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Reicht eine „spezielle Rechtsverordnung“ um regelmäßige Kontrollen in Betriebsräumen durchzuführen? Die neue Arbeitsschutzverordnung vom Januar 2021 und Maßnahmen des Berliner Senats.

Die Berliner Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (“DIE LINKE“) ließ in einer Pressemitteilung vom 27.01.2021 verlautbaren, das Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) würde in der kommenden Zeit 80 Berliner Betriebe pro Woche kontrollieren[1]. Dies wurde in der Sitzung des Berliner Senats am 26.01.2021 beschlossen.

Der Beschluss des Senats fußt demnach auf der einen Tag später in Kraft getretenen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (ArbSchVO) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 21.01.2021[2].

Diese vom Senat beschlossenen „verstärkten Betriebskontrollen“ in einer derart festgelegten Regelmäßigkeit sind so jedoch weder vom Arbeitsschutzgesetz noch von der neuen ArbSchVO vorgesehen.

Zum Rechtlichen

Die neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 21. Januar basiert auf § 18 Abs. 3 des Arbeitsschutzgesetzes. Das zweifelsohne berechtigte Ziel ist, das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus bei der Arbeit zu minimieren und die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen (§ 1 ArbSchVO). Ebenfalls ihre Berechtigung haben die in der Verordnung festgelegten Maßnahmen zur Kontaktreduktion im Betrieb (§2ArbSchVO), sowie die Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz (§ 3 ArbSchVO). Auf diese drei Paragrafen folgt nicht vielmehr als die in Rechtsverordnungen übliche Darlegung des In- und Außerkrafttretens in § 4 ArbSchVO.

Nicht berechtigt erscheinen in diesem Kontext jedoch die von der Berliner Senatorin angekündigten Betriebskontrollen. Liest man die gut Ein-seitige ArbSchVO finden sich derart Maßnahmen nicht wieder. Unter Rückgriff auf das ermächtigende Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)[3] ist man jedoch in der Lage in dessen Schlussvorschriften im § 22 Befugnisse der zuständigen Behörden zu finden. Gemäß § 22 Abs. 2 ArbSchG sind die mit der Überwachung beauftragten Personen dazu befugt, Betriebs- und Geschäftsräume zu betreten, zu besichtigen und einige weitere betriebsrelevante Dinge zu überprüfen und zu untersuchen.

Man könnte nun meinen, die angekündigten Betriebskontrollen unterlägen einer gesetzlichen Rückendeckung. Ganz so einfach ist das aber mit unseren Grundrechten dann doch nicht.

Wirkung der Grundrechte

Gemäß Art. 13 Abs. 1 GG ist die Wohnung unverletzlich. Art. 13 GG ist ein Abwehrrecht gegen den Staat[4] wie es idealtypischer kaum sein kann. Die Verbindung zur in Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten Garantie der Menschenwürde ist unverkennbar. Eine ebenso starke und feierliche Formulierung („unverletzlich“) findet sich etwa in der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Art. 4 Abs. 1 GG oder in Form der weithin bekannten Terminologie der „Unantastbarkeit“ der Menschenwürde.

Geschützt ist darüber hinaus nicht nur die „Wohnung“ des Einzelnen, sondern unumstritten sind es auch Betriebs- und Geschäftsräume. Das Bundesverfassungsgericht ging 1971 sogar so weit klarzustellen, dass, den Fall gesetzt, diese wären nicht von Art. 13 Abs. 1 GG umfasst, so würde dies „der grundsätzlichen Einstellung des Verfassunggebers [sic!] von 1949 zuwiderlaufen“[5].

Nun dient das Arbeitsschutzgesetz mithin jedoch auch der Erfüllung der grundgesetzlich garantierten Würde des Menschen[6]. Dies ist etwa im § 2 ArbSchG erkennbar, in dessen Absatz 1 Maßnahmen zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit enthalten sind. Ebenfalls im Arbeitsschutzgesetz findet sich die Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlass von Rechtsverordnungen. Gemäß § 18 Abs. 1 ArbSchG darf die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates vorschreiben, welche Maßnahmen ein Arbeitgeber zu treffen hat und wie sich Beschäftigte zu verhalten haben. All dies folgt aus dem ausdrücklich in § 1 Abs. 1 ArbSchG postulierten Sinn und Zweck des Arbeitsschutzgesetzes. Demgemäß dient das Gesetz der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes.

Solcherlei ausdrückliche Sinn-, Ziel-, und Zweckbestimmungen trifft der Gesetzgeber jedoch nicht aus Gutdünken. Er ist verfassungsrechtlich dazu verpflichtet. Aus Art. 20 Abs. 3 GG speisen sich zwei fundamentale Prinzipien, an welche der Staat gebunden ist. Der sogenannte Vorbehalt des Gesetzes ist traditioneller Grundsatz nicht nur des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG, sondern auch aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, 2 GG). Demnach darf der Staat nicht ohne Gesetz handeln. Wesentliche Eingriffe in die Grundrechte der Bürger durch den Staat sind nur zulässig, wenn sie auf einer hinreichend bestimmten Entscheidung des Gesetzgebers beruhen[7]. Ebenso aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt das Prinzip des Vorrangs des Gesetzes. Demnach darf der Staat nicht gegen das (Grund-)Gesetz handeln. Der Verstoß eines Gesetzes gegen die Verfassung resultiert in dessen Nichtigkeit[8].

In Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 GG ist ein allgemeines Bestimmtheitsgebot statuiert. Nun ist dem Gesetzgeber trotzdem die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe oder Generalklauseln nicht pauschal verboten[9]. Andererseits wäre dieser weitgehend handlungs- und entscheidungsunfähig. Garantiert sein muss bei solchem Vorgehen jedoch, dass das staatliche Handeln messbar und das Ausmaß des Handelns für den Bürger voraussehbar und berechenbar ist[10]. Das Bundesverfassungsgericht befand 2004 zudem, dass die Anforderungen an Bestimmt- und Klarheit einer Norm umso höher sind, je stärker die Unsicherheit bei der Beurteilung der Rechtslage durch den Bürger dessen Grundrechtsbetätigung erschwert[11].

(Un-)Bestimmtheit des § 18 Abs. 3 ArbSchG

Im vorliegenden Falle wurde der § 18 Abs. 3 ArbSchG durch Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3334) eingefügt. Dieser verweist auf die Norm des § 5 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Ihr zufolge stellt der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Eine Rechtsverordnung zu Zwecken des Arbeitsschutzes darf die Bundesregierung nach § 18 Abs. 1 ArbSchG erlassen.
Solche Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen unterliegen jedoch einem noch konkreteren Bestimmtheitsgebot. Nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im ermächtigenden Gesetz bestimmt werden. Diesen Vorgaben wurde der Bundesgesetzgeber in § 18 Abs. 1 und 2 ArbSchG mithin gerecht.
Es drängt sich demnach die Frage auf, wieso der neue § 18 Abs. 3 ArbSchG überhaupt geschaffen werden musste, wenn doch in den ersten beiden Absätzen ausführlich – und dadurch verfassungskonform – Inhalt, Zweck und insbesondere Ausmaß einer möglichen auf ihnen beruhenden Verordnung dargelegt sind. Liest man § 1 Abs. 1 der neuen ArbSchVO, scheint es jedoch fast so als hätte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erkannt, dass eine solche seuchenspezifische Regelung nicht von der Ermächtigung zum Verordnungserlass in § 18 Abs. 1 oder 2 ArbSchG gedeckt ist. Demnach scheint man im Ministerium gedacht zu haben, man könne schnell eine Ermächtigungsgrundlage im ArbSchG entwerfen, obwohl solche infektionsschutzspezifischen Regelungen höchstens mittelbar mit Arbeitsschutz zu tun haben.

§ 18 Abs. 3 ArbSchG ist jedoch derart ungenau und unbestimmt, dass ihm der Verstoß gegen alle zuvor dargelegten Prinzipien auf die Stirn geschrieben steht. Die Formulierung „spezielle Rechtsverordnung nach Absatz 1“ ist so unkonkret wie widersinnig. Wenn die Bundesregierung eine Rechtsverordnung zum Arbeitsschutz erlassen wollte, so könnte sie dies einfach nach § 18 Abs. 1 ArbSchG tun. Nun ist die Besonderheit des dritten Absatzes der Ausschluss der sonst von Verfassungswegen erforderlichen Zustimmung des Bundesrats (vgl. Art. 80 Abs. 2 GG). Die Begründung dafür findet sich im selben Satz wieder: eine durch den Bundestags nach § 5 Abs. 1 IfSG festgestellte Epidemie von nationaler Tragweite.
Kritisch zu betrachten ist somit der übrige Passus „spezielle Rechtsverordnungen“. Der Bürger kann sein Verhalten hier weder – wie verfassungsrechtlich geboten – auf etwaige Ergebnisse der Anwendung dieser Norm ausrichten, noch ist das Handeln des Staates hierbei berechenbar.

Wenn nun der Berliner Senat diese neue – auf ebendiesem § 18 Abs. 3 ArbSchG basierende – Arbeitsschutzverordnung zum Anlass nimmt, regelmäßige und der Zahl nach festgelegte Betriebskontrollen durchzuführen, so gleicht dies dem Ausdruck eines Generalverdachts gegenüber allen Berliner Betrieben. Außerdem ist dies durch den nicht ansatzweise hinreichend bestimmten Passus „speziell“ weder erkennbar noch vorhersehbar. Einen intensiveren Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG als das physische Eindringen gibt es de facto nicht. Wenn dieser intensive Eingriff in Berlin nun sogar auf Verordnungsbasis durchgeführt wird, ist die Verfassungsmäßigkeit des Handelns der Berliner Exekutive mehr als fraglich.

Sofern aus solchen anlasslosen Betriebskontrollen auf Basis einer rechtlich fragwürdigen Ermächtigungsgrundlage nun Bußgelder gemäß § 25 ArbSchG – gegen die Nichtbeachtung einer in der ArbSchVO vorgeschriebenen Maßnahme – verhängt würden, so kann sich die Berliner Verwaltung darauf gefasst machen, dass diese gerichtlich überprüft und im Zweifel zurückgezahlt werden müssen. Von daher wäre sie auch in dieser Hinsicht gut damit beraten, die Drohkulisse abzubauen und sich der im Grundgesetz wie in der Berliner Landesverfassung verbürgten Grundrechte aller Berliner – auch der Unternehmer – zu erinnern.

Fazit

In aktuellen Zeiten Unternehmern jeder Couleur, die bereits seit fast einem Jahr unter schwerwiegendsten Grundrechtseingriffen leiden, in dieser Manier zu drohen, ist höchst fragwürdig. Mit dem Inaussichtstellen von unvorhergesehenen, unberechenbaren Kontrollen zufällig ausgewählter Betriebe unter Rückgriff auf eine willkürlich festgelegte Zahl, schafft der Berliner Senat jedoch darüber hinaus nichts als eine zusätzlich belastende Drohkulisse. Ob die Bundesregierung so etwas mit dem Passus „speziell“ intendierte, ist schwer zu klären. „Speziell“ ist so ein Vorgehen im Lichte des in Deutschland sonst üblichen Verfassungslebens jedoch mit Sicherheit.

[1] Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 27.01.2021: Hotline, Taskforce und mehr Kontrollen: Berliner Behörde kontrolliert Einhaltung der Arbeitsschutzverordnung und Home-Office-Pflicht – Berlin.de
[2] SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 21.01.2021: BAnz AT 22.01.2021 V1.pdf (bundesanzeiger.de)
[3] Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (ArbSchG): ArbSchG – nichtamtliches Inhaltsverzeichnis (gesetze-im-internet.de)
[4] Maunz/Dürig/Papier, 92. EL August 2020, GG Art. 13 Rn. 6
[5] BVerfG, Beschluss vom 13.10.1971 – 1 BvR 280/66 = NJW 1971, 2299
[6] Kollmer/Klindt/Schucht, Arbeitsschutzgesetz, Einleitung A. Verfassungsrechtliche Grundlagen Rn. 32 f.
[7] BeckOK GG/Huster/Rux, 45. Ed. 15.11.2020, GG Art. 20 Rn. 105
[8] Vgl. BeckOK GG/Huster/Rux, 45. Ed. 15.11.2020, GG Art. 20 Rn. 165
[9] BeckOK GG/Huster/Rux, 45. Ed. 15.11.2020, GG Art. 20 Rn. 182
[10] Ebenda, Rn. 182
[11] BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 – 1 BvF 3/92 = NJW 2004, 2213 (2215 a.E.)