Erfolgt die Verlinkung zur Archivseite einer verbotenen Vereinigung ohne sachliche Berichterstattung über das Gesamtgeschehen und die Standpunkte der Kritiker der Verbotsverfügung, kann die Verlinkung eine strafbare Verbreitung darstellen.
Mit Beschluss vom 12.6.2023 (OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.6.2023, Az.: 2 Ws 2/23) hat das OLG Stuttgart entschieden, dass der Link auf die als Archivseite abrufbare Internetseite einer verbotenen Vereinigung im Rahmen eines Berichts als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung und nicht nur als straflose (Sympathie-)Werbung anzusehen ist. Dies ergebe sich daraus, dass der Werbeeffekt für die Vereinigung und die Hinleitung auf deren Internetseite im Vordergrund des Artikels stehe, so dass der Artikel geradezu als „Verlängerung“ der Internetseite erscheine (Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 13.6.2023: https://oberlandesgericht-stuttgart.justiz-bw.de/pb/,Lde/15093111/?LISTPAGE=8975136).
I. Hintergrund
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe erhob am 20.4.2023 Anklage wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB gegen einen Redakteur des Freiburger Radios „Dreyeckland“. Dem Angeklagten wurde dabei zur Last gelegt, er habe die weitere Betätigung der unanfechtbar verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“ unterstützt, indem er seinen auf der Website des Radiosenders veröffentlichten Bericht mit der als Archivseite abrufbaren Internetseite der verbotenen Vereinigung verlinkt habe, auf der auch um Spenden für die Finanzierung des Internetportals gebeten werde. Die zuständige Kammer des Landgerichts Karlsruhe hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluss vom 16.05.2023 (LG Karlsruhe, Beschluss vom 16.5.2023, Az.: 5 KLs 540 Js 44796/22) zunächst abgelehnt. Zur Begründung führte das Gericht auf, das für eine Strafbarkeit nötige Fortbestehen der verbotenen Vereinigung „linksunten.indymedia“ könne nicht festgestellt werden. Darüber hinaus sei die Tat nicht von einer für ein Unterstützen des organisatorischen Zusammenhalts oder der weiteren Betätigung der Vereinigung strafrechtlichen Relevanz. Hiergegen erhob die Staatsanwaltschaft Karlsruhe sofortige Beschwerde.
II. Die Entscheidung des OLG Stuttgart
Das OLG Stuttgart hat mit Beschluss vom 12.6.2023 die Nichteröffnungsentscheidung aufgehoben, das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zur Hauptverhandlung zugelassen. Es bestehe, dem OLG Stuttgart zufolge, der hinreichende Tatverdacht, dass der Angeklagte mit dem, in seinem Artikel bei verständiger Würdigung zu sehenden, Werbeappell für die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung die weitere Betätigung der Vereinigung willentlich unterstützt habe. Das Handeln des Angeklagten sei geeignet, der Vereinigung die angestrebte Wirkung ihrer Internetpräsenz zu ermöglichen. Dahingehende Zweifel, dass der Angeklagte diesen offensichtlichen Umstand nicht erkannt habe, lägen nach Auffassung des Gerichtes fern.
Nach Auffassung des OLG Stuttgart sei der Bericht des Angeklagten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht von der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gedeckt. Zwar sei der Schutzbereich der Pressefreiheit grundsätzlich eröffnet, allerdings greife die Schranke der allgemeinen Gesetze. Infolgedessen unterliege die Berichterstattung des Angeklagten dem Geltungsbereich des § 85 StGB, der den demokratischen Rechtsstaat vor Angriffen gegen die verfassungsmäßige Ordnung schütze. So kommt das OLG Stuttgart zum Schluss, dass es vorliegend überwiegend wahrscheinlich sei, dass der Artikel des Angeklagten als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung anzusehen sei und nicht nur als straflose (Sympathie-)Werbung. Dies ergebe sich daraus, dass der Werbeeffekt für die Vereinigung und die Hinleitung auf deren Internetseite im Vordergrund des Artikels stehe, so dass der Artikel geradezu als „Verlängerung“ der Internetseite erscheine. Aufgrund ebendieses Appellcharakters unterscheide sich der Artikel des Angeklagten grundlegend von anderen Berichten, die ebenfalls einen Link auf das Archiv enthielten, dazu aber sachlich über das Gesamtgeschehen und die Standpunkte der Kritiker der Verbotsverfügung informierten.