Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 22.7.2022 wird die EU-Richtlinie 2019/882 (sog. European Accessibility Act, kurz: EAA) umgesetzt. Ziel ist die Vereinheitlichung von Barrierefreiheitsstandards von bestimmten Produkten und Dienstleistungen zur Inklusion von Personen mit Behinderungen und zur Stärkung ihrer Unabhängigkeit im Alltag. Während nur einzelne Waren und Dienstleistungen selbst vom Anwendungsbereich erfasst werden, wird der gesamte Online-Handel als „Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr“ einbezogen.
Ab wann gelten die neuen Regelungen?
Zwingend umzusetzen sind die neuen Regelungen für alle erfassten Produkte, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 28.6.2025, in den Verkehr gebracht werden. Für Dienstleistungen – und somit für den Onlinehandel insgesamt – gilt dieselbe Frist, wobei der Zeitpunkt der Leistungserbringung maßgeblich ist. Jedoch betreffen viele der Regelungen Produkteigenschaften, die jedenfalls bereits bei der Konzeption zu berücksichtigen sind. Daher ist dringend darauf zu achten, dass die Anforderungen nach dem BFSG bereits jetzt immer mitbedacht werden, wenn es sich um Produkte handelt, die barrierefrei auszugestalten sind. Auch im Rahmen von Dienstleistungen, worunter zum Beispiel die Webseite eines Online-Shops fällt, werden gegebenenfalls umfangreiche Anpassungen notwendig.
Welche Produkte werden erfasst?
Die Bestimmung der Produkte und Dienstleistungen, die in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallen, beruht auf einem während der Vorbereitung der Folgenabschätzung durchgeführten Screening, mit dem Produkte und Dienstleistungen ermittelt wurden, die für Menschen mit Behinderungen relevant sind und zu denen die Mitgliedstaaten unterschiedliche nationale Barrierefreiheitsanforderungen angenommen haben oder voraussichtlich annehmen werden, die das Funktionieren des Binnenmarkts behindern. Hierzu gehören unter anderem:
- Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher einschließlich der für diese Hardwaresysteme bestimmte Betriebssysteme (z.B.: Desktop-PCs, Notebooks, Smartphones, Tablets);
- Zahlungsterminals und zu diesen gehörigen Hardware und Software;
- interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen
- Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden (z.B.: Mobiltelefone, Tablets, Router, Modems);
- Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden (z.B. Amazon Fire TV Sticks oder Spielekonsolen)
- E-Book-Lesegeräte
Welche Dienstleistungen müssen barrierefrei werden?
- Telekommunikationsdienste mit Ausnahme von Übertragungsdiensten zur Bereitstellung von Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation;
- Bankdienstleistungen für Verbraucher;
- E-Books und hierfür bestimmte Software
- Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (inklusive des gesamten E-Commerce)
Was heißt barrierefrei?
Allgemein bedeutet Barrierefreiheit, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich ist. Der Begriff der Barrierefreiheit im Sinne des BFSG wird durch eine Verordnung des Bundesarbeitsministeriums näher konkretisiert. Dabei werden allgemeine Anforderungen festgelegt, die für alle Produkte oder Dienstleistungen gelten, und solche, die nur für bestimmte Produktkategorien gelten. Im Wesentlichen geht es jedoch darum, dass technische Vorkehrungen getroffen werden, die die Nutzung von Produkten und Dienstleistungen durch Personen mit Behinderungen ermöglicht. In der Regel wird die Bedienbarkeit/Wahrnehmbarkeit über zumindest einen zusätzlichen sensorischen Kanal verlangt. In Bezug auf eine Webseite würde dies beispielsweise erfordern, dass die Webseite so programmiert ist, dass sie mithilfe einer Bedienungshilfe vorgelesen werden kann. Dies würde auch Bilder erfassen, für die Alternativtexte zur Verfügung zu stellen sind.
Wer muss was beachten?
Das BFSG stellt unterschiedliche Anforderungen an die einzelnen Wirtschaftsakteure. Verantwortlich für die Barrierefreiheit von Produkten ist in erster Linie der Hersteller. Diesem ist es verboten, Produkte in den Verkehr zu bringen, die den Barrierefreiheitsanforderungen der BFSGV nicht entsprechen. Der Einführer muss die Konformität zwar nicht selbst überprüfen, jedoch ist er verpflichtet sicherzustellen, dass ein Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt und wesentliche Dokumentations- und Kennzeichnungspflichten eingehalten wurden. Der Händler hat zu prüfen, dass die auf dem Produkt anzubringenden Kennzeichnungen vorhanden und die erforderliche Dokumentation beigefügt ist. Auch er hat die Produktkonformität nicht zu überprüfen. Ihn treffen – wie den Einführer – erst Mitteilungspflichten, sofern er Kenntnis oder Grund zur Annahme hat, dass ein Produkt den Anforderungen der BFSGV nicht genügt.
Wichtig: Kleinstunternehmen sind mit Hinblick auf Dienstleistungen (also auch in Bezug auf ihren Onlineshop) nach § 3 Abs. 3 BFSG von den Verpflichtungen nach dem BFSG ausgenommen. Dies betrifft Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und entweder einen Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme nicht zwei Millionen Euro übersteigt.
Was heißt das für Onlineshops?
Die Verordnung des BMAS (BFSGV) enthält die Anforderungen an die Barrierefreiheit, indem sie je nach Produkt bzw. Dienstleistung oder Art der Information vorgibt, wie das Gesetz umzusetzen ist. Jedoch ist festzustellen, dass auch insoweit konkrete Vorgaben für Unternehmen fehlen. Es gilt jedoch nach § 4 BFSG eine Vermutung dafür, dass Produkte und Dienstleistungen, die harmonisierten Normen oder Teilen davon entsprechen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, die Anforderungen der nach § 3 Absatz 2 BFSG zu erlassenden Rechtsverordnung erfüllen, soweit diese Anforderungen von den betreffenden Normen oder von Teilen dieser Normen abgedeckt sind. Eine solche ist die EN 301 549, welche sich stark an den vom W3C veröffentlichten Web Content Accessibility Guidelines orientiert, wobei die europäischen Vorgaben teilweise weiter gehen, sodass eine Konformitätsvermutung nur bei Einhaltung der EN 301 549 vorliegt – nicht jedoch der WCAG 2.1. Die einzelnen Prüfkriterien können in diesem Rahmen nicht in Tiefe behandelt werden. Für Webseiten sind allerdings vier Kernprinzipien anerkannt. Inhalte müssen danach wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein.
Fazit
Bis zum Inkrafttreten des BFSG ist noch Zeit, um die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Dennoch sollten die künftigen Anforderungen bereits jetzt „mitbedacht“ werden. Je nach Verstoß können Bußgelder von bis zu 100.000 Euro verhangen werden.