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Ob zwischen unterschiedlichen Marken Verwechslungsgefahr besteht oder nicht ist eine der Hauptfragen des Markenrechts. Aus diesem Grund hat sich über die Jahre ein ausgeklügeltes Beurteilungssystem entwickelt. Das nachfolgende Urteil des EuG (EuG, Urt. v. 24.01.2024, Az. T-636/22) ist ein gutes Beispiel für die praktische Anwendung dieses Systems.

  1. Was war geschehen?

Die Klägerin ist Inhaberin eingetragener Wort-Bild-Marken [Bild 1], [Bild 2] und einer Wortmarke LAPP, eingetragen unter anderem in der Klasse 9 für Glasfaserkabel. Sie legte Widerspruch gegen eine in derselben Klasse für ähnliche Waren eingetragene jüngere Marke [Bild 3] und stützte den Widerspruch auf Verwechslungsgefahr nach Art. 8 I lit. b Unionsmarkenverordnung (UMV). Die Widerspruchsabteilung gab dem Antrag statt. Mit der dagegen gerichteten Beschwerde wurde die Entscheidung mangels Verwechslungsgefahr verworfen.

Die Klägerin ersucht das EuG daher, die Entscheidung der Beschwerdekammer aufzuheben und das Ergebnis der Widerspruchsabteilung wiederherzustellen.

Bild 1:

Bild 2:

Bild 3:

 

  1. Entscheidung des EuG

Das EuG gab der Klage statt und hob die Entscheidung der Beschwerdekammer auf (EuG, Urt. v. 24.01.2024, Az. T-636/22).

Es bestehe nur eine durchschnittliche Aufmerksamkeit der angesprochenen Verkehrskreise, namentlich der Allgemeinheit und professioneller Akteure. Dies gelte auch für Glasfaserkabel, für die die Marken der Klägerin unter anderem eingetragen seien.

Die Waren seien identisch oder hochgradig ähnlich.

Visuell bestünden zwischen den beiden Zeichen strukturelle Ähnlichkeiten, wenn auch der Verkehr einen Fokus vor allem auf die unterscheidungskräftigen Bestandteile „lab“ und „lapp“ legen würde. Die Zeichen seien visuell nur zu einem geringen Grad ähnlich angesichts der grafischen Unterschiede.

Klanglich bestehe jedoch, trotz der unterschiedlichen Schreibweise, eine hohe Ähnlichkeit mit der zweiten Wort Bild Marke der Klägerin und der Wortmarke LAPP. Hingegen sei „LAPP KABEL STUTTGART“ klanglich nur zu einem durchschnittlichen Grad ähnlich.

Im Sinngehalt bestehe eine Ähnlichkeit jedenfalls für diejenigen Verkehrsgruppen, die die Begriffe „kable“ und „kabel“ mit ihrer korrespondierenden Bedeutung eines Kabels in Verbindung brächten.

In der Gesamtabwägung würden sich die entgegenstehenden Marken visuell sowie im Sinngehalt zwar nur zu einem geringen Grad ähneln. Weil die fraglichen Waren jedoch identisch oder hochgradig ähnlich seien, genüge die klangliche Ähnlichkeit mit der zweiten Wort Bild Marke der Klägerin und der Wortmarke LAPP, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen.

 

  1. Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des EuG ist ein Lehrbuchbeispiel für die detailgenaue Analyse sich gegenübergestehender Zeichen. In ähnlich gelagerten Fällen kann sie daher als Orientierungshilfe für gewinnbringende Argumente dienen.

Zunächst sei festgestellt, dass für die Annahme, ein Zeichen sei durch ein einzelnes Element dominiert, sodass nur dieses in die Abwägung der Verwechslungsgefahr einfließen müsse, hohe Anforderungen gelten.

Das Gericht stellt hier klar, dass Markenbestandteile im Zeichenvergleich nicht vernachlässigbar sind, solange sie jedenfalls auf den ersten Blick erkennbar sind. Dies gilt sogar für Slogans wie „Solutions for cables“, als auch für ortsbezogene Zusätze wie „Stuttgart“.

Die Entscheidung arbeitet weiterhin heraus, dass auch grammatikalisch falsche Wortbestandteile, etwa „kable“ statt „Kabel“ oder „cable“, beschreibend sein können, wenn die angesprochenen Verkehrskreise sie trotz allem korrekt verstehen.

Im klanglichen Zeichenvergleich ist entscheidend, dass das Gericht hinsichtlich [Bild 3] einräumt, der nachgelagerte Bestandteil „Solutions for cables“ werde von dem angesprochenen Verkehr angesichts der geringen Kennzeichnungskraft wohl kaum beachtet, der auf den ersten Blick erkennbare Bestandteil „Stuttgart“ in [Bild 1] aufgrund seiner gleichberechtigten Stellung in der Marke hingegen schon.

Zwischen [Bild 1] und [Bild 3] bestehe daher eine geringere klangliche Ähnlichkeit als zwischen [Bild 2] und [Bild 3].Um dem entgegenzuwirken, sollte bei neuen Markenanmeldungen womöglich über eine grafische Trennung der entscheidenden kennzeichnungskräftigen von den nachgelagerten weniger kennzeichnungskräftigen Zeichenbestandteilen nachgedacht werden.

Gleichzeitig illustriert das Urteil auch, dass die klangliche Ähnlichkeit das Zünglein an der Waage sein kann, jedenfalls dann, wenn im Übrigen eine geringe Zeichenähnlichkeit, aber eine hohe Ähnlichkeit der Waren besteht.