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Gastronomen, Clubbetreiber, Kultureinrichtungen und Einzelhändler stellen uns immer wieder die Frage, ob sie trotz der Schließung ihrer Betriebe Miete zahlen müssen. Wir empfehlen dringend, Mietzahlungen für den April nur unter Vorbehalt zu leisten.

Eingangs eine Klarstellung: Nachfolgend geht es um Betriebe, die nach den Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen der Bundesländer zur Schließung verpflichtet sind. Anders ist die Rechtslage bei Unternehmen, die zwar weiterarbeiten dürfen, deren Umsätze jedoch aufgrund der Corona-Maßnahmen einbrechen (z.B. Hotels). Für diese Betriebe gelten andere Regeln.

Gaststätten sowie zahlreiche Einzelhändler und Kultureinrichtungen dürfen aufgrund landesrechtlicher Anordnungen ihre Türen seit ca. zwei Wochen nicht mehr öffnen. Wie lange diese Maßnahmen andauern werden, ist nicht absehbar. Fakt ist jedenfalls, dass die Mietverträge weiterlaufen, ohne dass die Räume derzeit genutzt werden dürfen.

Frage 1: Ist das ein Mietmangel?

Das lässt sich derzeit nicht sicher sagen. Es spricht jedoch einiges für einen Mietmangel.

Mietmängel berechtigen den Mieter zur Mietminderung (§ 536 BGB). Ein Mietmangel kann sich anerkanntermaßen auch daraus ergeben, dass die vertragsgemäße Nutzung der Räume aufgrund von öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht möglich ist.

Werden Räume beispielsweise ausdrücklich „zum Betrieb einer Gaststätte“ vermietet, kann eine fehlende gesetzliche oder behördliche Erlaubnis einer solchen Nutzung ein Mietmangel sein, der zur Mietminderung berechtigt. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) allerdings nur, wenn die Nutzungsbeschränkung eine bauliche und keine betriebliche Ursache hat:

„Außer reinen Beschaffenheitsfehlern der Mietsache können unter anderem auch behördliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen ihre Tauglichkeit zu dem vertragsgemäßen Gebrauch in einer Weise aufheben oder mindern, dass sie einen Mangel im Sinne von § 536 BGB begründen… Letztere stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings nur dann einen Mangel dar, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache haben… Außerdem muss der Mieter durch die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen und Gebrauchshindernisse in seinem vertragsgemäßen Gebrauch auch tatsächlich eingeschränkt werden…“
(BGH vom 20.11.2013, Az. XII ZR 77/12, Rn. 20)

Frage 2: Haben die Nutzungsverbote bauliche oder betriebliche Ursachen?

Ob die derzeitigen Nutzungsverbote eine bauliche oder eine betriebliche Ursache haben, ist schwer zu entscheiden. Schnelle Antworten verbieten sich. Diese Frage wird in den kommenden Jahren mit Sicherheit die Gerichte befassen.

Frage 3: Gibt es Präzedenzfälle?

Da es in den letzten 75 Jahren keine Fälle gab, die mit den derzeitigen Corona-Maßnahmen vergleichbar sind, gibt es in der mietrechtlichen Rechtsprechung keine Fälle, die mit der jetzigen Situation vergleichbar sind. Nicht ganz unähnlich sind allerdings die Fälle, in denen Gewerberäume, die aufgrund von gesetzlichen Zweckentfremdungsverboten nur zu Wohnzwecken genutzt werden durften. Diese Fälle wurden durchweg zugunsten der Mieter entschieden:

„Die Schaffung der Voraussetzungen für die behördliche Erlaubnis des dem Mieter geschuldeten vertragsgemäßen Gebrauchs obliegt grundsätzlich dem Vermieter. Notfalls muss er deshalb die dafür von der Behörde vorgeschriebenen, baulichen Veränderungen durchführen. Außerdem muss er sich selbst um die nötigen Genehmigungen bemühen.“
(Kammergericht vom 1.4.2004, Az. 8 U 219/03, Rn. 25)

Frage 4: Warum empfehlen wir dringend, Mietzahlungen unter Vorbehalt zu stellen?

Die Zweckentfremdungsfälle sind den Corona-Fällen nicht unähnlich, aber natürlich nicht gleich. Daher erlauben sie keine sichere Prognose, wie die Gerichte über Minderungsrechte der Mieter in Corona-Fällen entscheiden werden. Allerdings lässt sich mit Sicherheit sagen, dass ein Minderungsrecht sehr ernsthaft in Betracht kommt. Wer daher als Gastronom, Einzelhändler oder anderer Gewerbetreibender die nächste Monatsmiete überweist, sollte die Zahlung unter Vorbehalt leisten. Ansonsten droht später Streit, ob das Minderungsrecht durch die vorbehaltlose Zahlung entfallen ist (vgl. etwa BGH vom 4.9.2018, Az. VIII ZR 100/18, Rn. 16 ff.).

Frage 5: Gibt es neben dem Minderungsrecht noch weitere Gründe, die gegen eine Pflicht zur Mietzahlung sprechen?

Ja, es ist gut denkbar, dass die Gerichte die mietrechtlichen Corona-Fälle gar nicht an § 536 BGB (Mietmangel) messen werden, sondern entweder eine vorübergehende Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder eine (gleichfalls vorübergehende) Störung der Geschäftsgrundlage prüfen und bejahen werden.

Schlechte Nachricht für Vermieter, beides kommt ernsthaft in Betracht:

Schließlich gehen der Umwelt entspringende, die Tauglichkeit des Mietobjekts „beeinträchtigende Störungen dann zu Lasten des Vermieters, wenn diese Störungen unvorhersehbar waren und die Nutzbarkeit des Mietobjekts allgemein mindern oder vereiteln. ‚Allgemein‘ heißt in diesem Zusammenhang, dass jeder aus der Sicht des Vermieters in Betracht kommende potentielle Mieter Opfer der der Umwelt entspringenden Störung geworden wäre. Der Kreis der potentiellen Mieter ist hierbei anhand der Eigenschaften des Mietobjektes, der Preisvorstellungen des Vermieters sowie anhand sonstiger Faktoren zu bestimmen, die im Moment des Vertragsschlusses nur bestimmte Nutzungsmodalitäten als sinnvoll erscheinen lassen. Werden alle diese Nutzungsmodalitäten gestört und ist diese Störung darüber hinaus im Sinne eines scharfe Anforderungen stellenden Maßstabes unvorhergesehen gewesen, so ist es sachgerecht, dem Vermieter das Störungsrisiko zuzurechnen. Der Mieter darf in derartigen Konstellationen mindern.“
(Koller, NJW 1982, 201, 203 f.)

Frage 6: Was heißt denn „Störung der Geschäftsgrundlage“?

Eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ berechtigt nach § 313 Abs. 1 BGB zur Anpassung des Mietvertrags:

„Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“

Jurastudenten lernen § 313 Abs. 1 BGB meist anhand des (fiktiven) „Krönungszugsfalls“ aus dem Jahre 1921 kennen: Ein Fenster wird vermietet in der Erwartung, dass man von dem Fenster aus den Krönungszug gut sehen kann. Fällt der Krönungszug aus, muss der Mieter wegen einer „Störung der Geschäftsgrundlage“ keine Miete zahlen.

Frage 7: Was heißt „Vertragsanpassung“?

Sollten die Gerichte die Corona-Fälle eines Tages einmal als Fälle einer „Störung der Geschäftsgrundlage“ ansehen, steht damit noch nicht fest, dass Gewerbemieter aus ihren Zahlungspflichten vollständig entlassen werden. Denkbar ist auch, dass Gerichte eine salomonische Lösung finden und das Risiko auf Vermieter und Mieter gleichmäßig verteilen werden. Dies würde auf eine Mietminderung um 50 % hinauslaufen.

Frage 8: Wie wirkt sich das „Mietmoratorium“ auf die Rechtslage aus, das letzte Woche im Bundestag beschlossen wurde?

Das „Mietmoratorium“ schließt für die Zeit bis zum 30.6.2020 das Kündigungsrecht des Vermieters aus, wenn der Mieter wegen der Corona-Folgen die Miete nicht zahlen kann. Leider findet sich in dem neuen Gesetz kein Querbezug zu Mängel- und sonstigen Rechten des Mieters. Möglicherweise hat man die Problematik im Bundesjustizministerium übersehen. Darauf deuten empörte Äußerungen der Bundesjustizminsterin hin über Filialisten, die angekündigt haben, wegen der unklaren Lage im April keine Mieten zu zahlen.

Frage 9: Was bedeutet all dies für Vermieter?

Vermieter sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie am Ende möglicherweise erhebliche Mietausfälle haben werden, weil die Gerichte Minderungsrechte von Gewerbemietern bejahen. Dies ist nicht unwahrscheinlich und könnte sich als äußerst bittere Pille für Vermieter erweisen, die auf die Mieteinnahmen angewiesen sind.

Vermieter sollten wissen, dass eine enteignende Wirkung gesetzlicher und behördlicher Maßnahmen zu Entschädigungsansprüchen gegen das jeweilige Bundesland führen können. Wir halten es für sicher, dass die Gerichte sich in den nächsten Jahren mit vielen Entschädigungsprozessen befassen werden.

Frage 10: Was tun?

Allen betroffenen Gewerbemietern empfehlen wir, die Aprilmiete (so man sie überhaupt zahlen kann) nur unter Vorbehalt zu zahlen. Den Vorbehalt erklärt man am besten bei der Überweisung im Überweisungsformular oder gesondert per Mail, Brief oder Fax. Förmlichkeiten gibt es nicht, einen Beleg sollte man allerdings aufbewahren.

Vermietern empfehlen wir, Entschädigungsansprüche prüfen zu lassen. Dies ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.

Kostenlose Erstberatung bieten wir zu diesen und allen anderen Corona-Fragen auch weiterhin an. Kurze Mail an corona@haerting.de mit einer Rückrufnummer, wir rufen so schnell wie möglich zurück.


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