Laut dem EUIPO besteht keine Ähnlichkeit zwischen virtuellen und realen Gütern (Widerspruchsverfahren Nr. B 3 199 946 vom 08.07.2024). Diese Entscheidung könnte wegweisend sein für die Markenanmeldungen in diesem Spannungsfeld. Aber auch hier kommt es weiterhin auf eine Betrachtung im Einzelfall an.
Im vorliegenden Fall ist die ältere Marke geschützt in der Klasse 3 für „Parfums und Kosmetik“. Aus dieser Marke wurde Widerspruch eingelegt gegen eine Markenanmeldung insbesondere in der Klasse 35 für „Einzelhandelsdienstleistungen in Bezug auf virtuelle Waren, nämlich Parfum, Kosmetika, wobei die vorgenannten Waren zur Verwendung in der virtuellen Realität bestimmt sind“.
Der Widerspruch wurde gestützt auf Verwechslungsgefahr gemäß Art. 8 Unionsmarkenverordnung (UMV). Diese ist anzunehmen, wenn der Verkehr glauben könnte, dass die gekennzeichneten Waren aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen. Das hängt ab von der Gesamtabwägung und Wechselwirkung zwischen der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der Waren und der Kennzeichnungskraft der älteren Marke.
Maßgeblich waren hier die Ausführungen des EUIPO zur Ähnlichkeit der Waren. Dabei sind grundsätzlich alle Faktoren zu berücksichtigen, insbesondere Art, Verwendungszweck und Nutzung der Waren sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren. Zu berücksichtigen sind auch andere Faktoren wie die Vertriebswege für die betreffenden Waren oder der Umstand, dass diese Waren häufig in denselben Fachgeschäften verkauft werden, was geeignet ist, dem maßgeblichen Verbraucher die Wahrnehmung enger Verbindungen zwischen ihnen zu erleichtern und den Eindruck zu verstärken, dass die Herstellung dieser Waren in der Verantwortung desselben Unternehmens liegt.
Das EUIPO entscheidet jedoch gemäß Art. 95 UMV nur anhand des dahingehenden Parteivortrags. Hilfsweise zieht das EUIPO nur allgemeinbekannte Tatsachen heran. Laut dem EUIPO hat sich jedoch angesichts der Neuartigkeit dieser Technologien in diesem Bereich noch keine bestimmte allgemeinbekannte Marktpraxis etabliert. Daher können Tatsachen im Zusammenhang mit virtuellen Gütern, die online und in virtuellen Umgebungen verwendet werden, nicht als allgemeinbekannte Tatsachen angesehen und vom EUIPO von Amts wegen herangezogen werden. Dies gilt, selbst wenn die virtuellen Güter bereits Gegenstand von Einzelhandelsdienstleistungen sind. Es bleibt spannend, wann sich dies mit dem technischen Fortschritt ändert. Bis dahin kommt es erheblich auf den Parteivortrag an, der vorliegend jedoch nicht ausreichend war, um die Ähnlichkeit der Waren zu bejahen.
Laut dem EUIPO besteht anhand aller heranzuziehenden Faktoren nämlich keine Ähnlichkeit der Waren. Denn die ältere Marke ist geschützt für reale Parfums und Kosmetik und die angegriffene Marke für virtuelle Parfums und Kosmetik.
Im Allgemeinen versteht man unter virtuellen Gütern nicht-physische Gegenstände, die für den Handel in Online- oder virtuellen Umgebungen bestimmt sind. Sie können verschiedene Funktionen erfüllen, indem sie reale Waren abbilden, die Funktionen realer Waren nachahmen oder Gegenstände darstellen, die in der realen Welt keine Entsprechung haben. Diese Güter basieren auf neuen Technologien, die zur Schaffung und Entwicklung virtueller Umgebungen entstanden sind, insbesondere des Metaverse.
Wenn wie hier reale Waren und deren virtuelle Pendants miteinander verglichen werden, sieht das EUIPO dennoch keine Ähnlichkeit, weil Letztere nach Art, Zweck und Nutzung nur online und in virtuellen Umgebungen verwendet werden können. Auch bestehen laut dem EUIPO keine identischen Vertriebswege, weil virtuelle und reale Parfums und Kosmetik nach der Auffassung des Verkehrs bisher wohl nicht in denselben Fachgeschäften verkauft werden.
Laut dem EUIPO gehören reale Waren und ihre virtuellen Gegenstücke bereits nicht zu derselben Warenkategorie. Die Tatsache, dass virtuelle Waren die Funktionen realer Waren darstellen oder nachahmen können, macht sie noch nicht identisch mit ihren realen Gegenstücken. Zudem reicht die Tatsache, dass eine bestimmte Ware das virtuelle Äquivalent einer realen Ware ist, nicht per se für die Feststellung der Ähnlichkeit aus.
Daher war der Widerspruch erfolglos jedenfalls hinsichtlich der obigen digitalen Waren, mangels deren Ähnlichkeit, sodass die neue Marke für diese Waren eingetragen wurde.
Es bleibt spannend, wann dieser Maßstab des EUIPO angepasst wird, insbesondere wenn im Verkehr mit der Zeit virtuelle und reale Waren vermehrt an denselben Verkaufsstellen von denselben Herstellern vertrieben werden sollten. Gerade in der Digital Fashion Industrie ist dies denkbar. Denn gerade Modeanbieter setzen vermehrt Avatare auf digitalen Fashion Shows, die deren Entwürfe tragen. Digital Fashion wird insbesondere beim Gaming genutzt, um Skins für die handelnden Figuren zu entwerfen. Entwürfe von Moschino-Designer Jeremy Scott wurden beispielsweise für das Spiel „Die Sims“ verwendet. Bei „League of Legends“ konnte sogar Louis Vuitton getragen werden. Um dahingehend gegenüber dem EUIPO eine Ähnlichkeit der Waren zu begründen, ist jedenfalls ein hoher Begründungsaufwand zum veränderten Verkehrsverständnis und der Vertriebspraxis unerlässlich.