absatzmärkte dar.

Um derartige Unternehmen besser regulieren zu können, novellierte der deutsche Gesetzgeber vor wenigen Jahren das Kartellrecht und führte dabei unter anderem den § 19a GWB ein. Danach kann das Bundeskartellamt (prüfen und) feststellen, dass einem Unternehmen überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt und dem Unternehmen sodann bestimmte Verhaltensweisen untersagen (so z. B. die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten für gewisse Zwecke). Bereits im Januar 2021 nahm das Bundeskartellamt eine derartige überragende marktübergreifende Bedeutung der Konzerne Alphabet (Google), Meta (Facebook) und Amazon an. Amazon legte hiergegen Beschwerde vor dem Bundesgerichtshof ein, über die nun entschieden wurde.

 

2. Überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb bestätigt

Die Beschwerde hatte letztlich aber keinen Erfolg. Aus Sicht des BGH hat das Bundeskartellamt zurecht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen??????? tätig ist. Dabei kam zum Tragen, dass Amazon weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Store) unterhält, worüber Amazon als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden anbietet. Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Darüber hinaus hat Amazon eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Über Amazon Advertising vermittelt der Konzern zudem zwischen Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen.

Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotential durch die Vorschrift adressiert wird. § 19a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.

Das Bundeskartellamt hat nach Ansicht des BGH zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potentiale verfügt. So heißt es in der Pressemittelung:

Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS.“

Als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen hat Amazon weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.

Interessant ist insoweit das, dass der Bundesgerichtshof ausdrücklich festgestellt hat, dass die Einstufung als Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung“ nicht im Konflikt mit der Einstufung Amazons als sog. „Gatekeeper“ des Digital Markets Act durch die Europäische Kommission steht

„Die nunmehrige Geltung der Regelungen des DMA und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.“

3. Fazit

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs stärkt ein weiteres Mal die Position des Bundeskartellamts als Hüterin des Wettbewerbs in Deutschland. Die Feststellung, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung hat, ist zwar nicht ganz überraschend, beruht im Grunde aber auf Basis des strategischen und wettbewerblichen Potenzials Amazons, erheblichen Einfluss auf verschiedene Märkte auszuüben und seine Marktmacht weiter auszubauen.

Insgesamt verdeutlicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Ernsthaftigkeit, mit der die Kartellwächter der Exekutiven und Judikativen zu befürchtenden Monopolen von Big-Tech-Unternehmen versuchen zu bekämpfen. Dies ist auch unerlässlich, um die vom Gesetzgeber geschaffenen Kontrollinstrumente zu erhalten und so die Wettbewerbsintegrität zu wahren und ein faires Umfeld für Unternehmen aller Größen zu gewährleisten.

Gestützt wird dies darüber hinaus durch die Einführung des Digital Markets Act, an den sich nun die europäischen Gatekeeper Amazon, Meta, Alphabet, Apple, ByteDance (TikTok), und Microsoft halten müssen.

Unabhängig davon, ob die Europäische Kommission noch weitere Gatekeeper benennt, kann jedenfalls mit Sicherheit erwartete werden, dass das Bundeskartellamt noch für das ein oder andere Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb bejahen und diese Unternehmen entsprechend den Schranken des § 19a Abs. 2 UWG unterwerfen wird.