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Bestpreisklauseln sind Klassiker in den AGB von großen Online-Vermittlungsdiensten. Durch sie werden die gewerblichen Nutzer verpflichtet, Produkte, die sie auf dem Dienst anbieten, nicht günstiger auf konkurrierenden Diensten (weite Bestpreisklausel) oder auf der eigenen Website (enge Bestpreisklausel) anzubieten. Die AGB des Hotelbuchungsportals Booking enthielten lange solche weiten und engen Bestpreisklauseln. Ihre zunehmende Auflösung durch das Kartellrecht ist inzwischen entweder ausdrücklich bekannt oder hat sich zumindest bei der letzten Urlaubsplanung bemerkbar gemacht. Jeder Travel-Influencer, der etwas auf sich hält, teilt verschwörerisch den Tipp, nicht mehr über die Buchungsplattform zu buchen, sondern auf den Websites der Vermieter selbst nachzuschauen. Das ist oft auch von Erfolg gekrönt, die Vermieter umgehen so die Provisionszahlung und können ihre Unterkünfte günstiger anbieten. Dahinter steht ein jahrelanger Rechtsstreit.

A. Von Karlsruhe nach Luxemburg… über die Niederlande?

Vom BGH in Karlsruhe zum EuGH nach Luxemburg sind die Bestpreisklauseln von Booking auf umständlichem Weg gelangt. Auslöser war nämlich ein deutsches Kartellverfahren, das ganz ohne Beteiligung des EuGHs ausgekommen ist. Der BGH entschied 2021, dass die enge Bestpreisklausel nicht mit Art. 101 AEUV vereinbar ist und insbesondere keine Freistellungsvoraussetzung erfüllt (Az. KVR 54/20). Damit hob er einen Beschluss des OLG Düsseldorf auf, das die Bestpreisklauseln als außerhalb der Kartellkontrolle liegende Nebenabreden noch gebilligt hatte.

Zu einer Vorlage an den EuGH sahen sich die Gerichte nicht veranlasst. In Deutschland hält man die entscheidungserheblichen Fragen für entweder hinreichend geklärt (acte éclairé) oder ohne Beteiligung des EuGHs zweifelsfrei feststellbar (acte claire). Das stellte Booking vor ein Problem: Wenn sie die Bestpreisklauseln weiter benutzen wollen, dann brauchen sie eine unionsrechtliche Klärung zu ihren Gunsten. Anderenfalls wäre langwierige Streitigkeiten in den Mitgliedsstaaten absehbar.

Wie also nach Luxemburg kommen? Booking hat es nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ geschafft, obwohl man genauer sagen müsste „Angriff in den Niederlanden ist die beste Verteidigung gegen deutsche letztinstanzliche Urteile“. Die Buchungsplattform hat nämlich vor einem Gericht in Amsterdam eine negative Feststellungsklage erhoben, durch die insbesondere festgestellt werden soll, dass die enge Bestpreisklausel mit Art. 101 AEUV vereinbar ist. Nun soll faktisch also ein Gericht in Amsterdam feststellen, dass die Entscheidung des BGH falsch ist.

B. Kann das sein?

Ja, sagt der EuGH, das ist in Ordnung. Zulässigkeitsprobleme werden abgebügelt. Dabei hätte man bei einem eigentlich genauer hinschauen können: Vorabentscheidungsersuchen sind nämlich dann unzulässig, wenn sie nicht entscheidungserheblich sind. Das ist wiederum dann der Fall, wenn bloß hypothetische Fragen gestellt werden, die in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehen.

Die Beklagten des Ausgangsverfahren argumentieren hier, dass es nach Klärung durch die deutschen Gerichte nicht sein könne, dass ein niederländisches Gericht über die Hintertür dieselbe Frage in abstrakter Form zum EuGH bringt, was die deutschen Gerichte nicht für nötig befunden haben. Das lässt sich durchaus hören, insbesondere wenn man beachtet, dass gem. Art. 9 RL 2014/104/EU das Verhältnis mitgliedsstaatlicher Gerichte untereinander in Kartellverfahren geregelt wurde. In Schadensersatzverfahren sind mitgliedsstaatliche Urteile demnach bindend, in sonstigen Verfahren zumindest als Anscheinsbeweis tauglich.

Andererseits argumentiert der EuGH aus seiner Perspektive folgerichtig: Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, als das niederländische Gericht sich zur Vorlage entschieden hatte. Gem. Art. 9 Abs. 3 RL 2014/104/EU müssen die mitgliedsstaatlichen Gerichte nämlich vorlegen, wenn sie aus ihrer Sicht vorlagepflichtig sind. Daran ändert sich nichts dadurch, dass sich der BGH nicht für vorlagepflichtig gehalten hat. Nun hat das niederländische Gericht sich entscheiden, vorzulegen. Daran kann der EuGH nichts mehr ändern, nur offensichtlich rein hypothetische Fragen können zurückgewiesen werden. Die Schwelle ist hoch und hier nicht erreicht. Das ist dem EuGH nicht anzukreiden. Wenn die Vorlage erst mal da ist und ein mitgliedsstaatliches Gericht sich also mit der Begründung eines anderen mitgliedsstaatlichen Gerichts nicht zufrieden gibt, sollte der EuGH auch entscheiden müssten. Das dient schon der Rechtssicherheit.

Ob das niederländische Gericht aus eigenem Antrieb nun unbedingt vorlegen musste, obwohl es die deutschen Entscheidungen mit umfangreicher Begründung schon gab, daran lässt sich mit guten Gründen zweifeln. Dabei sollte man aber nicht dem Gerichtspatriotismus verfallen; dass die Niederländer Klärungsbedarf sahen, wird nicht am Misstrauen gegenüber dem BGH liegen, sondern eher an einem Interesse an Rechtssicherheit. Die vom BGH beanstandete Klausel wurde nämlich von der italienischen und schwedischen Wettbewerbsbehörde ausdrücklich gebilligt. Zwischenzeitlich dann aber auch in Belgien, Frankreich, Italien und Österreich ausdrücklich gesetzlich verboten. Von Klarheit konnte also auch nach dem BGH-Beschluss keine Rede sein.

C. Flucht in die Nebenabrede

Die erste materielle Frage, die der EuGH zu beantworten hatte, war, ob es sich bei der Bestpreisklausel um eine Nebenabrede im Sinne der Rechtsprechung des EuGHs handelt. Nebenabreden sind danach solche Abreden, die getroffen werden, damit eine Maßnahme, die selbst kartellrechtlich unbedenklich ist, überhaupt erst möglich wird.

Grundlegend wurde diese Frage bei Wettbewerbsverboten nach Unternehmensverkäufen geklärt. Einerseits sind Wettbewerbsverbote regelmäßig kartellrechtlich unmöglich, weil sie als horizontale Vereinbarungen den Wettbewerb aufheben. Andererseits sind die meisten Unternehmenskäufe bei fortbestehendem Geschäft eines Mutterkonzerns sonst unmöglich, weil die Gefahr bestünde, dass das erworbene Unternehmen sofort untergeht, weil der verkaufende Mutterkonzern alle Bestandskunden abwirbt. Der EuGH hat deshalb klargestellt, dass entsprechende Vereinbarungen nur Nebenabreden sind, die keiner Prüfung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV unterzogen werden.

Booking ist der Ansicht, dass auch ihre Bestpreisklausel eine Nebenabrede in diesem Sinne ist. Die Klausel schütze nämlich vor sogenannten „Trittbrettfahrern“, was den Geschäftsbetrieb überhaupt erst ermögliche. Es bestünde nämlich die Gefahr, dass Booking gar keine Provisionen mehr erhalten würde, wenn alle Anbieter günstiger über eigene Websites vermieten würden, sich aber auf Booking anmelden, um gefunden zu werden. Dann würden Anbieter und Kunden in vollem Umfang von der Dienstleistung von Booking profitieren, ohne dass Booking daran beteiligt würde.

Der EuGH lässt sich davon nicht überzeugen. Es fehlt schlicht an der objektiven Notwendigkeit der Klausel. Allein der Umstand, dass der Profit von Booking leidet reicht nicht aus, um eine Klausel als Nebenabrede zu qualifizieren. Der Geschäftsbetrieb müsste tatsächlich unmöglich werden. Die Tatsache, dass Booking aber in verschiedenen Mitgliedsstaaten ohne die Klauseln wirtschaftet, zeigt, dass eine solche Unmöglichkeit nicht angenommen werden kann. Die Bestpreisklausel unterfällt deshalb grundsätzlich der Kartellkontrolle.

D. Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung

Eine Hürde muss aber noch genommen werden: Die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (kurz: V-GVO), ihres Zeichens einer der Mitbewerber um die besten Jura-Wörter, regelt seit ihrer Novellierung auch ausdrücklich das Verhältnis von Online-Vermittlungsdiensten zu den gewerblichen Abnehmern der Vermittlungsdienstleistung (das ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 lit. d) und e) V-GVO). Fällt eine Vereinbarung in den Anwendungsbereich der V-GVO und stellt keine Kernbeschränkung oder sonstig ausgeschlossene Vereinbarung dar, so ist sie der Kartellkontrolle gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV entzogen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass vertikale Vereinbarungen oft wettbewerbsfördernde Effekte für den Abnahmemarkt der Verbraucher haben.

Weitre Bestpreisklauseln sind durch die Novellierung ausdrücklich aus dem Bereich der Freistellung ausgenommen worden gem. Art. 5 Abs. 1 lit. d) V-GVO.

Enge Bestpreisklauseln können nach Ansicht der Kommission dagegen grundsätzlich freigestellt sein (Vertikal-Leitlinien Rn. 369). Der Freistellung von vornherein nicht zugänglich sind aber solche Vereinbarungen, bei denen eine Vertragspartei auf ihrem relevanten Markt einen Marktanteil von über 30% hat. Dann sind die Auswirkungen auf den Wettbewerb zu groß, um eine pauschale Freistellung aufrechtzuerhalten.

Um den Marktanteil eines Unternehmens zu bestimmen, muss zunächst der relevante Markt bestimmt werden. Das erfolgt im Einzelfall oft durch den sog. SSNIP-Test (Abkürzung für: small but significant, non-transitory increase in prices). Das bedeutet im Kern: Es wird abgeschätzt auf welche Produkte der Kunde dann ausweichen würde, wenn das fragliche Unternehmen die eigenen Preise so erhöhen würde, dass man als Kunde zu einem Produktwechsel veranlasst werden könnte, ohne dass der Preisanstieg aber so immens wäre, dass auf gänzlich andere Lösungen zurückgegriffen wird. Alle „Ausweichprodukte“ sind Bestandteil des relevanten Marktes.

Problematisch ist insoweit, dass Online-Vermittlungsdienste zweipolige Marktakteure sind. Auf der einen Seite bieten sie die Vermittlungsleistung den gewerblichen Anbietern an und auf der anderen Seite den Verbrauchern auf der Suche nach Angeboten. Der BGH und das OLG Düsseldorf hielten hier die gewerbliche Seite für maßgeblich, also den Markt auf dem Hotelbuchungsplattformen Hotelbetreibern ihre Dienstleistungen anbieten. Der EuGH zieht in Betracht, dass der Markt auch noch weiter sein könnte, wenn noch andere Buchungsmöglichkeiten als austauschbar wahrgenommen werden. Insbesondere die direkte Buchung könnte als austauschbares Produkt zu Vergleichsportalen in Betracht kommen, so dass sich der Marktanteil von Booking an Hotelbuchungen insgesamt verringern würde.

In der Tendenz scheint der EuGH aber auch die Marktdefinition des BGH zu bevorzugen und gibt sie dem niederländischen Gericht als „besonders relevanten kontextbezogenen Gesichtspunkt“ an die Hand. Die konkrete Marktdefinition ist dem niederländischen Gericht überlassen.

E. Fazit

Der EuGH bestätigt weitgehend die Sichtweise des BGH. Insbesondere die Ausführungen zur Nebenabrede-Doktrin sind zu begrüßen. Sie schaffen Rechtssicherheit und grenzen den Anwendungsbereich der Ausnahme erheblich ein, wodurch sie umgekehrt Art. 101 AEUV vor Verwässerung schützen. Die Ausführungen zur Marktdefinition sind im Kontext der novellierten V-GVO interessant, aber wenig aussagekräftig. Was das niederländische Gericht aus der Entscheidung macht, bleibt abzuwarten. Wenn der Weg in die V-GVO auch nach dessen Marktdefinition verschlossen sein sollte, dürfte das letzte Stündlein für enge und weite Bestpreisklauseln für Booking aber geschlagen haben, denn zumindest zur Einzelfallbeurteilung gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV hatte das niederländische Gericht keine Vorlagefrage, was darauf hindeuten könnte, dass es hier dem Weg des BGH folgen möchte.