Das OVG Berlin-Brandenburg hat in einem von HÄRTING Rechtsanwälten bereits am 14.7.2023 erstrittenen Beschluss (Az.: OVG 11 S 24/23) einen Anspruch der Veranstalterin eines Open-Air Festivals auf 50 Stunden durchgängiges Musikspielen bei seltenen Ereignissen nach der Ziffer 7.2 der TA-Lärm i. V. m. Ziffer 2 der Freizeitlärm-Richtlinie Brandenburg zugestanden. Die Interessen der Nachbarn hatten in diesem Fall zurückzustehen.
I. Hintergrund
Die Veranstalterin wollte ein Open-Air-Festival mit elektronischer Musik in einem bereits immissionsbelasteten Gebiet durchführen. Hierzu kommunizierte sie bereits frühzeitig mit der zuständigen Gemeinde und stellte einen Antrag auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Diese wurde ihr wenige Tage vor dem geplanten Festival verwehrt. Daraufhin stellte sie zunächst erfolglos einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem VG Cottbus (Az.: VG 5 L 206/23), obsiegte dann aber im Wege der sofortigen Beschwerde vor dem OVG Berlin Brandenburg. Die Veranstalterin forderte in dem Verfahren bestimmte Pegel an den maßgeblichen Immissionsorten, entsprechend ihrer Immissionsprognose, unter Nebenbestimmungen, die die Einhaltung sicherstellen sollten.
Das VG Cottbus lehnte den Antrag der Veranstalterin ab. Es stellte im Rahmen der Interessenabwägung noch darauf ab, dass die nachbarlichen Interessen an einer ungestörten Nachtruhe und Rückzugsmöglichkeiten vor den Immissionen des Festivals überwiegen würden. Ein „Durchatmen“ sei für die Anwohnenden nicht möglich. Darüber hinaus sprach das VG Cottbus einer durchgängigen Musikveranstaltung über drei Tage die Charakterisierung als seltenes Ereignis i. S. d. Ziffer 7.2 der TA-Lärm ab.
Zu Unrecht, entschied das OVG Berlin-Brandenburg in korrekter Anwendung der Freizeitlärm-Richtlinie Brandenburg. Das OVG erkannte das Festival ohne weitere Erläuterungen als seltenes Ereignis ohne große Ausschweifungen an. Die Entscheidung stimmt damit mit der Freizeitlärm-Richtlinie Brandenburg und der TA Lärm überein – die keine Definition des seltenen Ereignisses enthalten und nur an die Anzahl der Ereignisse anknüpfen. Darüber hinaus können den Anwohnenden die zu erwartenden Immissionen zugemutet werden.
Aus der Entscheidung des OVG gehen zweierlei Grundsätze hervor. Zum einen ist die Einordnung als seltenes Ereignis auch bei einer dreitätigen, ununterbrochenen Veranstaltung möglich. Zum anderen kann 50 Stunden durchgängige Musik Anwohnenden im Einzelfall zugemutet werden.
II. Seltene Ereignisse können auch drei Tage am Stück sein
Das VG Cottbus führte aus, dass das Festival nicht als seltenes Ereignis nach Ziffer 7.2 der TA-Lärm i. V. m. Ziffer 2 der Freizeitlärm-Richtlinie Brandenburg eingeordnet werden könne. Es sprenge den Rahmen des Anwendungsbereichs durch sein Störungspotential. Das VG war der Ansicht, dass ein Ereignis – dem Wortlaut nach – nicht über 50 Stunden anhalten könne. Außerdem müsse die Einordnung als seltenes Ereignis im Sinne des Nachbarschutzes restriktiv behandelt werden.
Das OVG stellte fest, dass das pausenlose Festival durchaus als seltenes Ereignis eingeordnet wird. Damit trägt es dem Sinn und Zweck der Freizeitlärm-Richtlinie Brandenburg Rechnung, die nach ihrer Erläuterung explizit dazu konzipiert wurde, den kulturellen Bedürfnissen, insbesondere an einer lebendigen Festivalkultur, gerecht zu werden und Musikveranstaltungen zu ermöglichen. Dabei kann es keinen Unterschied machen, dass ein Festival ohne Unterbrechung durchgeführt wird. Hiernach unterscheidet auch die Freizeitlärm-Richtlinie Brandenburg nicht. Ansonsten würde sie ihren Zweck verfehlen, Veranstaltungen wie Festivals aber auch Schützenfeste, Dorffeste, Rummel oder ähnliche, üblicherweise mehrtägige Veranstaltungen, zu ermöglichen.
III. „Dauerbeschallung“ ist im Immissionsschutzrecht möglich
In Bezug auf die Immissionen gegenüber den Anwohnenden, wertete das OVG die Interessen an der Durchführung der Veranstaltung höher, als die der Anwohnenden an durchgängiger Ruhe. Im vorliegenden Einzelfall konnte den Anwohnenden, unter Berücksichtigung der in Ziffer 7.2. Abs. 2 Satz 1 TA Lärm genannten Kriterien, die durchgängige Musik zugemutet werden. Namentlich sind diese Kriterien Dauer und Zeiten der Überschreitungen der Immissionsrichtwerte, Häufigkeit der Überschreitungen durch verschiedene Betreiber insgesamt sowie Minderungsmöglichkeiten durch organisatorische und betriebliche Maßnahmen. Insbesondere weil die Veranstalterin durch fortschrittliche Beschallungstechnik in der Lage war, verhältnismäßig geringe Beurteilungspegel an den maßgeblichen Immissionsorten einzuhalten, fiel die Interessenabwägung zugunsten der Durchführung der Veranstaltung aus.
Aus dem Beschluss des OVG kann demnach gefolgert werden, dass ein durchgängiges Musikspielen über drei Tage – unter Berücksichtigung der Minderungsmaßnahmen – noch nicht dazu führt, dass keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 10 Abs. 3 LImSchG Bbg zu erteilen wäre. Im Gegenteil kann im Einzelfall sogar ein Anspruch auf diese Genehmigung bestehen, wenn die zu erwartenden Immissionen nur geringfügig störend sind.
IV. Fazit
Das OVG Berlin-Brandenburg hat sich in seinem Beschluss für Kunst und Kultur stark gemacht. Es hat abermals bestätigt, dass ein Anspruch auf eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung bei durchgängiger Musik unter bestimmten Voraussetzungen bestehen kann. Auch stellte das OVG noch einmal klar, dass die Einordnung einer Veranstaltung als seltenes Ereignis i. S. d. Ziffer 7.2 der TA-Lärm nicht unter dem Deckmantel von Nachbarschutzinteressen pauschal aberkannt werden darf. Damit wird dem Sinn und Zweck der Freizeitlärm-Richtlinie Brandenburg, Kunst und Kultur zu ermöglichen, Rechnung getragen.