Zur Beseitigung urheberrechtsverletzender Inhalte bietet YouTube Rechteinhabern die Möglichkeit eines plattforminternen Reportsystems, durch welches das sog. „Strike-Verfahren“ eingeleitet wird. Nun entschied das OLG Köln, dass die Einleitung des (berechtigten) Strike-Verfahrens allein noch nicht genügt, um alle Vorrausetzungen für ein volles Obsiegen in einem späteren Prozess zu sichern.
I. Sachverhalt und das YouTube Strike-Verfahren
Das YouTube-Strike-Verfahren ist ein Mechanismus, den YouTube entwickelt hat, um Urheberrechtsverletzungen auf seiner Plattform zu verwalten und durchzusetzen. Es ist Teil des Content-ID-Systems und dient dazu, Rechteinhaber dabei zu unterstützen, ihre urheberrechtlich geschützten Inhalte auf YouTube zu schützen. Wenn ein Rechteinhaber feststellt, dass ein Video auf YouTube urheberrechtlich geschütztes Material ohne Erlaubnis verwendet, kann er dies über YouTube melden. Diese Meldung wird anschließend von YouTube geprüft und entweder entfernt oder die Reichweite vorläufig eingeschränkt. Die Content-Creator, die einen Strike erhalten, haben die Möglichkeit, eine „Counter Notification“ (Gegendarstellung) einzureichen, wenn sie der Meinung sind, dass der Strike ungerechtfertigt ist. In dieser Gegendarstellung muss dargelegt werden, warum die Inhalte des maßgeblichen Videos nicht gegen das Urheberrecht verstoßen.
Nachdem eine Gegendarstellung eingereicht wurde, informiert YouTube den Rechteinhaber darüber. Wenn dieser innerhalb von 10 bis 14 Tagen keine gerichtlichen Schritte einleitet, wird das Video in der Regel wieder freigeschaltet, und der Strike kann entfernt werden.
So verhielt es sich auch im Fall über den nun das OLG Köln entschied. Die Rechteinhaberin eines Video-Ausschnitts, der vor 16 Jahren erstmalig in einer Nachrichtensendung ausgestrahlt wurde, wandte sich im Wege des Strike-Verfahrens an YouTube, als sie den Video-Ausschnitt auf den YouTube-Kanal des Verfügungsbeklagten entdeckte. YouTube nahm umgehend die Sperrung vor. Dagegen wandte sich der Verfügungsbeklagte mit einer Gegendarstellung.
Nachdem Google die Rechteinhaberin darauf hinwies, dass das Video wieder freigeschaltet wird, wenn nicht gerichtlich gegen die Rechtsverletzung vorgegangen wird, nahm die Rechteinhaber den Verfügungsbeklagten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens auf Unterlassung in Anspruch. Eine vorherige außergerichtliche Abmahnung (und Aufforderung zur Unterlassung) des Verfügungsbeklagten durch die Rechteinhaberin erfolgte nicht.
Der Verfügungsbeklagte erkannte den Unterlassungsanspruch gegenüber dem Gericht umgehend an, wies jedoch jede Pflicht von sich, die Kosten des Prozesses tragen zu müssen.
II. Kostentragungspflicht beim Anerkenntnis und Entscheidung des Gerichts
Grundsätzlich trägt die in einem Prozess unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits, so auch im Falle eines Anerkenntnisses der geltend gemachten Ansprüche. Da der Gesetzgeber zur Entlastung der Gerichte jedoch die Parteien eines Verfahrens dazu anhalten möchte zunächst eine außergerichtliche Beilegung des Streits zu erzielen, sieht § 93 ZPO als Sonderfall eine Abweichung von der allgemeinen Kostentragungspflicht vor. Danach hat der Kläger die Kosten eines von ihm eingeleiteten Verfahrens dann zu tragen, wenn die Beklagenpartei den Anmspruch sofort anerkennt und keine „Veranlassung“ zur Erhebung der Klage gegeben hat.
Da im vorliegenden Fall, über den das LG Köln zu entscheiden hatte, die Verfügungsbeklagte unverzüglich (also „sofort“) ihr Anerkenntnis erklärt hatte, stellte sich die Frage, ob sie auch den Antrag der Rechteinhaberin auf Erlass der einstweiligen Verfügung „veranlasst“ hat oder ob der Kläger die Verfahrenskosten zu tragen hat..
Der Verfügungsbeklagte war der Ansicht, dass er keinen Anlass für das einstweilige Verfügungsverfahren gegeben hat. Die Rechteinhaber war nach Ansicht des Verfügungsbeklagten grundsätzlich dazu gehalten gemäß § 97a Abs. 1 UrhG zunächst außergerichtlich eine Abmahnung auszusprechen und den Verfügungsbeklagten zur Unterlassung aufzufordern.
Die Rechteinhaberin wiederum war der Meinung, dass sie auf Grund des Strike-Verfahrens von YouTube nicht noch einmal hätte abmahnen müssen. Der Verfügungsbeklagten sei durch das Strike-Verfahren über die Rechtsverletzung informiert und ihm sei bewusst, welcher Vorwurf ihm konkret gemacht wird und welches Verhalten er konkret zu unterlassen habe. Der Verfügungsbeklagte habe nach Ansicht der Rechteinhaberin durch seine Gegendarstellung gegenüber YouTube deutlich gemacht, dass er die Nutzung der rechtsverletzenden Inhalte nicht unterlassen wolle. Einer außergerichtlichen Abmahnung habe es nach Meinung der Rechteinhaberin nicht mehr bedurft, da es sich dabei nur noch um eine „Förmelei“ handle.
Dies sah das LG Köln anders und stellte die Kostentragungspflicht des Rechteinhabers fest. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass nur eine außergerichtliche Abmahnung die Kostenfolge des § 93 ZPO abwenden kann. Zwar handelt es sich bei dem Abmahnungserfordernis nach § 97c UrhG um eine „Soll-Vorschrift“ “ und keine gesetzliche Pflicht. Eine Abmahnung dient jedoch dazu, dem vermeintlichen Verletzers die Möglichkeit zu geben, den Verstoß zu prüfen und gegebenenfalls zu beheben, ohne dass ein gerichtliches Verfahren notwendig wird. Da Kern der Norm im Prozessvermeidungsgedankten liegt, könne nur in Ausnahmefällen von der Erforderlichkeit der Abmahnung abgewichen werden. Ein solcher Ausnahmefall lag aber nicht vor.
Daran ändert auch nicht die Gegendarstellung des Verfügungsbeklagten gegenüber YouTube. Das Gericht betonte, dass das System der „Counter Notifications“ bei YouTube einen gänzlich anderen Sinn und Zweck als das grundsätzliche Abmahnerfordernis hat; es diene zwar sicherlich auch der Unterbindung von Rechtsverletzungen im Interesse der Rechtsinhaber, vorwiegend dient es jedoch dazu, dass YouTube eine urheberrechtliche Haftung als Plattformbetreiber für rechtsverletzende Inhalte abwenden kann. YouTube (und andere Plattformbetreiber) sollen durch das Beschwerdeverfahren auch kein „Ersatz- oder Spezialgericht für Rechtsverletzungen“ im Internet werden. Eine Abmahnung, insbesondere durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, stelle nach der Auffassung des Gerichts eine weitere Eskalationsstufe dar, auf die der Abgemahnte möglicherweise anders reagiert als auf die bloße Beschwerde über eine Plattform.
Das Gericht machte deutlich, dass die Einleitung eines Verfahrens ohne vorherige Abmahnung nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt ist. In diesem Fall sah das Gericht keinen solchen Ausnahmefall gegeben. Auch die Tatsache, dass der Verfügungsbeklagte auf die Meldung der Urheberrechtsverletzung durch eine sogenannte „Counter Notification“ reagiert hatte, änderte nichts an der Abmahnungspflicht. Das Gericht betonte, dass die Meldung einer Urheberrechtsverletzung bei einer Online-Plattform nicht den gleichen Zweck erfüllt wie eine formelle Abmahnung nach deutschem Recht.
III. Fazit und Praxishinweis
Das YouTube-Strike-Verfahren ist ein wichtiger Bestandteil der Bemühungen von YouTube, die Einhaltung von Urheberrechten auf der Plattform zu gewährleisten. Es bietet aber nicht den umfassenden Schutz, der mit einer gerichtlichen Klärung oder einer formellen Abmahnung einhergeht.
Die Entscheidung des LG Köln unterstreicht die Bedeutung der Abmahnung als notwendige Voraussetzung für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens bei Urheberrechtsverletzungen. Rechteinhaber sollten stets sorgfältig prüfen, ob eine Abmahnung entbehrlich ist oder nicht, bevor sie gerichtliche Schritte einleiten, denn ein gerichtliches Verfahren ohne vorherige Abmahnung kann zu erheblichen Kostenrisiken führen. Dabei ist zudem darauf zu achten, dass die Abmahnung auch den vom Gesetz an sie gesetzten inhaltlichen Voraussetzungen erfüllt; denn nur eine inhaltlich korrekte Abmahnung entfaltet die vom Gesetzgeber gewollte Wirkung, dem vermeintlichen Verletzter die Prüfung zu ermöglichen, was ihm genau vorgeworfen wird und inwieweit er tatsächlich eine Verletzung begangen hat.
Mit Blick auf die kurze Frist von 10 bis 14 Tage zur Einleitung von gerichtlichen Schritten, die YouTube (und andere Plattformen) den Rechteinhabern einräumen, bevor die Inhalte wieder freigeschaltet werden, sollten sich Rechteinhaber daher der Dringlichkeit von Schritten auch außerhalb des Strike-Verfahrens bewusst sein und sich nicht allein auf dieses verlassen.
Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie als Betroffener des Strike-Verfahrens ihre Rechte bestmöglich waren wollen.